Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Wegweisende Krawallband: Die anderen Stadtmusikanten
> Die Band Mörser feiert ihren 30. Geburtstag. Mit der ketzerischen
> Mischung aus Hardcore und Metal haben sie Bremen zu weltweitem Szeneruhm
> verholfen.
Bild: Headbanging, Metalcore, Bremencore: eine sinvolle Steigerung
Schon weit vor dem Einlass kontrollieren Fans gegenseitig ihre Tickets.
„Zeig mal Nummer“, keift ein Wildfremder in unregelmäßig genieteter
Lederjacke und vielleicht etwas zu großzügig gewachsten Dreadlocks. Er
grabscht nach der Karte und lacht. „278? Warste spät dran.“ Die Umstehenden
giggeln ein bisschen vor sich hin. Um mitlachen zu können, muss man erstens
wissen, dass nur 333 Tickets für dieses Konzert im Verkauf waren – und dass
hier zweitens wirklich absolut niemand spontan vorbeigekommen ist.
Schließlich war die Veranstaltung schon vor einem Jahr ausverkauft, als
noch nicht mal ein Ort für die Show feststand.
Wir sind bei der Band Mörser, die hier mit Heimvorteil im Bremer
Kulturzentrum Lagerhaus ihren 30. Geburtstag feiern. Ganz einfach gesagt:
Es geht es Krawallmusik mit tiefem Grölen und wüstem Kreischen, die zwar
mit Hochdruck durchgeknüppelt wird, aber trotzdem einen Sinn für auch
komplexere Riffs hat.
Damals war das für viele Szenegänger:innen eine Zumutung, ein nur
schwer zu fassender Mix aus Hardcore, Grind und Metal. Genres also, die
neun von zehn Menschen nicht auseinanderhalten können, während es den oder
die Zehnte in existenzielle Krisen stürzt, wenn da wer was
durcheinanderbringt. Damals jedenfalls.
Heute ist das alles viel einfacher. Denn erstens hat sich die lange
gepflegte Feindschaft zwischen den Grüppchen doch weitgehend ins
Folkloristische zurückgezogen – und zweitens hatte sich die ketzerische
Mörser-Mische ja schon in den 90ern bald einen eigenen Namen verdient:
[1][„Bremencore“ nämlich].
## Stabiles Geschaller
Und während auf der Bühne stabil wie damals gegrunzt und geschallert wird,
geht’s in den Gesprächen im Treppenhaus und vor Tür dann auch viel um
andere Zeiten und andere Bands: ACME, Systral, Carol, die großen Alten des
Bremencore also, deren Mitglieder dann auch die „Supergroup“ Mörser
besetzen – mit vier Sängern [2][in der Friese] und ach!
Das mit dem berüchtigten Bremen ist übrigens kein Quatsch. Das Label wurde
mindestens in Europa – teils auch in den USA – geführt und nicht nur lokal
(wegen der damals doch sehr umtriebigen Szene), sondern auch musikalisch
als wiedererkennbar anders verstanden.
Und heute? Die Musik macht schon immer noch Spaß, auch wenn es doch ein
bisschen an Seltenheitswert eingebüßt hat, wenn Metalriffs nicht gleich zum
Schunkeln einladen – und Hardcore-Straightness sich nicht ausschließlich so
anfühlt, als würde man rhythmisch den Kopf gegen die Wand schlagen.
Das Publikum wiederum ist nett zueinander, und statt sich beim Brutalpogo
gegenseitig konsensual die Fresse einzuschlagen, ist dieser Tage eher
besonders energisches Kopfnicken angesagt. Und selbstzufriedenenes
Dauergrinsen.
## Die Last des Alters
„Scheiße, sind wir alt geworden“, heißt es von der Bühne. Und das trifft
hier eben auf alle zu, oder vielmehr: auf die gemeinsame Sache selbst. Denn
es gibt zwar durchaus eine Handvoll Besucher:innen unter 40 im
Publikum, und trotzdem fühlt sich die Veranstaltung über weite Strecken
doch nach genau dem Ehemaligentreffen an, das es ja nun auch ist.
An der Wand hängt ein Banner, auf dem die Gäste unterschreiben sollen und
eintragen, woher sie kommen. Die meisten machen das mit großem Ernst und
notieren ihre Zweiwohnsitze in Berlin oder New York oder so. Drei Menschen
höre ich ausdrücklich sagen, sie seien jetzt gerade „glücklich“. Und das
ist zwar wirklich schön, macht aber doch irgendwie auch misstrauisch.
Zumindest die (sogar ältere) Vorband Seein’ Red aus den Niederlanden hatte
noch schlechte Laune. Oder zumindest tat sie so in ihren Ansagen gegen die
Weltlage – die oft länger ausfallen als die ein- bis zweiminütigen
Knüppelsongs. Und irgendwie tut sie der Sache schon gut: diese
Vergewisserung, dass es hier um mehr geht als um Lautstärke.
20 Nov 2025
## LINKS
[1] https://rateyourmusic.com/list/handsthatmold/an-explanation-of-bremencore/
[2] /Ermittlungen-nach-dem-Neonazi-Anschlag/!6091444
## AUTOREN
Jan-Paul Koopmann
## TAGS
Schwerpunkt Stadtland
Kolumne Großraumdisco
Konzert
Heavy Metal
Hardcore-Punk
Proberaum
Schwerpunkt Stadtland
## ARTIKEL ZUM THEMA
Bremer Künstlerhaus auf der Kippe: Mangelware Proberaum
Hunderte Musiker*innen und Kulturschaffende nutzen das Künstlerhaus
„Use Akschen 91“. An einem Nachbarschaftsstreit droht das Projekt zu
scheitern.
Iron Maiden Konzert in Bremen: Mit der Dorfbevölkerung ins Gedränge
Er war nie wirklich Fan von Iron Maiden, sagt unser Kolumnist. Für das
Konzert der Metal-Band ist er dennoch in die Stadt gefahren. Er war nicht
allein.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.