# taz.de -- die sache ist: Aufgewühlte Verhältnisse | |
> Wellen sind eine Metapher – für fast alles. Elmar Lampsons Oper „Wellen�… | |
> gelingt es in Bremen nicht, von dieser Vielfalt zu profitieren | |
Bild: Abb.: Creazilla (CC BY 4.0) | |
Zu den erfolgreichsten Sprachbildern überhaupt zählt: die Welle. Einiges | |
spricht dafür, dass es damit im Laufe des 19. Jahrhunderts erst so richtig | |
losging. Da wurde die Welle endgültig zum Ausdruck des seit dem 17. | |
Jahrhundert berechenbaren Unsichtbaren, dem Schall etwa. Musiktheatral | |
verheißungsvoll wirkt es daher, einer Oper den Titel „Wellen“ zu geben. Wie | |
Musik besteht aber auch das Unfassbare des Lichts aus Wellen | |
unterschiedlicher Frequenz und Länge. Und gleich das Geheimnis des | |
unergründeten japanischen Reichs an sich scheint sich in Hokuais | |
Wunderholzschnitt von der „großen Welle von Kanagawa“ zu konzentrieren. | |
Ebenso hilft um 1900 die Wellen-Metapher die Epochen der Kunst- und der | |
Sprachgeschichte zu ordnen und die – durch die Industrialisierung gänzlich | |
entfesselten – sozialen Dynamiken der Mode. | |
Etliche Romane tragen Wellen im Titel. Einer davon, Virginia Woolfs „Die | |
Wellen“ (1931), ist Weltliteratur. Einen anderen hat Eduard von Keyserling | |
1911 verfasst. In seinen 15 Kapiteln fällt das W-Wort 54-mal, davon 45-mal | |
im Plural. Er spielt an der Ostsee und ist schön zu lesen, ohne das | |
Potenzial seiner Titelfigur auszuschöpfen. Lieben wird ihn, wer pittoreske | |
Namen wie „von Knospelius“ oder „von Buttlär“ mag. Ein Muss schließli… | |
er für alle, die sich für den Niedergang des syphillitischen baltischen | |
Adels um 1900 interessieren: Sein Thema sind damals unkonventionelle | |
Lebensformen – Scheidung, wilde Ehe, die Beziehung einer Frau mit mehreren | |
Männern … Da schlugen seinerzeit sicher die Wogen hoch. | |
Heute würden sie sich nicht einmal kräuseln: Warum also daraus eine Oper | |
machen? „Ursprünglich schwebte uns als Vorlage der Roman ‚Die Blendung‘ … | |
Elias Canetti vor“, hat Komponist Elmar Lampson dem Weser-Kurier erzählt. | |
Aber der vor über 30 Jahren gestorbene Literaturnobelpreisträger hat eine | |
solche Bearbeitung seines witzigen Panoptikums herrlich irrer Figuren | |
verboten. Wie aus Trotz haben sich Lampson, Dirigent Yoel Gamzou und | |
Librettistin Julia Spinola also Keyserlings charmanten Ladenhüter | |
ausgesucht, dem die Dramaturgie irgendwelche Vorahnungen andichten muss, um | |
sein Relevanzdefizit mit Floskeln wegzuspülen. Der feinen Ironie der | |
Vorlage begegnet Lampsons Komposition oft durch Pathos, das wirkt, als | |
hätte er lieber wie Ralph Vaughan Williams eine tosende See-Symphonie | |
geschrieben. | |
Dabei ist das Ganze didaktisch klar strukturiert, durch genuschelte Dialoge | |
– wo sind die Obertitel, wenn man sie mal braucht?! – und Gesangspassagen, | |
die so oft wiederholt werden, dass sie auch ungeübte Operngänger*innen | |
im Laufe des Abends wiedererkennen. Instrumentierung und Harmonik wirken | |
wie musikhistorische Referenzen an die Entstehungszeit des Romans, | |
engagiert und beschwingt bringen die Philharmoniker diese immer mal wieder | |
ins Kitschige schwappende Neospätromantik zu Gehör. Prima sind die | |
Solist*innen: Beeindruckend meistert Elisa Birkenheuer die extrem | |
schwierige und zugleich undankbare Koloratur-Partie der Tochter des Hauses | |
derer von Buttlär. Deren pubertäres Gefühlschaos hatte schon Keyserling | |
verspottet, Lampson nun gibt es durch karikaturhaft komponierte Kiekser | |
vollends der Lächerlichkeit preis. Blass bleiben die übrigen Figuren, und | |
regelrecht plump wirkt die programmmusikalische Gestaltung der Wellen | |
selbst: Im quälend lange sich ziehenden Schlussbild mündet die Musik alle | |
paar Takte in denselben Trugschluss in Dur. | |
Danach muss es selbstverständlich weitergehen, so wie ja auch die Wellen | |
nie aufhören: „Es würde reichen, die Geduld nicht zu verlieren“, heißt es | |
in Italo Calvinos Geschichte vom scheiternden Versuch, eine Welle isoliert | |
zu betrachten, „was aber nicht lange auf sich warten ließ.“ Der Sinn der | |
Wellen aber bleibt dunkel und ungewiss. Benno Schirrmeister | |
12 Jun 2025 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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