| # taz.de -- Raus aus der Empörungslogik: Können Linke Mitte werden? | |
| > Weltuntergang war immer eine linke Domäne. Dass die Rolle jetzt neu | |
| > besetzt ist, ist eine Chance. | |
| Bild: Kann Die Linke auch Mitte? | |
| Auf den Rat von Bundeskanzler Merz hin habe ich [1][meine Tochter zu den | |
| von ihm behaupteten Problemen im Stadtbild] gefragt. Sie sagte, ihr Problem | |
| seien vor allem weiße Männer über 50, die Frauen im öffentlichen Raum | |
| begrapschten. Das ist das eine. Das andere ist, dass der Kanzler in seiner | |
| erratischen Merzlichkeit mal wieder eine (sehr verständliche) Empörung | |
| ausgelöst hat, die keinerlei Lösungsorientierung der zentralen Probleme | |
| aufweist. | |
| Nun ist eine permanente Nichtempörung leider auch keine Lösung. Und eine | |
| linke Großkritik an „Wirtschaftssystem“, Nato, EU und so weiter auch nicht. | |
| Die Frage ist: Wie kommt man von der theoretischen „Kritik der | |
| Verhältnisse“ ins produktive Handeln und genügt sich nicht darin, den | |
| Kanzler schlimm zu finden, die SPD ungerecht und die Grünen ökoelitär? All | |
| das, während man solange die Rückkehr des „Faschismus“ beschwört, bis er | |
| zwar nicht da ist, aber die AfD mit unserer freundlichen Hilfe die Union | |
| zerstört hat und damit auch die liberale Demokratie. | |
| Nun kann man empört ausrufen: Böser Unfried! Wir sind Antifaschisten und du | |
| nicht! | |
| Äh, nein. Beides ist zu kurz gedacht. „Antifaschismus“ ist eine gut | |
| gemeinte Haltung, aber keine Strategie, höchstens eine der Spaltung. Und | |
| eine mathematische Analyse ergibt, dass man die liberale Demokratie nicht | |
| stärkt, indem man möglichst wenige zusammenbringt. Deshalb braucht es die | |
| CDU in der gesellschaftlichen Mitte. Die Grünen. Die Rest-SPD. Und | |
| vielleicht auch die Linkspartei (was ein semantischer Widerspruch zu sein | |
| scheint, aber dazu komme ich gleich). | |
| Jetzt wird man rufen: „Mitte, ha!“ Von der Mitte sei es ein ganz kurzer | |
| [2][Weg nach rechts außen], man kenne uns Deutsche doch. | |
| Äh, nein. Mitte ist für mich eine gesellschaftliche und politische | |
| Mehrheit, die sich der Bearbeitung gesamtgesellschaftlicher Ziele | |
| verschreibt. Das Problem ist nicht die Mitte per se, sondern sie in der | |
| Spätmoderne zusammenzubringen. Das heißt: Nicht mit altem Denken auf | |
| fossiler Basis „zusammenzuhalten“, sondern sie behutsam neu zu formatieren. | |
| ## Konzentration auf die gemeinsame Wirklichkeit | |
| Die alte Begrifflichkeit „links der Mitte“ und „rechts der Mitte“ ist d… | |
| überhaupt nicht hilfreich: Diese Mitte kann und muss konservative, linke | |
| und vor allem ökologische Ausprägungen haben. Sie muss in dem Bewusstsein | |
| formatiert werden, dass der zentrale Konflikt der Gegenwart nicht mehr | |
| Kapital versus Arbeit ist, sondern dass wir es mit zwei noch größeren | |
| Bedrohungen unserer Freiheit zu tun haben, die von außen kommen: Die | |
| [3][Bedrohung der planetarischen Lebensgrundlage] und die Bedrohung durch | |
| die Strategie des Rechtspopulismus. | |
| Robert Habeck hat im Wahlkampf versucht, gemeinsame Ziele auf postfossiler | |
| Basis neu zu beschreiben und eine altlagerübergreifende Mitte dafür zu | |
| gewinnen. Er ist gescheitert. Erst einmal. Gewonnen hat die AfD, gewinnen | |
| tun derzeit die, die auf Weltuntergang machen, die Misstrauen verbreiten | |
| und vergrößern an der liberaldemokratischen Bundesrepublik, ihren | |
| Politikern, Institutionen und Medien, an EU und Nato. Nun war Weltuntergang | |
| und Misstrauen immer unsere Domäne, also die der Linken. Aber die Rolle ist | |
| jetzt neu besetzt, und das ist unsere Chance. | |
| Selbstverständlich ist eine individualisierte Gesellschaft kein homogener | |
| Körper, Gott sei Dank. Aber die Konzentration darf nicht auf den | |
| Empörungswellen des Trennenden, sondern muss auf einer gemeinsamen | |
| Wirklichkeit liegen, einem Denken und Sprechen des Miteinander. Deshalb | |
| schlage ich vor, an einer superheterogenen Mitte-Mehrheit zu arbeiten, | |
| deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass sie das Gute an Bundesrepublik und | |
| EU offensiv wertschätzt und das strukturell nicht mehr Funktionierende | |
| ernsthaft repariert haben möchte. | |
| Dazu müssen gerade auch Linke Mitte sein wollen und können. Können wir das? | |
| 25 Oct 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Peter Unfried | |
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