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# taz.de -- Der Hausbesuch: 1996 geschah es
> Richard Rohnert ist Gewerkschafter, Metalhead, Sneakerfreak und seit 30
> Jahren VfL-Bochum-Fan. Seine Heimat: die Ostkurve.
Bild: Den Aufstiegskampf kennt Richard Rohnert nicht nur als Bochum-Fan, sonder…
Da ist etwas jugendlich Ungezähmtes an Richard Rohnert, obwohl er sich mehr
und mehr Gedanken über das Alter macht. „Aber [1][in Wacken] war ich noch
lange nicht der Älteste.“
Draußen: Die Ewaldistraße im szenigen Agnesviertel in Köln ist abgesperrt.
Sie soll klimafest gemacht werden, Bäume werden gepflanzt. Sie bekommen
eigens eine Drainage, damit sich das Regenwasser in Wurzelnähe sammeln
kann. Weniger Parkplätze soll es auch geben. Passanten freut es,
Autofetischisten nicht.
Drinnen: Die Vierzimmerwohnung, Altbau, ist aufgeräumt. Der Stil ist
funktional, gepaart mit Ausgewähltem, dem Sessel etwa aus tschechischer
Designproduktion aus den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Im Büro von
Richard Rohnert reichen die Bücherregale bis zur Decke, ganz oben sind die
blauen Bände von Marx. Neben dem Schreibtisch stapeln sich drei Türme
Zeitschriften je einen halben Meter hoch. Es sind mehrere Jahrgänge der
Blätter für die deutsche und internationale Politik, von Z. Zeitschrift
marxistische Erneuerung und von 11 Freunde. Auf der anderen Seite ein
Metallschrank. „Das war mal ein Schuhschrank aus der tschechischen
Schuhfabrik Bata“, erzählt Rohnert. Darin stehen 20 Paar Turnschuhe. „Für
Sneaker hab ich ein Faible.“ Im Flur hängt ein Hundertwasserplakat,
„Künstler für den Frieden“, das eine Großveranstaltung 1982 rund ums
Ruhrstadion in Bochum ankündigt. Es bündelt, was Rohnert wichtig ist:
Zusammenhalt, Leidenschaft, Fußball, Frieden.
Frieden: Der Besuch bei Rohnert fällt auf den 80. Jahrestag des
Atombombenabwurfs auf Hiroshima. Es ist noch nicht lange her, da war er mit
seiner Partnerin, die in Hamburg geboren wurde als Tochter koreanischer
Einwanderer, in der Stadt in Japan. Das Friedensmuseum habe kühl auf ihn
gewirkt, aber als er die Glaskästen im Friedenspark sah, [2][wo Kinder aus
aller Welt Origami-Kraniche] hinschicken als Zeichen des Friedens, da habe
es ihn gepackt. Ihm kommen auch jetzt die Tränen, als er die Geschichte von
Sadako Sasaki erzählt, an die die Kraniche erinnern. Zwölfjährig erkrankte
sie ein Jahrzehnt nach dem Atombombenabwurf an Leukämie als Folge der
atomaren Verstrahlung. Der Legende nach hat, wer tausend Origami-Kraniche
macht, einen Wunsch frei. Als Sadako davon hörte, begann sie mit all ihrer
schwindenden Kraft, die Papiervögel zu falten. Sie wünschte sich so sehr zu
leben. Sie schaffte mehr als tausend Kraniche. Vergebens.
Leidenschaft: Wie Sadako geht auch Richard Rohnert in dem auf, was er tut.
