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# taz.de -- Streit um Schulpolitik in Schleswig-Holstein: Pädagogischer Ungeho…
> Lehrer in Schleswig-Holstein demonstrieren gegen längere Arbeitszeiten
> und eine Änderung des Schulgesetzes. In Handewitt kämpfen Kollegium und
> Gemeinde um die Gemeinschaftsschule.
Bild: Abschaffung droht: Lehrer und Eltern der Gemeinschaftsschule befürchten …
Dr. Hans-Werner Johannsen tut heute etwas Verbotenes. Er tut es vor aller
Augen und mit gutem Gewissen: "Ein Stück ziviler Ungehorsam muss manchmal
sein." Johannsen ist Lehrer und zornig. Das ist in Schleswig-Holstein in
diesen Tagen normal - heute zeigen die Pädagogen ihren Ärger bei
Demonstrationen in mehreren Städten.
Der Beamten-Protest, den die Regierung für rechtswidrig hält, richtet sich
gegen den Pflichtstundenerlass, der vor einigen Wochen vom FDP-geführten
Bildungsministerium herausgegeben wurde. Ziel ist, die Arbeitszeit der
Lehrkräfte zu verlängern, um Stellen einzusparen. Doch es gibt noch mehr
Zündstoff: So sollen sich die erst 2007 eingerichteten Gemeinschaftsschulen
nach den Plänen des Bildungsministers erneut wandeln. So werden wieder nach
Leistung getrennte Klassen erlaubt, gleichzeitig wird es den Schulen
erschwert, eine Oberstufe einzurichten.
Es wäre die Rückkehr des dreigliedrigen Schulsystems durch die Hintertür.
"Eine Katastrophe", findet Johannsen. "Genau das, was wir nicht wollen." Er
leitet die Gemeinschaftsschule in Handewitt bei Flensburg, eine der ersten
des Landes. Dazu taten sich drei Standorte und drei Schularten - Grund-,
Haupt- und Förderschule - zusammen, heute werden 945 Kinder unterrichtet,
und die Zahl der Anmeldungen für den Gemeinschaftsschulteil wächst. "Hier
ist weniger Druck als im Gymnasium", sagt der 13-jährige Jonas, die
Stimmung sei besser.
Nicht in allen Gemeinschaftsschulen laufe es so gut wie in Handewitt, weiß
die Lehrerin Claudia Eichhof: Viele Kollegien könnten klammheimlich wieder
zu getrennten Klassen zurückkehren. "Dabei stellen wir fest, wie sehr alle
vom gemeinsamen Lernen profitieren." Dafür neue Methoden zu erfinden, sei
zwar aufwändig, aber lohnend. "Wir haben noch nie so viel gearbeitet, aber
es macht Spaß", sagt sie. In Handewitt seien Kollegium, Eltern und
Schulträger vom Konzept überzeugt.
Arthur Christiansen bestätigt das. Er sitzt in der Schulkantine, trinkt
Kaffee und spricht wie ein Funktionär der Lehrergewerkschaft GEW: Das
dreigliedrige Schulsystem sei antiquiert, ein Rückfall in die
Ständegesellschaft des 19. Jahrhunderts. "Das wollen wir nicht, wir sind
innovativ", ruft er. Unbegreiflich, wie sich die CDU von "einer
Klientelpartei wie der FDP einlullen lasse - das werfe ich meiner Partei
vor". Christiansen ist Bürgermeister von Handewitt und CDU-Mitglied, das
Gemeinschaftsschulkonzept hält er für die "einzige Chance, aus der
Bildungskrise herauszukommen". Wenn er den Namen des Kieler
Bildungsministers ausspricht, klingen höhnische Anführungszeichen mit. Der
Mann heißt Klug.
Dass Ekkehard Klug ein Verfechter des dreigliedrigen Systems ist, daraus
hat er nie ein Geheimnis gemacht. Die FDP setzte erst auf einen
Volksentscheid, mit dem die unter der schwarz-roten Vorgängerregierung
abgeschafften Realschulen wieder eingeführt werden sollten. Da nicht genug
Stimmen zusammenkamen, dreht der Minister nun an einzelnen Schrauben des
Schulgesetzes, mit der Folge, dass die Gemeinschaftsschulen ab- und die
Gymnasien weiter aufgewertet werden. "Eine glatte Wahllüge", sagt Stefan
Hirt, stellvertretender Vorsitzender im Landeselternbeirat der Gesamt- und
Gemeinschaftsschulen. CDU und FDP hatten nach den Reformen der vergangenen
Jahre "Schulfrieden" versprochen. Die Eltern hätten sich für die
Gemeinschaftsschulen entschieden und sie erfolgreich gemacht, sagt Hirt:
132 gebe es schon, gegen 101 Gymnasien. "Wir wollen längeres gemeinsames
Lernen." Er glaubt, die Schulgesetzänderung noch kippen zu können:
"Schwarz-gelb hat nur eine Stimme Mehrheit im Landtag, da sind wir dran.
Politiker wollen ja wiedergewählt werden."
Arthur Christiansen glaubt, dass viele an der CDU-Basis und in den Kommunen
seine Meinung teilen: "Für eine Gemeinde ist es ein Standortfaktor, Bildung
von der Krippe bis zum Abitur anbieten zu können." Daher sei es wichtig,
Gemeinschaftsschulen mit Oberstufe zu haben. Werde die Reform
zurückgedreht, sei das auch "finanzpolitischer Wahnsinn", viele Schulträger
haben investiert, um aus Haupt- und Realschulen neue Gemeinschafts- oder
Regionalschulen zu machen. Zurzeit sieht es nicht nach Versöhnung aus, im
Gegenteil. Das Land reagierte auf die ankündigte Pädagogen-Demo mit
Strafandrohungen: Beamte wie Angestellte müssten mit "dienstrechtlichen
Konsequenzen rechnen". Schulleiter Johannsen sieht das gelassen: "Ich will
ja nichts mehr werden, nur meine Schule erhalten."
2 Jun 2010
## AUTOREN
Esther Geisslinger
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