| # taz.de -- Spektakuläre Ausstellung in Paris: Mode, Geld und Kunst | |
| > Die Fondation Louis Vuitton zeigt in Paris die Sammlung Morosow. Das ist | |
| > eine atemberaubende russische Kunstkollektion mit Werken der Moderne. | |
| Bild: Die Moderne entdecken: Vincent van Gogh, La Mer aux Saintes-Maries, 1888 … | |
| Der Eiffelturm beherrscht immer noch das Stadtbild von Paris, aber [1][an | |
| den Champs-Élysées] prägen es die angesagten Modehäuser der weltbekannten | |
| französischen Luxusmarken. Sie konnten selbst [2][während der Pandemie] | |
| ihre Gewinne steigern, etwa Dior und Louis Vuitton. Beide Marken gehören | |
| zum Wirtschaftsimperium von Bernard Arnault, der auch als Liebhaber der | |
| schönen Künste bekannt ist. | |
| Sein Luxus-Label LVMH erbringt satte Erträge und inzwischen wird neben Mode | |
| auch mit anderen angesagten Dingen Geld verdient, wie dem kreiselförmigen | |
| Lautsprecher von Louis Vuitton „Horizon Light Up“ im Space-Design. Aus den | |
| Gewinnen speist sich die Louis-Vuitton_Stiftung, die seit 2014 in einem | |
| futuristischen Bau von Frank Gehry im Bois de Boulogne mit museumsreifen | |
| Ausstellungen überzeugt. Verantwortlich ist die Kunsthistorikerin Susanne | |
| Pagé, agiert aber stets in Abstimmung mit dem Präsidenten der Stiftung, | |
| Bernard Arnault, wie explizit betont wird. | |
| Das reichlich vorhandene Geld setzen beide in qualitativ schwer zu | |
| übertreffende Ausstellungen um. 2016 etwa verkaufte die Institution | |
| rekordverdächtige 1,2 Millionen Tickets, als die Sammlung des russischen | |
| Kunstenthusiasten Sergei Iwanowitsch Schtschukin gezeigt wurde, der mit | |
| Vorliebe Monet, Picasso, Matisse und russische Avantgarde erwarb. | |
| Mit einjähriger Corona-Verspätung präsentiert die Fondation Louis Vuitton | |
| jetzt die zweite bedeutende russische Sammlung französischer und russischer | |
| Moderne, die der Brüder Morosow. Die Ausstellung ist von atemberaubender | |
| Qualität, die kuratorische Philosophie von Anne Baldassari zeigt sich nicht | |
| zuletzt in der Perfektion von Inszenierung und Lichtregie. | |
| Die beiden Brüder Michail (1870–1903) und Iwan Morosow (1871–1921) machten | |
| ihr Vermögen in der Textilbranche, wie ihr kunstbesessener Mentor, Sergei | |
| Schtschukin. Gemeinsam plante man sogar ein Museum französischer | |
| zeitgenössischer Kunst in Moskau, aber dazu kam es nicht. | |
| ## Die Moderne entdecken | |
| Bei den Morosows war Malerei Teil ihres Alltags, sie malten selbst. In | |
| ihrem Sammeln konzentrierten sie sich zunächst auf die Werke russischer | |
| Zeitgenossen wie Larionow, Repin, Wrubel, Serow, bevor sie im letzten | |
| Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts, bei verschiedenen Reisen nach Paris, die | |
| französischen Impressionisten, Postimpressionisten, Kubisten und die | |
| gesamte Moderne entdeckten. | |
| Diese Kunst war damals noch umstritten und ihre Protagonisten galten als | |
| Außenseiter des Pariser Salons. Die Morosows begannen sie zu sammeln und zu | |
| fördern und inspirierten damit eine ganze Generation russischer | |
| Künstlerinnen und Künstler, wie es die Ausstellung thematisiert, indem sie | |
| russische und französische Kunstwerke in Dialog setzt. | |
| Auguste Renoirs Porträt von Jeanne Samarys lächelt einen an und man glaubt | |
| sie und viele andere Porträts und Kunstwerke zu kennen, so vertraut sind | |
| sie uns durch Abbildungen – sind sie doch allesamt ikonische Werke der | |
| Kunstgeschichte. Allein die Bilder von Paul Cézanne und Henri Matisse | |
| füllen jeweils einen ganzen Saal; Van Goghs „La Ronde des prisonniers“ (Die | |
| Runde der Gefangenen) hängt allein in einem abgedunkelten Raum, wodurch das | |
| Dramatische der Gefängnisszene gesteigert wird. | |
| ## Picasso in Russland | |
| Iwan Morosow brachte auch das erste Bild von Pablo Picasso nach Russland, | |
| „Les Saltimbanques“ (Die Gaukler), auch das einzige Bild von Edward Munch, | |
| das sich bis heute in Russland findet, kaufte er, aber Künstlerinnen finden | |
| sich hier nur vier. Zwei Bronzeskulpturen von Camille Claudel fallen durch | |
| ihre Leichtigkeit ins Auge und sind neben Skulpturen ihres Kollegen Auguste | |
| Rodin beziehungsvoll platziert. Natalja Gontscharowas Abstraktionen sind | |
| mit Malewitschs Werken in Kontext gesetzt; gerne hätte man mehr von ihren | |
| Arbeiten gesehen. | |
| Iwan Morosow gab bei Pierre Bonnard fünf monumentale Werke für seine | |
| Wohnräume in Auftrag. Im eins zu eins in der Ausstellung nachgebauten | |
| weißen Saal, dem Musiksalon in Iwan Morosows Haus, haben Skulpturen von | |
| Aristide Maillol und Wandgemälde von Maurice Denis ihren großen Auftritt, | |
| wobei das Publikum einen Eindruck vom verlorenen Ambiente des russischen | |
| Großbürgertums bekommt. | |
| Insgesamt ist die Inszenierung der Morosow-Sammlung darauf angelegt, das | |
| Besondere, das Avantgardistische jedes einzelnen Kunstwerks hervorzuheben | |
| und den Betrachter*innen Raum zum Nachdenken zu geben. Gleichzeitig ist | |
| man aber wie betäubt von der Fülle und der Schönheit der Kunst und ahnt | |
| dann auch dunkel das logistische Meisterwerk dahinter. | |
| ## Von Stalin verbannt | |
| Dabei sind die enormen Versicherungssummen noch das geringste Problem, | |
| bedenkt man, dass die Veranstaltung zunächst ein hochkarätiger politischer | |
| Akt ist, unter Schirmherrschaft des französischen und des russischen | |
| Präsidenten. | |
| Die Leihgaben kommen aus russischen Museen, vor allem aus dem | |
| Puschkin-Museum und der Tretjakow-Galerie in Moskau und der Eremitage in | |
| St. Petersburg, denn die Morosow-Sammlung, wie die Schtschukin-Sammlung, | |
| wurde nach der Revolution entwendet, verstaatlicht und von Stalin in | |
| diverse Museumskeller verbannt. | |
| Auch dieser unrühmliche Teil der Geschichte wird ausführlich und mit | |
| Blow-ups von Originalfotos dokumentiert. Erst nach Maueröffnung und | |
| Perestroika Anfang der 90er Jahre wurden die Kunstwerke wieder in die | |
| Ausstellungsräume der Museen integriert und der russischen Öffentlichkeit | |
| gezeigt. | |
| 8 Nov 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Renata Stih | |
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