# taz.de -- 1916 Der Historiker Alexander Emmerich über die Olympischen Spiele… | |
Bild: Soldaten beim Hindernislauf während der Einweihung des Deutschen Stadion… | |
Interview Gunnar Leue | |
taz: Herr Emmerich, vor 80 Jahren fanden in Berlin die Olympischen Spiele | |
statt. Wäre nichts dazwischengekommen, würde Berlin in diesem Jahr | |
allerdings auf das Jubiläum 100 Jahre Olympische Spiele blicken, denn | |
eigentlich waren die schon für 1916 an die Stadt vergeben worden. | |
Alexander Emmerich: Das stimmt. Am 4. Juli 1912 hatte das IOC die sechsten | |
Spiele der Neuzeit nach Berlin vergeben. | |
Warum wollte Berlin die Spiele ausrichten, weil die Berliner das ersehnten, | |
die Sportfunktionäre oder der Kaiser? | |
Die Vorfreude der Bevölkerung auf Olympische Spiele war damals wenig | |
ausgeprägt, denn sie waren ja längst nicht so ein Event wie heute und auch | |
medial wenig präsent. Die Menschen wussten aus den Zeitungen, dass es die | |
Spiele gibt, aber wenn man dabei sein wollte, musste man schon hingehen. Da | |
war das Interesse bei den Sportfunktionären schon größer, und auch Kaiser | |
Wilhelm II. wollte die Spiele, um Berlin in der Riege der großen | |
Hauptstädte London und Paris zu sehen, die sie bereits ausgerichtet hatten. | |
Gerade mit Blick auf England und Frankreich wollte das Deutsche Reich | |
gleichziehen. Das Kaiserreich war ja, nachdem es zu einer | |
wirtschaftsstarken Nation geworden war, überall bestrebt, sich als | |
Weltmacht zu präsentieren. In der Hinsicht passte so ein Weltereignis gut, | |
auch wenn die Olympischen Spiele zu der Zeit noch relativ jung waren. | |
War denn der Kaiser ein Sportfan? | |
Das weiß ich nicht, aber ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass er | |
sportbegeistert war. Das Selbstverständnis von Sport war damals ein anderes | |
als heute. Im Mittelpunkt stand die Leibesertüchtigung, es ging immer um | |
den gesunden, fitten Körper. Der heutige Sportbegriff, das faire Spiel und | |
der Mannschaftssport, das wurde ja in England geprägt. | |
Mitwerber für die Spiele 1916 waren unter anderem Budapest, Amsterdam und | |
Cleveland. IOC-Präsident Pierre de Coubertin soll aber für Berlin geworben | |
haben, auch um der Gefahr des drohenden Krieges entgegenzuwirken. War das | |
naiv? | |
Es ist ja bis heute die Frage, was Sport bewirken kann und was nicht. | |
Coubertins Gedanken von der Olympischen Idee waren eindeutig. Ihm ging es | |
nicht um solche Dinge wie einen Medaillenspiegel, der würde ihm heute böse | |
aufstoßen. Er legte den Fokus auf den einzelnen Athleten und nicht darauf, | |
dass Nationen gegeneinander kämpfen. Insofern wollte er tatsächlich die | |
Spiele auch als politisches Instrument zur Völkerverbindung einsetzen und, | |
zumal als Franzose, auf die Deutschen zugehen. | |
Nach Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 hatten die siegessicheren Deutschen | |
die Spiele keineswegs abgesagt? | |
Tatsächlich sind die Spiele nie abgesagt worden, weil man wohl davon | |
ausging, dass sie wie geplant ausgetragen würden. Sie fanden dann einfach | |
nicht statt, weil der Krieg doch länger dauerte. | |
Dabei war das für die Olympischen Spiele gedachte Stadion bereits 1913 | |
fertiggestellt worden, an dem Ort, wo sich heute das Olympiastadion | |
befindet. Wie modern war es? | |
Es war als das größte Stadion seiner Zeit konzipiert worden und entstand im | |
Inneren der erst 1909 errichteten Rennbahn Grunewald. Am 8. Juni 1913 wurde | |
