| # taz.de -- Freunde in der Kunst und im Leben: Befreit vom Ideal eines heroisch… | |
| > Sie waren Freunde und wurden berühmt: Eine Ausstellung über John Cage, | |
| > Merce Cunningham, Jasper Johns, Robert Rauschenberg und „Cy Twombly“ in | |
| > Köln. | |
| Bild: Gruppenbild mit Merce Cunningham, John Cage, Karlheinz Stockhausen und Ro… | |
| Die Biografie von John Cage liest sich wie ein „Who’s who“ der westlichen | |
| Moderne. Seine epochalen Ideen entwickelten sich entlang der Inspirationen | |
| durch diese Begegnungen, aber er war auch selbst ein großer Inspirator, | |
| Ideengeber und Katalysator, ein Pionier des genresprengenden Arbeitens. Der | |
| heute vor allem als Komponist geführte Cage war tatsächlich Allrounder, er | |
| oszillierte zwischen Aktions- und Konzeptkunst, Dichtung, Malerei, | |
| Pilzkunde, Philosophie und Musik. | |
| Das Kölner Museum Ludwig präsentiert John Cage nun als das Zentralgestirn | |
| eines bislang von der Kunstgeschichte wenig beachteten Netzwerks von fünf | |
| Freunden, die untereinander auch in wechselnden Liebesbeziehungen verbunden | |
| waren: [1][John Cage, Merce Cunningham,] Jasper Johns, Robert Rauschenberg | |
| und Cy Twombly. Öffentlich gelebt wurden diese Beziehungen damals nicht, | |
| zumal sich während der McCarthy-Ära in den USA die Lage der Homosexuellen | |
| verschärfte, da sie als Bedrohung für die nationale Sicherheit galten. | |
| Als John Cage bei einer Podiumsdiskussion nach seiner persönlichen | |
| Beziehung zu Merce Cunningham gefragt wurde, antwortete er lakonisch: „Ich | |
| koche, und Merce macht den Abwasch.“ Das konnte man zwar als Hinweis auf | |
| die lange Liebesverbindung der beiden Avantgarde-Größen verstehen. Aber | |
| selbst noch 1992, als John Cage starb, wünschte Cunningham in offiziellen | |
| Nachrufen nicht, dass er als hinterbliebener Lebenspartner benannt wurde. | |
| Die Geschichte der fünf Freunde, die nun im [2][Museum Ludwig] in einer | |
| fulminant bestückten Schau nachgezeichnet wird, wäre schon allein unter den | |
| Aspekten der privaten, damals mehr oder weniger heimlich gelebten | |
| Liebesverbindungen interessant genug. Die Ausstellung weist aber | |
| überzeugend nach, dass die intensiven persönlichen Beziehungen auch für das | |
| künstlerische Schaffen aller fünf mehr als folgenreich waren. Dass die | |
| Freunde einander bestärkende Ideengeber waren und die Kunst- und | |
| Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts ohne dieses Netzwerk vermutlich anders | |
| verlaufen wäre. | |
| [3][John Cage und Merce Cunningham] lernten sich 1938 kennen, 1944 verließ | |
| Cage seine Frau und lebte fortan mit dem Tänzer und Choreografen Merce | |
| Cunningham zusammen. Beide unterrichteten ab 1952 gemeinsam am legendären | |
| [4][Black Mountain College] in North Carolina, das sich, geprägt von | |
| Bauhaus-Größen, als Labor des interdisziplinären Arbeitens begriff. | |
| Dort trafen sie auf die jüngeren Studenten Robert Rauschenberg und Cy | |
| Twombly, die nach Rauschenbergs Scheidung seit 1951 ein Paar waren. | |
| Zwischen den vier Künstlern wuchs rasch eine lebendige Verbindung, vor | |
| allem zwischen Cage, Cunningham und Rauschenberg entstand eine kreative | |
