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# taz.de -- Studentische Selbstbestimmung: Humboldt als Ideal und Worthülse
> Bildet Arbeitsgruppen! Die Studentenstreiks sind in die
> Konsolidierungsphase getreten. Wie weiter nach Möglichkeiten der
> Veränderung suchen?
Bild: Es geht den Studenten auch darum, ob das Humboldtsche Bildungsideal heute…
Er entschuldige sich für die Worthülsen, sagt der Philosophie-Student mit
dem Zopf, der auf der Bühne der HU Berlin steht. Dann setzt er zur
Erklärung an, was denn genau unter dem Humboldtschen Bildungsideal zu
verstehen sei, dem laut Forderungspapier "wieder gerecht zu werden" sei.
Selbstständig sollten die Studierenden lernen, um autonome und mündige
Bürger zu werden. Als er berühmte Unterstützer des Ideals aufzählen will,
kommt ein Zwischenruf: "Ich will heute noch nach Hause gehen!" Zehn Minuten
hat da die Vollversammlung der Studierenden der HU Berlin im vollbesetzten
Audimax gedauert.
Auch in der FU Berlin steht die Forderung nach einem "selbstbestimmten
Studium" als erster Punkt auf einem Handzettel. Die Anwesenheitspflicht
soll abgeschafft werden, die Auswahl der Lehrangebote flexibler werden, die
"Lernstandskontrollen" sollen freiwillig werden. Der besetzte Hörsaal 1A
ist nur halb gefüllt. Ein Plan zur Umsetzung, der am Tag zuvor abgestimmt
wurde, wird vorgestellt. Man will sich für jede der Forderungen den
Ansprechpartner heraussuchen, eine "Paragrafengruppe" soll die rechtliche
Umsetzbarkeit prüfen. Dann meldet sich eine Studentin und sagt, sie sei
gestern in der Vollversammlung gewesen - es habe nur Zustimmung zum
Vorgehen, aber keinesfalls eine Abstimmung gegeben. Daraufhin wird
beschlossen, dass am Ende der Veranstaltung noch einmal über das Papier
diskutiert und abgestimmt wird.
An allen der über 30 Universitäten, an denen Hörsäle besetzt sind, laufen
gerade ähnliche Diskussionen ab: Der Protest ist in der
Konsolidierungsphase angelangt. Die Forderungen müssen ausgearbeitet werden
und die AnsprechpartnerInnen gefunden werden, damit sich die
Verantwortlichen nicht weiter gegenseitig die Schuld zuschieben können, wie
es die Entscheidungsträger von Bildungsministerin Schavan bis zu den
PräsidentInnen und RektorInnen der Universitäten gerade tun. An vielen
Universitäten kommen sie aber in die besetzten Hörsäle, um mit den
Studierenden zu diskutieren. In München hat sich gar der bayerische
Wissenschaftsminister Heubisch angekündigt.
Die Forderungen, die dann vorgebracht werden, sind keine neuen.
Generationen von Studierenden fordern schon, dass ihr Studium kostenlos ist
und sie selbstbestimmt lernen können. Die Wissensaneignung soll frei sein -
gerade die disziplinären Maßnahmen, die mit dem BA/MA-System eingeführt
wurden, werden abgelehnt.
Deshalb sehen die Studierenden mit einer gewisser Ehrfurcht zu Gerhard
Bauer, einem emeritierten Literaturprofessor, auf. "Wissenschaft ist
Kritik", sagt er und "Bildet Banden!". In 39 Jahren Lehrtätigkeit ist es
nicht der erste Streik, den er miterlebt. Seine Position ist eine der
Extreme, die oft hinter der Worthülse des Humboldtschen Ideals der
Selbstbestimmung verschwinden. Die eine Seite ist die Selbstbildung zu
mündigen und kritischen Menschen und WissenschaftlerInnen, die andere die
der möglichst erfolgreichen Selbstdisziplinierung in einem vorauseilenden
Gehorsam vor den Anforderungen der Personalabteilungen, wo die
Improvisationskünste, die die Besetzung erfordert, als soft skills verkauft
werden können. Die Verinnerlichung wird dem Zwang durch Disziplin
vorgezogen.
Mit solchen ideologischen Überlegungen halten sich die streikenden
Studierenden jedoch nicht auf. Auch wenn in fast jedem besetzten Hörsaal
ein rotes Banner der örtlichen Radikallinken zu finden ist, gehen sie
betont pragmatisch vor. Sie versuchen ihre Forderungen fern von jeglicher
Dogmatik zu formulieren. So rechnen sie sich die größten Chancen aus, etwas
zu verändern. Eine große Ausnahme gibt es jedoch: In allen besetzten
Hochschulen wird der Protest strikt basisdemokratisch organisiert. Der
Idealismus in diesem Punkt verlangsamt die Arbeitsprozesse.
An der HU versucht man es mit Instituts- und Fakultätsgruppen, die direkt
an den Lehrorten nach Möglichkeiten für Veränderungen suchen sollen. Aber
das ist nur der eine Schritt. Schließlich geht es nicht nur um die
Abschaffung von Studiengebühren und Verwaltungsbeiträgen, sondern
tatsächlich auch darum, ob das Humboldtsche Bildungsideal heute noch von
allen als ein Ideal betrachtet wird.
Solange man sich einerseits pragmatisch gibt und andererseits auf Humboldt
verweist, wird eine wirkliche Diskussion der gesellschaftlichen Rolle der
Studierenden vermieden - und die wäre nötig, schließlich geht es nicht
zuletzt um die Frage, wie viel Geld man auf die akademische Bildung
verwenden will.
22 Nov 2009
## AUTOREN
Elias Kreuzmair
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