es zum 25-jährigen Thronjubiläum Kaiser Wilhelms II. eingeweiht. Es hieß | |
aber nicht Olympiastadion, sondern das Deutsche Stadion. | |
Die Olympischen Spiele 1916 sollten moderner denn je sein, altmodische | |
Sportarten wie Tauziehen wurden gestrichen zugunsten von beispielsweise | |
Radball. Wurde auch in der Präsentation drumherum viel Spektakel geplant, | |
mit Auftaktfeier oder Kunst und Kultur? | |
Ich glaube, so weit ging die Planung nie. Das Wichtigste war die | |
Fokussierung auf das neue Stadion. Mir ist jedenfalls nicht bekannt, wie | |
die Spiele 1916 inszeniert werden sollten. Ich bin mir aber sicher, dass es | |
sich Wilhelm II. nicht hätte nehmen lassen, sich selbst bei diesen Spielen | |
ordentlich in Szene zu setzen. | |
Nach dem Ersten Weltkrieg und der Wiederzulassung der deutschen Sportler zu | |
den Olympischen Spielen 1928 in Amsterdam wollten die deutschen | |
Sportfunktionäre die Spiele erneut nach Deutschland holen. Aber plötzlich | |
meldeten auch Städte wie Nürnberg und Köln ihr Interesse? | |
Die neuerliche Bewerbung von Berlin ging im Grunde von zwei Männern aus, | |
Carl Diem und Dr. Theodor Lewald, die in den zwanziger Jahren wichtige | |
Sportfunktionäre waren. Die hatten die Spiele in Amsterdam 1928 und in Los | |
Angeles 1932 besucht und waren von denen sehr begeistert. Für beide kam als | |
Ausrichter in Deutschland im Grunde nur die Hauptstadt infrage, weil die | |
Austragungsorte fast immer Hauptstädte waren. Es wäre seinerzeit wohl | |
undenkbar gewesen, die ersten Olympischen Spiele in Deutschland nicht in | |
der Hauptstadt auszutragen. | |
Berlin bekam 1931 dann doch die Spiele für 1936 zuerkannt. Wurden denn | |
irgendwelche Olympiastätten genutzt, die schon für 1916 konzipierten | |
wurden? | |
Das Deutsche Stadion mit seinem Fassungsvermögen für 33.000 Zuschauer | |
erwies sich nach zwanzig Jahren als viel zu klein. Die Olympischen Spiele | |
hatten sich inzwischen so entwickelt, dass auch die Olympiastadien immer | |
größer geworden waren. Nachdem sich Adolf Hitler entschieden hatte, die | |
Spiele nach der Machtergreifung doch nicht ans IOC zurückzugeben – | |
eigentlich konnte er mit Sport und einem friedvollen Wettkampfgedanken | |
nichts anfangen –, sollten sie denn auch alles Vorherige übertreffen und | |
Deutschlands Großartigkeit zeigen. Deshalb kam es für die Nazis überhaupt | |
nicht infrage, ein kleineres Olympiastadion zu haben als vier Jahre zuvor | |
die Amerikaner. | |
Gab es denn überhaupt irgendeine Anknüpfung der Spiele im Jahr 1936 an die | |
ausgefallenen Spiele von 1916? | |
Selbst wenn es die Spiele von 1916 gegeben hätte, wären die nicht zu | |
vergleichen gewesen mit denen von 1936, allein durch die mediale | |
Entwicklung. Gesellschaftlich gab es in den zwanzig Jahren ebenfalls | |
gewaltige Brüche mit Kaiserreich, Weimarer Republik und NS-Reich. Politisch | |
war es kein Thema, dass irgendjemand forderte: Wir holen jetzt mal die | |
ausgefallenen Spiele nach. So dachten höchstens die besagten | |
Sportfunktionäre. Wenn es eine direkte Kontinuität zwischen den Jahren 1916 | |
und 1936 gibt, dann bei den Architekten. Das Deutsche Stadion war von Otto | |
March entworfen worden. Sein Sohn, Werner March, ließ das Werk seines | |
Vaters einreißen, um auf dem Gelände – auf Geheiß Hitlers – ein noch | |
größeres Stadion zu bauen – das heutige Olympiastadion. | |
2 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Gunnar Leue | |
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