| # taz.de -- Ukrainische Theatergruppe aus Lübeck: Der Einkaufswagen als Redner… | |
| > Das Lübecker Ukrainische Freie Theater bringt Stücke auf Ukrainisch für | |
| > ein deutsches Publikum auf die Bühne – etwa „Fluchtgeschichten der | |
| > Tiere“. | |
| Bild: Ankommen im Supermarkt in „Die Geschichte der Fluchttiere“, gespielt … | |
| Der Pavian will Krieg. Es werde die absurde These verbreitet, Menschen und | |
| Affen seien verwandt – Unsinn, schreit der Primatenherrscher ins Publikum. | |
| Hinter ihm steht ein Spalier seiner Gefolgsleute, bedrohlich und stumm. Der | |
| Affe, gespielt von Andrii Pielin, spricht Russisch. Nein, das sei natürlich | |
| kein Zufall, sagt Maksym Ievlev, Regisseur und Leiter des Lübecker | |
| Ukrainischen Freien Theaters (LUFT), nach der Aufführung. | |
| Die Gruppe besteht aus Menschen, die vor dem [1][Krieg in der Ukraine] | |
| geflüchtet sind. Begonnen hat es als Spaßprojekt. Aber das Ziel sind | |
| professionelle Aufführungen. Zurzeit zeigt [2][LUFT] an wechselnden Orten | |
| „Die Geschichte der Fluchttiere“ nach den „Animal Tales“ des | |
| US-amerikanischen Autors Don Nigro. | |
| „Für uns ist das Stück perfekt“, sagt Ievlev bei einem Treffen im | |
| Probenraum der Gruppe in einem Gebäude nahe dem Lübecker Hauptbahnhof. „Es | |
| sind kurze Szenen mit meist nur wenigen Beteiligten, sodass wir in | |
| kleineren und größeren Gruppen proben konnten.“ Und es passt auch | |
| inhaltlich: Themen wie Traumata und Flucht, das Verlassen der vertrauten | |
| Welt und das Ankommen in einem anderen Leben ziehen sich als roter Faden | |
| durch mehrere Szenen. Sei es bei den Truthähnen, die sich fragen, ob es | |
| mehr gibt als Maiskörner. Bei den Lemmingen, die ins Verderben rennen. Oder | |
| bei den Kühen, die vor einem unheimlichen Haus warten, ohne zu wissen, | |
| worauf. In Ievlevs Inszenierung hängt das rote A des Arbeitsamts auf der | |
| Bühne, und im Lauf der Szene beginnen die Kühe, mit mahlenden Kiefern ihre | |
| Papiere zu kauen. | |
| „Die schmecken echt eklig“, verrät Schauspielerin Svitlana Fly, die mit | |
| ihrer Bühnenkollegin Angela Kapinos an dem Gespräch teilnimmt. Beide haben | |
| andere Berufe, das Theater ist nur ein Hobby. Anfangs seien die Proben eher | |
| eine Art Therapie gewesen, erinnert sich Kapinos, eine Ablenkung vom Alltag | |
| in Deutschland und den Gedanken an den Krieg in ihrer Heimat. Diese Aufgabe | |
| nennt auch die Homepage der [3][Deutsch-Ukrainischen Gesellschaft Lübeck], | |
| die das Projekt ins Leben rief: „Das Theatertreiben hilft, dem Teufelskreis | |
| der Gedanken zu enfliehen, Ängste zu überwinden und Beziehungen zu anderen | |
| aufzubauen.“ | |
| Den Begriff „Laientheater“ hören sie dennoch nicht gern. Maksym Ievlev ist | |
| Bühnenprofi, in seiner Heimatstadt Charkiv führte er ein eigenes Ensemble. | |
| Im Prinzip gebe es dieses Theater noch, sagt er und hebt die Schultern: Die | |
| Beteiligten sind in alle Welt verstreut, Proben und Aufführungen finden | |
| nicht mehr statt. Ievlev kam 2024 nach Lübeck und suchte nach einer | |
| Möglichkeit, weiter im und mit Theater zu arbeiten. | |
| ## Spaß und Ernsthaftigkeit | |
| Für ihn bedeutet die Bühne „die Kunst, über die man Menschen am besten | |
| zusammenführt und gleichzeitig zum Nachdenken bringt“. Theater solle und | |
| dürfe Spaß machen – aber eben nicht nur. Und: Theater soll mit | |
| Ernsthaftigkeit betrieben werden. „Oh ja“, sagt Svitlana Fly und grinst. | |
| „Max ist Perfektionist.“ | |
| Das zeigt sich in der „Geschichte der Fluchttiere“. Die Inszenierung | |
| arbeitet mit wenigen, aber klug eingesetzten Requisiten. Mit dabei sind | |
| zwei Supermarkt-Einkaufswagen, die je nach Szene als Mausefalle, | |
| Rednerpult, Arbeitstisch oder Papageienkäfig dienen. Sie sind nicht nur | |
| Symbol für ein Leben ohne Wurzeln, sondern auch sehr praktisch, sagt der | |
| Regisseur: „Wenn wir irgendwo anders spielen, können wir solche Wagen | |
| einfach ausleihen.“ | |
| Das LUFT ist zurzeit ein Theater ohne feste Bühne. Geprobt wird in einem | |
| Haus, in dem sich verschiedene soziale Initiativen treffen, die | |
| Aufführungen finden da statt, wo sich ein Raum in eine Bühne verwandeln | |
| lässt. Die ersten Auftritte gab es aus Anlass von Festen der | |
| Deutsch-Ukrainischen Gesellschaft. Den Start machte im Dezember 2023 eine | |
| Inszenierung von Wintergedichten des [4][ukrainischen Schriftstellers | |
| Serhij Zhadan], der 2022 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels | |
| erhielt. Im August 2025 folgte ein Stück auf Basis von Gedichten unter dem | |
| Titel „Zhadans Land“. Mit der „Geschichte der Fluchttiere“ tritt das | |
| Theater erstmals außerhalb von Lübeck auf, unter anderem im [5][Nordkolleg | |
| in Rendsburg]. Aufführungen in Hannover und Hamburg sind geplant. | |
| ## Eine vertraute Sprache | |
| Gespielt wird auf Ukrainisch. Deutschsprachige Zuschauer:innen können | |
| parallel die Übersetzungen mitlesen, die an eine Wand projiziert werden. | |
| Das sei ein bisschen schwierig für die Zuschauenden, gibt Ievlev zu, ließe | |
| sich zurzeit aber nicht anders machen einfach deshalb, weil nicht alle | |
| Beteiligten bisher genug Deutsch sprechen. Zudem herrscht Wechsel in der | |
| Gruppe: Einzelne Mitglieder kehren in die Ukraine zurück, neue kommen | |
| hinzu. Die vertraute Sprache hilft ihnen, schnell in das Projekt | |
| einzusteigen. Wichtig ist Maksym Ievlev, dass das Theater helfe, | |
| Geflüchtete in einer, buchstäblich wie im übertragenen Sinn, ungewohnten | |
| Rolle zu zeigen: „Wir wollen nicht bemitleidet werden. Aber wir wollen | |
| zeigen, dass wir hier sind.“ | |
| 3 Nov 2025 | |
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| [3] https://www.dach-luebeck.com/de/projekte/theaterprojekt/ | |
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| [5] https://www.nordkolleg.de/home/ | |
| ## AUTOREN | |
| Esther Geisslinger | |
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