| Partnerschaft und eine frappierende gedankliche Nähe. | |
| Das beweist der Auftakt der Kölner Schau, wenn im ersten Raum Cages | |
| Partitur zu seinem epochalen Werk über die Stille „4’33’“ mit Cunningh… | |
| choreografischen Notizen zur „Suite for Five“, Rauschenbergs „White | |
| Painting“ und Blättern mit sparsam hingehuschten Bleistiftspuren von | |
| Twombly sowie Jasper Johns’ „Large White Numbers“ in einen Dialog treten. | |
| Johns erweiterte das Quartett der Freunde seit 1954 und sprengte es später, | |
| als er sich Rauschenberg zuwandte. | |
| ## Das Kreisen um die Stille | |
| Vom Band ist zu hören, wie John Cage mit den Tasten eines Klaviers wuchtig | |
| einzelne Töne in einen ansonsten stillen Raum wirft und damit die Stille | |
| zwischen den Tönen hörbar macht. Später in der Ausstellung ist zu sehen, | |
| wie Cunningham die Stille zwischen Cages Tönen in verharrende Bewegungen | |
| übersetzt und dabei durch Bühnenbilder tanzt, von denen eines [5][als | |
| Rauschenbergs erstes, so genanntes Combine-Painting] gilt. | |
| Das Kreisen um die Stille und ein weißes Nichts begann tatsächlich mit | |
| Gedanken zum Zen-Buddhismus, die sich John Cage über die Stille in der | |
| Musik in seinen „Lectures on Nothing“ machte. Die wiederum inspirierten | |
| Rauschenberg dazu, ein rein weißes Bild zu malen, was wiederum Cage darin | |
| bestärkte, mit seinem bis dahin radikalsten Werk „4’33’“ die Stille zum | |
| einzigen Thema zu machen, nämlich Musik ohne Musik. | |
| Die Ausstellung schöpft ansonsten aus dem Vollen: Für das Projekt haben | |
| sich das [6][Münchener Museum Brandhorst], das die weltweit größte Sammlung | |
| von Twombly-Arbeiten beherbergt, und das Kölner Museum Ludwig mit seinen | |
| umfassenden Beständen von Rauschenberg und Johns zusammengetan. | |
| Was die optischen Eindrücke angeht, stehen wenig überraschend die drei | |
| Maler aus dem Kreis der fünf im Zentrum der chronologisch gehängten | |
| Ausstellung, aber Cage und Cunningham werden doch als treibende und | |
| zugleich verbindende Kräfte gezeigt. So ist das Schaffen des Choreografen | |
| mit Videos, Originalkostümen und kuriosen Requisiten präsent, Cages | |
| Kompositionen dagegen bilden den insistierenden Soundteppich der Schau und | |
| sind in allen Sälen zu hören. | |
| Reich bestückt ist die Schau auch mit dokumentarischem Material, mit Fotos | |
| von Lebensstationen, Alltagsaufnahmen, gegenseitigen Porträtfotos, Briefen | |
| und Postkarten, mit Skizzenbüchern gemeinsam unternommener Reisen, wie der | |
| von Rauschenberg und Twombly nach Nordafrika über Spanien und Rom. | |
| ## Das Glück der Begegnungen | |
| Erstaunlicherweise gibt es allerdings kein Foto, für das sich alle fünf vor | |
| einer Kamera versammelten. Zahllose Fotos in Trio-Besetzung sind zu sehen | |
| und ein kurioses, wo Cage, Cunningham und Rauschenberg in einer Reisegruppe | |
| vor einem Papp-Helikopter zum Drachenfels posieren, der junge Karlheinz | |
| Stockhausen ist auch im Bild. | |
| Anrührend sind besonders die Fotos der jungen Künstler, oft in gelösten, | |
| heiteren Situationen. Sie erzählen viel vom Glück dieser Begegnungen, von | |
| inspirierter Stimmung und geistiger Nähe. Auf manchen Fotos sehen sie sich | |
