| # taz.de -- Gewalt gegen Frauen: Da passt etwas nicht zusammen | |
| > in Berlin gibt es immer mehr Anzeigen wegen Vergewaltigung, gleichzeitig | |
| > kommt es zu deutlich weniger Verurteilungen. Wie kann das sein? | |
| Bild: Die Berliner Justizverwaltung kann sich manche Zusammenhänge nicht erkl�… | |
| taz | In Berlin werden immer weniger Menschen [1][wegen Vergewaltigung | |
| verurteilt] – obwohl immer mehr Vergewaltigungen angezeigt werden. Das hat | |
| die Senatsverwaltung für Justiz auf eine schriftliche Anfrage der beiden | |
| Mitglieder des Abgeordnetenhauses Marianne Burkert-Eulitz und Petra Vandrey | |
| mitgeteilt. | |
| Die Grünen-Politikerinnen hatten die Justizverwaltung nach der Entwicklung | |
| von Sexualstraftaten in Berlin seit 2019 gefragt. Die Statistik liegt der | |
| taz exklusiv vor und umfasst neben Zahlen zu Vergewaltigung auch | |
| Kindesmissbrauch, sexuelle Belästigung und Stalking. Zu fast all diesen | |
| Delikten ermittelt die Staatsanwaltschaft von Jahr zu Jahr häufiger: Nahm | |
| sie im Jahr 2019 noch 3.636 Ermittlungsverfahren wegen sexualisierter | |
| Gewalt auf, waren es im Jahr 2024 12.590 Verfahren. Das ist fast eine | |
| Vervierfachung und ein neuer Rekord für Berlin. | |
| Allein bei Vergewaltigungen wuchs die Zahl der Ermittlungsverfahren von | |
| 1.538 im Jahr 2019 auf 2.386 im Jahr 2024, ein Anstieg um mehr als 50 | |
| Prozent. Eine enorme Zunahme gibt es auch beim Stalking. Das dürfte unter | |
| anderem aber auch daran liegen, dass der Stalking-Paragraf im Jahr 2021 | |
| verschärft wurde. | |
| Rückläufig ist hingegen sowohl die Zahl der Anklagen und Strafbefehle als | |
| auch die Zahl der Verurteilungen. Wurden im Jahr 2020 noch 140 Menschen | |
| wegen Vergewaltigung in Berlin verurteilt, waren es 2024 nur noch 42. Wie | |
| es dazu kommt, dass immer mehr Taten angezeigt, aber immer weniger Menschen | |
| verurteilt werden, kann die Justizverwaltung nicht pauschal beantworten. | |
| Dazu müsse jeder Einzelfall betrachtet werden, heißt es in der Antwort auf | |
| die Anfrage. | |
| Aus der Statistik geht hervor, dass die meisten Ermittlungen eingestellt | |
| werden, weil kein hinreichender Tatverdacht besteht. Das bedeutet, dass | |
| nicht genügend Beweise vorliegen, um Anklage zu erheben, und passiert | |
| häufig bei sexualisierter Gewalt. Die Justizverwaltung schreibt in ihrer | |
| Antwort, dass bei sexualisierter Gewalt häufig Aussage gegen Aussage stehe. | |
| In anderen Fällen stehe der Opferschutz im Vordergrund: Sind Kinder die | |
| Opfer von Sexualstraftaten, komme es vor, dass diese nach der Anzeige nicht | |
| noch einmal aussagen wollten oder könnten. | |
| ## „Die Begründung überzeugt nicht“ | |
| „Die Begründung der Senatsverwaltung überzeugt mich nicht“, sagt Petra | |
| Vandrey, rechtspolitische Sprecherin ihrer Fraktion im Abgeordnetenhaus. | |
| „Die Beweislage bei Sexualstraftaten war schon immer schwierig. Das allein | |
| erklärt nicht, warum die Zahl der Verurteilungen sinkt.“ | |
| Ermittlungsverfahren im Bereich sexualisierter Gewalt dauern häufig mehrere | |
| Monate bis Jahre. Aus der aktuellen Statistik der Justizverwaltung kann | |
| deswegen nicht seriös geschlussfolgert werden, wie viel Prozent der | |
| angezeigten Vergewaltigungen tatsächlich verurteilt werden. Doch die Zahlen | |
| zeigen einen Trend: Während Expert*innen bundesweit von einer | |
| [2][Verurteilungsquote von 8 bis 10 Prozent bei Vergewaltigungen] ausgehen, | |
| dürfte Berlin weit darunter liegen. | |
| ## So viele Frauen wie nie werden Gewaltopfer | |
| Der Anstieg der Ermittlungsverfahren deckt sich mit den Befunden, die die | |
| Senatsinnenverwaltung Ende Oktober vorgelegt hatte. Demnach registriert | |
| auch die Berliner Polizei einen enormen Anstieg von Gewalt gegen Frauen. Im | |
| Jahr 2024 wurden insgesamt 42.751 Frauen Opfer von Gewalt, so viele wie | |
| noch nie. | |
| Fast zeitgleich wurde bekannt, dass der Berliner Senat die Mittel für den | |
| Gewaltschutz kürzen will. Rund zwei Prozent weniger Geld sollen | |
| Hilfsorganisationen und Frauenhäuser nach Senatsangaben im Jahr 2026 | |
| bekommen. [3][Mittlerweile setzt sich allerdings die SPD für eine Korrektur | |
| dieses Ansatzes ein.] | |
| Mehrere Organisationen, wie der Paritätische Wohlfahrtsverband und die LIGA | |
| der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege, hatten berechnet, dass bei | |
| den aktuell geplanten Kürzungen sogar eine Unterfinanzierung von bis zu 7,5 | |
| Prozent drohe. Das bedeute weniger Beratung und weniger Unterstützung für | |
| Frauen in akuter Not, [4][so eine gemeinsame Erklärung der Organisationen]. | |
| Für Petra Vandrey sind die Kürzungen ein „Unding“. In ihrem früheren | |
| Berufsalltag als Rechtsanwältin habe sie immer wieder erlebt, dass Frauen, | |
| die häusliche oder sexualisierte Gewalt anzeigen wollen, später etwa aus | |
| Angst nicht mehr bereit sind, auszusagen. „Aber gerade deswegen brauchen | |
| diese Frauen Unterstützung von Opferschutzverbänden“, sagt Vandrey. | |
| Sorgen bereiteten ihr aber auch die geplanten Kürzungen an anderer Stelle: | |
| „Die Senatsverwaltung für Justiz streicht im jetzt vorgelegten | |
| Haushaltsentwurf auch bei den Fortbildungen für Richter und Richterinnen. | |
| Dabei ist ein umfangreiches Angebot an qualifizierten Fortbildungen im | |
| Bereich sexualisierter Gewalt unbedingt erforderlich“, sagt Vandrey. | |
| 8 Nov 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Gewalt-gegen-Frauen/!t5014588 | |
| [2] https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2014-04/studie-vergewaltigun… | |
| [3] /Gewaltschutzprojekte-in-Berlin/!6128073 | |
| [4] https://www.paritaet-berlin.de/aktuelles/detail/keine-kuerzungen-beim-gewal… | |
| ## AUTOREN | |
| Anne Fromm | |
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