| # taz.de -- Überdrehter Meta-Film: Bilder mit klaren Ansagen | |
| > Das Regieduo Cattet und Forzani verzichtet auf erzählerischen Ballast. | |
| > „Reflection in a Dead Diamond“ erinnert an das italienische | |
| > Exploitation-Kino. | |
| Bild: Die Killerfrau hinter der Maske im Fetischanzug | |
| Der alt gewordene Geheimagent John Diman dämmert in einem verlassenen | |
| Luxushotel an der Côte d’Azur dem Ende entgegen und erinnert sich an sein | |
| Leben. Als eine neue Zimmernachbarin einzieht, die kurz darauf | |
| verschwindet, wähnt John Gefahr und fürchtet die Rache seiner früheren | |
| Feinde. Realität und Fantasie verschwimmen, wie man so sagt. | |
| Das ist im Groben dann auch schon der Plot von „Reflection in a Dead | |
| Diamond“. Aber diese Kargheit ist kein Mangel, sondern filmische Methode. | |
| Der Film will nichts erzählen, sondern wirkt wie aus Splittern | |
| zusammengesetzt: Erinnerungen, Angstvorstellungen, fiebertraumartige | |
| Visionen. Das Geschehen entfaltet sich nicht linear, sondern in einer | |
| Abfolge von assoziativen, visuell überladenen Sequenzen. | |
| Nahezu alles, was das italienische Exploitation-Kino der sechziger- und | |
| siebziger Jahre an ästhetischer Überdrehung und Manierismen aufgefahren | |
| hat, findet sich hier wieder: psychedelische Farbspiele, Freeze Frames, | |
| Splitscreens, Comic-Sequenzen, betont kunstvoll wie sadistisch inszenierte | |
| Gewaltszenen, Farbfilter, Nahaufnahmen von Augen und Wunden. | |
| Das Regieduo Hélène Cattet und Bruno Forzani entkleidet die Filme von allem | |
| erzählerischen Ballast. John Dimans jüngeres Ich hat es bei seinen | |
| Aufträgen im Wesentlichen mit so bedrohlichen wie fetischisierten Frauen zu | |
| tun. Allen voran die [1][Modesty-Blaise-artige] Killerin Serpentik, die den | |
| Mythos der Frau als Schlange schon im Namen trägt und zugleich eine | |
| Anspielung auf eine der Hauptreferenzen von „Reflection in a Dead Diamond“ | |
| ist, Mario Bavas farbenfrohen B-Movie-Agentenfilmklassiker „Diabolik“, | |
| erschienen 1968. | |
| Exzessive Gewaltfantasien | |
| Serpentik trägt viele Masken und hantiert mit Klingen, die den Männern | |
| phallisch ins Fleisch schneiden. Zugleich ist ihr Körper, wie der Körper | |
| der meisten Frauenfiguren in „Reflection in a Dead Diamond“, Objekt von | |
| exzessiver Gewalt. Schnell wird deutlich, dass Cattets und Forzanis | |
| filmischer Assoziationsstrom sich – wie schon in ihrem Debüt „Amer“ – … | |
| Gewaltfantasien dreht, die sich an zuvor fetischisierten Frauenkörpern | |
| ausagieren. Und um den männlichen Blick auf das fantasierte Objekt, der | |
| eine Bedingung dieser Fantasien ist. | |
| Schon die Filme, auf die sich hier bezogen wird, wirkten in ihrer | |
| Exzessivität und Ungefiltertheit überdreht und manchmal fiebertraumartig. | |
| Man musste die auf traurige Weise mit Gewalt amalgamierte Sexualität, die | |
| in der ästhetischen Gewalt der Filme von zum Beispiel [2][Dario Argento] | |
| oder [3][Lucio Fulci] ihre Bilder fand, nicht groß herausinterpretieren. | |
| Alles liegt offen da. Die Ästhetisierung der Gewalt geht mit einer | |
| Fetischisierung der Frauenkörper und Körperdetails einher. Bei Fulci waren | |
| es vor allem die Augen, die auch in „Reflection in a Dead Diamond“ eine | |
| zentrale Rolle spielen. | |
| Der Geheimagent John Diman ist als ein weiteres James-Bond-Surrogat ein | |
| Inbegriff von Souveränität und Kontrollvermögen. Der Designeranzug hält die | |
| Form, und was der Körper allein nicht kann, schaffen technische Gadgets als | |
| Erweiterung problemlos. | |
| John Diman trägt zum Beispiel einen Ring, mit dem er durch Wände, | |
| Frauenkleider und die Rückseiten von Pokerkarten hindurchschauen kann. Im | |
| Alter verliert der Agent mehr und mehr die Kontrolle über seine | |
| Fantasietätigkeit und versinkt in einem fiebertraumartigen Delir, in dem | |
| Gewaltfantasien, Misogynie und Popmythen immer wüster | |
| durcheinanderrauschen. | |
| Tod auf der Leinwand | |
| Hélène Cattet und Bruno Forzani mögen ihre Bilder offensichtlich gern | |
| rätselhaft und überdeutlich zugleich. Ständig wird die männliche | |
| Heldenfigur dazu gezwungen, sich selbst anzuschauen. Vor allem in dem Bild, | |
| das die Spiegelpailletten des Kleides seiner Partnerin auf ihn zurückwerfen | |
| (die wenig später ermordet wird, während sie Sex auf einer Gemäldeleinwand | |
| hat und so noch im Sterben buchstäblich ein schönes Bild abgibt). | |
| Man hat über weite Strecken Probleme, sich in diesem Film zurechtzufinden, | |
| was auch mit seiner von Anfang bis Ende durchgezogenen Reizüberflutung zu | |
| tun hat. Alle Regler sind auf zwölf. Das Schöne an ihm ist, dass er | |
| ausschließlich als Meta-Kino funktioniert, sich aber trotzdem nie ins | |
| Ironische oder betont Schlaue rettet. | |
| Seine Eitelkeit artikuliert sich nicht, indem er sich über die | |
| Filmgeschichte stellt, sondern darin, dass er zeigen will, wie souverän er | |
| die Stilmittel reproduzieren, beherrschen und erweitern kann. Das | |
| Dauerfeuer von Ornamenten und Manierismen wird immer wieder durchbrochen | |
| von Bildern, die wie klare Ansagen funktionieren. | |
| Unter einer der vielen Masken, die John Diman seiner als Schlange und Femme | |
| Fatale konstruierten Erzfeindin vom Gesicht reißt, findet er sein eigenes. | |
| Der „tote Diamant“, in dem sich alles hier spiegeln soll, ist das Genrekino | |
| einer vergangenen Ära. Dessen Fantasien, Neurosen und Blickkonstellationen | |
| sind nach wie vor präsent und laut „Reflection in a Dead Diamond“ wohl auch | |
| zerstörungswürdig. | |
| Eine symbolische Destruktion allerdings, die ambivalent und damit produktiv | |
| bleibt. Einfach, weil die Bilder und ihre Montage nicht von oben herab | |
| gedacht sind, sondern die Filme, die sie auf die Analytiker-Couch zwingen | |
| und ins Assoziieren bringen, im selben Zuge feiern. | |
| 10 Oct 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Benjamin Moldenhauer | |
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