Und davon gibt es vieles, nicht nur, dass er die Welt besser machen will
als Gewerkschafter. Er ist auch Marathon gelaufen und Fallschirm
gesprungen, er spielt Gitarre; (statt „ich spiele“ sagt er „ich
dilettiere“). Er feuert seit 30 Jahren den VfL Bochum an. Und er ist
Heavy-Metal-Fan. Früher auch so einer, der mit langen Haaren seinen Kopf in
Schwingung brachte. Das Wochenende zuvor war er in Wacken zusammen mit
seinem ältesten Sohn. „Fünf Tage standen wir im Schlamm.“ Das
Heavy-Metal-Festival in Wacken sei Ehrensache. „Außerdem ist es ein
Vater-Sohn-Ding.“
Saarland: Geboren ist Richard Rohnert in Saarlouis 1963. Schon als
Jugendlicher sei er Metalhead gewesen. „Die Konzertkarten von AC/DC und den
frühen Deep Purple, als die in Saarbrücken waren, hab ich noch.“ Er habe
das richtig ausgelebt. Wie alles. Aufgewachsen sei er auf Abraumhalden.
„Auf Kohle geboren, auf Asche groß geworden.“ Seine Vorfahren: Bergleute.
Der Vater war Kranführer auf der Dillinger Hütte, seine Mutter Verkäuferin.
Sie hätte den Vater nicht geheiratet, wenn er unter Tage geblieben wäre.
„Beim Grubenunglück in Luisenthal 1962 war mein Onkel ums Leben gekommen.“
Mehr Einflüsse: Als Schüler kam er zur Friedensbewegung. Mutter Courage von
Bertolt Brecht habe ihm was klar gemacht. Später Kriegsdienstverweigerung
versteht sich. Oskar Lafontaine wiederum trifft er beim Zugfahren. Der
bringt ihn zur SPD. „Wir duzen uns“, erzählt Rohnert. Als die SPD im
Jugoslawienkrieg dem Nato-Einsatz zustimmt, tritt er wieder aus.
Karriere: Trotz Wirtschaftswunder galt für seinen Vater: einmal Arbeiter,
immer Arbeiter. Als Richard Rohnert auf dem Gymnasium an Latein und
Französisch scheitert, sagte der Vater zum Sohn: „Kannst auf der Hütte doch
’ne Elektrikerlehre machen.“ Rohnert lernt dann aber erst mal Technischer
Zeichner, geht in die Gewerkschaft, macht Jugendarbeit im Betrieb. Die IG
Metall schickt ihn 1987 auf die Akademie der Arbeit in Frankfurt. Die
bietet Arbeiterkindern so was wie ein Studium Generale, um sie fit zu
machen für die Gewerkschaftsarbeit. Seither ist Rohnert fast durchweg
hauptamtlicher Gewerkschafter. Er kümmerte sich um Jugendbildungsarbeit,
Tarifpolitik in der Bezirksleitung in NRW, Bildungsarbeit für Erwachsene.
Seit 2019 ist er Schulleiter des [3][Bildungszentrums der IG Metall in
Sprockhövel] bei Bochum.
Rolling Stone: Als er mit den Jobs bei der Gewerkschaft anfing, war er noch
in seiner wilden Phase. Er sei ein Rumtreiber gewesen, sei ewig umgezogen.
Dass er jetzt schon elf Jahre in der gleichen Wohnung lebt, sei die
Ausnahme. Gerade hört er den Podcast „100 Songs“, mit dabei „[4][Papa Wa…
Rolling Stone“] von den Temptations. „Wherever he laid his hat was his
home“ – „wo er seinen Hut hingelegt hat, ist er zu Hause“, heißt es da…
bringe seine Umtriebigkeit auf den Punkt. Wie da noch zwei Ehen und zwei
Kinder reinpassten, weiß er auch nicht genau. Nach der ersten Scheidung
macht er den Motorradführerschein und fährt mit dem Motorrad durch
Patagonien. Nach der zweiten lernt er Fallschirmspringen. Mit seiner
dritten Frau ist er verpartnert. Wie er und seine Söhne hat auch sie eine
Dauerkarte für den VfL Bochum. Ostkurve P links. Er hat alle angefixt.