| sogar täuschend ähnlich, mit ihren lässig aufgekrempelten Hemdärmeln und | |
| den akkuraten Haarschnitten. So ähnlich wie sich phasenweise auch die | |
| ästhetischen Sprachen der fünf annähern. Wenn man in der Schau etwa | |
| nachlesen muss, ob ein Blatt nun eine Skizze zu einem Cunningham-Ballett | |
| ist oder eine von Cages Partituren. | |
| Hoch anzurechnen ist der Ausstellung, dass sie die „Queerness“ der Künstler | |
| und ihre Liebesbeziehungen zwar als Erzählfaden definiert, aber gar nichts | |
| Reißerisches hat. Die Schau guckt nicht durchs Schlüsselloch, sondern | |
| versucht, die Codes und Hinweise auf das Private in den Werken zu finden. | |
| Am offensichtlichsten gelingt das in einem offenen Rondell, das mit | |
| Rauschenbergs „Bett“ von 1955 die prominenteste Leihgabe der Schau zeigt. | |
| Für diese Arbeit aus der Reihe der „Combines“ klebte Rauschenberg sein | |
| eigenes Bett mit Laken und inzwischen ausgebleichter Steppdecke auf eine | |
| Holzunterlage und besprenkelte und bekritzelte den Kopfteil mit Farbe und | |
| Grafit. Wenn man will, kann man in den Kritzeleien im Kopfteil | |
| Reminiszenzen an die typische Arbeitsweise von Cy Twombly erkennen. | |
| Gegenüber steht in der Schau eine „Odalisk“-Skulptur, die Rauschenberg mit | |
| einem ausgestopften Hahn bekrönte, dessen englischer Name „cock“ | |
| bekanntlich doppeldeutig ist. | |
| So nahe die fünf Künstler sich kamen, so wenig leugnet die Ausstellung, | |
| dass ihre jeweiligen Werke für sich einen ganz eigenen Kosmos bilden, sich | |
| annäherten, aber sich auch wieder voneinander entfernten. Die fünf | |
| verfolgten auch nie die Idee, eine Künstlergruppe zu gründen, wie etwa die | |
| „Brücke“- oder „Blauer Reiter“-Künstler des Expressionismus. Geschwei… | |
| denn, dass sie jemals so etwas wie ein Manifest verfassten. Dazu waren sie | |
| wohl alle fünf viel zu durchlässig, zu fluide, in ständiger Bewegung. Und | |
| geprägt durch das Denken eines großen, weißen Nichts, das Erlauschen der | |
| vollständigen Stille und das Warten auf den Eingriff des Zufalls auch | |
| vollständig befreit vom Ideal eines heroischen Künstlertums, das vehement | |
| auf einer einzigen ästhetischen Identität besteht. | |
| So überraschen im späteren Verlauf der Ausstellung die hauchzarte, fast | |
| impressionistisch anmutende Stoffarbeit „Analecta“ von Robert Rauschenberg, | |
| oder skulpturale, fast grob wirkende Arbeiten des nervösen | |
| Strichelkünstlers Cy Twombly. Die Ausstellung beginnt und endet mit Cage: | |
| Im letzten Raum ist sein zeichnerisches Zen-Alterswerk ausgestellt, | |
| Arbeiten, die beiläufig, eher hingeworfen wirken und der Schau einen | |
| wunderbar entspannten Ausklang bescheren. | |
| 14 Oct 2025 | |
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| [1] /Dokumentarfilm-Cunningham-im-Kino/!5641894 | |
| [2] https://www.museum-ludwig.de/de/ausstellungen/fuenf-freunde-john-cage-merce… | |
| [3] /Dokumentarfilm-Cunningham-im-Kino/!5641894 | |
| [4] /Kunst-Avantgarde-Schule-Black-Mountain/!5203068 | |
| [5] /War-Gott-ein-Bildhauer/!1375893 | |
| [6] /Symposium-zu-Koerperbildern/!5743239 | |
| ## AUTOREN | |
| Regine Müller | |
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