Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- berliner szenen: Der Bansky von Neukölln
Heute sind es Schlüssel und Schlüsselbunde, an anderen Tagen kleine
Kiessteine oder Schnapsflaschen. Manchmal auch nicht mehr erkennbarer Müll-
oder Essensreste, zerknautschte Brot- oder Döner-Tütchen mit Soße darin,
die jemand auf Strom- und Verteilerkästen, Fensterbänke und Baumränder
hinterlässt. Doch nicht einfach so, sondern auf eine Art und Weise
arrangiert, die an ein kleines Kunstwerk denken lässt: geometrisch, mit
gleichem Abstand zueinander, farblich angepasst – eine Botschaft? Ein
Zauberritual? Guerrilla-Kunst?
Das frage ich mich, seit ich wieder joggen gehe und mich an diesem Kasten
bei mir um die Ecke dehne, bevor ich unter die Dusche springe. Ich schaue
nach links und rechts, um zu prüfen, ob noch jemand Zeuge davon wird.
„Guckt mal!“, möchte ich sagen, aber die Bauarbeiter auf der Baustelle
gegenüber sind zu beschäftigt, Schulkinder eilen ohne mich zu beachten zur
Schule, ihre Eltern folgen ihnen mit dem Handy in der Hand, und die
Passant*innen konzentrieren sich amüsiert eher auf meine Dehnpositionen.
Einmal glaube ich, den Menschen erwischt zu haben, der auf der Straße
liegende Matratzen mit „666“ und leere Farbeimer mit Smileys besprüht – …
er das vielleicht, der Bansky von Neukölln? Sind die Müllhaufen, die oft um
die Ecke liegen, auch Teil des Werkes? Wäre Neukölln ohne sie Neukölln?
Immer wenn ich die kleinen (oder auch die großen) Kunstinstallationen
betrachte, denke ich an meine Freundin, die zwei Straßen weiter wohnte und
in die Schweiz gezogen ist. Wenn sie zu Besuch kommt und sich die
vermüllten Straßen unseres Kiezes anschaut, sagt sie immer: „Wie schön, das
vermisse ich.“ Deshalb fotografiere ich Müll für sie und auch die
mysteriösen Gegenstände – vielleicht kommt sie irgendwann vor lauter
Sehnsucht zurück.
Luciana Ferrando
5 Sep 2025
## AUTOREN
Luciana Ferrando
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.