Schockverliebt: Am 22. November 1996 geschah es. Ein Heimspiel. [5][VfL
gegen Borussia Mönchengladbach]. Bochum gewinnt 2:0. „Es war kalt. Aber wer
in Wacken war, für den ist Wetter keine Kategorie.“ Plötzlich war es um ihn
geschehen. „Ich verliebte mich in den VfL, hemmungslos und ohne die Folgen
zu beachten.“ Er sieht den Spieler Thomas Stickroth, „den schönen Thomas�…
noch heute vor sich: „Schlank, lange Haare. Das Trikot mit der
Regenbogenfahne.“
Kämpfen: Als VfL-Fan kennt er den Abstiegskampf, als IG Metaller den
Arbeitskampf. Rohnert ist Gewerkschafter mit Leib und Seele. Aber er hat
ein paar offene Fragen zu den klassischen Gewerkschaftsdogmen, die nicht
mehr aufgehen. Wie etwa kann Produktivitätsfortschritt heute sozialen
Fortschritt mit sich bringen? „Das geht nicht mehr auf.“ Alles sei auf dem
Prüfstand. „Wir stehen vor gigantischen Herausforderungen, Klima, Frieden,
Rassismus, KI – und nichts ist mehr, wie es war.“ Soll man plötzlich wegen
Putin für die Rüstungsindustrie sein, weil diese Arbeitsplätze schafft?
„Und Gaza, das nächste Problem“, nimmt er den Ball auf. „Die U-Boote für
Israel werden in Kiel gebaut.“ Oder Klimawandel? „Da gibt es viele
Kollegen, die am Verbrenner arbeiten. Für den braucht es mehr Arbeitszeit
als fürs E-Auto, also bringt’s auch mehr Wertschöpfung.“ Das Füllhorn an
Widersprüchen ist brechend voll.
Zielgruppen: Ob man überhaupt noch Leute für die Gewerkschaft begeistern
kann? Er bejaht. Im Vorfeld, also bevor die Leute in Arbeit gehen, finde
Politisierung eher nicht mehr so statt. „Sondern durch unsere Arbeit.
Gerade migrantische Jugendliche, die noch mehr im Kollektiv denken,
verstehen, worum es geht. ‚Yalla Metalla‘, das ist unsere kampfstärkste
Truppe.“ Ob es Parallelen gibt zwischen Arbeitskampf und Abstiegskampf?
„Ja“, sagt er, „den Aufstiegskampf.“
Hoffnung: Was den Aufstiegskampf angeht, kennt sich Richard Rohnert aus.
Siebenmal ist der Verein schon aufgestiegen. Der VfL sei altes SPD-Milieu.
Rohnert schwärmt vom Stadionerlebnis, alles daran sei perfekt, die
Stehplätze, die Bratwürste, der Rauch. „Facci sonare“, sagt er, lass uns
träumen. Das kommt auch im Lied in der Fankurve vor. Wenn jemand ihm auf
dem Weg zum Stadion „schönes Spiel“ zuruft, frage er sich, was das soll.
„Wir wissen, im Zweifel wird es ein Scheißspiel, aber wir sind trotzdem da.
Wenn du für den VfL bist, wirst du mehr Niederlagen als Siege erleben, es
ist eine Charakterfrage. Aber du lernst, nie die Hoffnung zu verlieren.“
Rohnert kann nicht genug Worte finden, um seine Liebe zur samstäglichen
Ekstase zu beschreiben. Er sagt: „Wenn ich die Stufen im Stadion hochgehe,
das fühlt sich wie Heimat an.“
28 Sep 2025
## LINKS
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[2] /Gedenken-an-Hiroshima/!5931538
[3] https://igmetall-sprockhoevel.de/
[4] https://podcasts.apple.com/de/podcast/papa-was-a-rolling-stone-von-the-temp…
[5] https://www.transfermarkt.de/vfl-bochum_borussia-monchengladbach/index/spie…
## AUTOREN
Waltraud Schwab
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