# taz.de -- Beinahe vergessen | |
> Die Uni Braunschweig hat ihre Kunstsammlung im Magazin wiederentdeckt: | |
> Das Städtische Museum zeigt sie und erinnert sich dabei auch an ihren | |
> allzu flott entnazifzierten Gründer | |
Bild: Rolf Neschs 1961/1962 entstandene experimentelle Metalldruck-Serie „San… | |
Von Bettina Maria Brosowsky | |
Es gibt schon ziemlich spezielle Kunstsammlungen in öffentlichem Besitz. In | |
Braunschweig zählen dazu zwei ursprüngliche Lehrsammlungen. Die eine, nach | |
ihrem Gründer, dem Kunstprofessor Ernst Straßner benannt, wird gegenwärtig | |
in einer Sonderausstellung im Städtischen Museum präsentiert. Dort begegnen | |
ihr auch Stücke aus der anderen, die genauer zu betrachten es sich lohnt, | |
nämlich einer Formsammlung für die künstlerisch ästhetische Erziehung | |
angehender Handwerker:innen: Ab 1942 durfte der Maler, Designer und | |
Werbegrafiker Walter Dexel (1890–1973) sie im Auftrag der Stadt anlegen, | |
auch mit Stücken, in deren Besitz er in den besetzen Niederlanden, in | |
Frankreich und Belgien kam. | |
Fortgeführt durch seinen Sohn Thomas (1916–2010), wuchs eine auf 5.500 | |
Objekte geschätzte Kollektion von für vorbildlich erachtetem Handwerksgut | |
seit der Antike. Der kleine Auszug aus ihr, den das Städtische Museum | |
zeigt, wird dort von einer Glasserie ihres Gründers aus den 1940er-Jahren | |
sowie Beispielen seiner Malerei flankiert. | |
Ernst Straßner (1905–1991) wiederum bildete von 1947 bis 1973 an der | |
Pädagogischen Hochschule als Professor für Kunstdidaktik | |
Grundschullehrkräfte aus. Ein lästiger Brotberuf, wie er fand: Er sah sich | |
nämlich als Künstler, selbstbedauernd nur regional geschätzt ob seines | |
Beharrens auf einer gegenständlichen Auffassung. Als einen Bruder im Geiste | |
bewunderte er Hans Purrmann (1880–1966). Dieser Schüler von Henri Matisse | |
war lange in Paris tätig und international anerkannt. | |
## Gegenständlich bevorzugt | |
In Florenz baute er als ihr Leiter die „Villa Romana“ zu einem Zentrum für | |
in Deutschland als „entartet“ verfemte Kunst aus. Er lebte in München, von | |
wo er 1943 ins Schweizer Exil floh. Purrmann war politisch also ohne Makel. | |
Nicht so Straßner: Noch früher als Walter Dexel war er 1933 in die NSDAP | |
eingetreten. Und genauso reibungslos wie jener wurde er nach 1945 | |
„entnazifiziert“. Beide konnten ihre akademische Laufbahn fortsetzen. | |
Verglichen mit der Dexel-Sammlung ist Straßners Fundus klein. Einst | |
umfasste er wohl gut 120 Arbeiten. Malerei, Zeichnung, Druckgrafik und | |
Plastik repräsentieren ein Spektrum realistisch gegenständlicher Kunst vom | |
späten 19. Jahrhundert bis zur 1964 entstandenen „Gruppe Zebra“, deren | |
Mitglieder sich nach 1980 trennten. Straßners Assistent Rudolf Schönhöfer | |
kaufte später noch zeitgenössisch abstrakte Druckgrafik hinzu, ein Gegenpol | |
zum bisher bevorzugten Realismus. Straßner selbst spendierte eigene | |
Arbeiten. Aber wie kam es zu dieser Sammlung, und wieso war sie in den | |
letzten Jahrzehnten „unsichtbar“, nicht mehr im öffentlichen Bewusstsein? | |
Trotz staatlicher Trägerschaft durfte die Hochschule eigene Mittel | |
einwerben, etwa aus Vermietung der Aula. Sie wurden für „etwas Bleibendes | |
zur Freude und eigenen Bildung“ verwendet, wie Straßner 1955 an Purrmann | |
schreibt. Drei von dessen Gemälden wurden 1956 angekauft, als | |
programmatische Basis der Sammlung. Deren ältestes Stück ist ein Druck von | |
Aristide Maillol, ein weiblicher Akt aus dem Jahr 1895, zu ihr gehören das | |
farbenfrohe Pastell „Frühling in Degerloch“ der Bauhäuslerin Ida Kerkoviu… | |
eine mehrteilige Grafik von Lovis Corinth und Einzelblätter von Ernst | |
Barlach. Schon 1957 wurde das altmeisterlich anmutende „Bildnis Lilo“ von | |
Rudolf Levy erworben, ein enger Weggefährte Purrmanns. Der jüdische Maler | |
wurde von den Nazis 1943 in Florenz aufgespürt, deportiert und 1944 in | |
Auschwitz ermordet. | |
Die Sammlungsstücke sollten Lehrveranstaltungen wie „Kunstbetrachtung von | |
Originalen“ oder „Malerei in ausgewählten Beispielen“ dienen: An ihnen | |
sollte das Wesen eines Werkes und seine Zeitbezogenheit erkannt werden. | |
Auch zur Dekoration von Büros, Hörsälen und Treppenhäusern der Hochschule | |
nutzte man sie. Von dort wurde so manches Stück geklaut. Während | |
Baumaßnahmen verschwand sogar eine drei Zentner schwere Bronze. | |
In den 1980ern kam die Sammlung in die Obhut der Uni-Bibliothek, Teile | |
wurden ab und an noch gezeigt. Dann verschwand sie im Magazin. Dort hat sie | |
2023 die wissenschaftliche Mitarbeiterin Laura Breede „ausgehoben“ – und | |
war erstaunt über die Qualität. Breede hat die Geschichte rekonstruiert, | |
einen Katalog sowie die Ausstellung erarbeitet, die sie in sechs | |
thematische Kapitel gegliedert hat. | |
Später werden die Werke laut Breede wieder eingelagert. Dafür wurde das | |
Magazin aufgerüstet. Bislang in Vergessenheit geratene Künstler wie Hans | |
Purrmann oder Rudolf Levy würden aktuell wiederentdeckt, so die | |
Kunsthistorikerin. Da könnten Leihgaben aus der Sammlung willkommen sein. | |
Bis Ende des Jahres soll ein digitaler Bildindex wenigstens für ein Minimum | |
an Sichtbarkeit sorgen. | |
16 May 2025 | |
## AUTOREN | |
Bettina Maria Brosowsky | |
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