# taz.de -- 60. Jahrestag der "Befreiung" Tibets: Eitel Harmonie auf dem Dach d… | |
> Das offizielle China feiert diese Woche den 60. Jahrestag der | |
> "friedlichen Befreiung" Tibets. Und wehe, ein Tibeter hat dazu eine | |
> andere Meinung. | |
Bild: Tibeter feiern ihre "Befreiung" vor dem Potala Palast. | |
PEKING taz | In den Straßen von Tongren im westlichen Hochland von China | |
schmücken frische Transparente Hauswände und Zäune. "Stärkt die Harmonie | |
zwischen den Volksgruppen", fordern sie, andere versprechen "Wohlstand und | |
Sicherheit". | |
In der Provinz Qinghai, nördlich der "Autonomen Region Tibet", leben | |
zahlreiche Tibeter. Wie alle ihre Landsleute müssen auch sie in dieser | |
Woche eines Jahrestags gedenken - dessen der "friedlichen Befreiung | |
Tibets". Am 23. Mai 1951 unterzeichneten Abgesandte des Dalai Lama und | |
Vertreter der Kommunistischen Partei Chinas in Peking das sogenannte | |
17-Punkte-Abkommen, nachdem chinesische Truppen in das "Land des Schnees" | |
einmarschiert waren. | |
Darin erkannten die Tibeter die chinesische Oberherrschaft über ihr Land | |
an. Im Gegenzug versprachen die Chinesen weitgehende Autonomie und | |
sicherten zu, sich nicht in das Leben der Klöster einzumischen. | |
Pekings Politikern gilt das Dokument seither als Beleg für die | |
Rechtmäßigkeit ihrer Herrschaft über Tibet. Der Dalai Lama erklärte es nach | |
seiner Flucht ins indische Exil 1959 für ungültig. Begründung: Es sei unter | |
Druck zustande gekommen, die Pekinger Regierung habe zudem ihre Zusagen nie | |
eingehalten. | |
Derzeit nutzen Chinas Politiker und Medien den 60. Jahrestag, um ihre | |
Herrschaft in Tibet zu preisen: Die Bewohner seien "Herren ihres eigenen | |
Schicksals" geworden, erklärte etwa Jia Jingling, im Ständigen Ausschuss | |
des Politbüros für Minderheiten zuständig: "Die Wirtschaft wächst sehr | |
schnell, das Leben verbessert sich stark, der religiöse Glaube wird | |
genügend respektiert, die traditionelle Kultur angemessen geschützt und der | |
Schutz der Umwelt in großem Maße vorangetrieben." | |
## Soldaten und Überwachungskameras | |
Für ausländische Journalisten ist es derzeit nicht möglich, sich unabhängig | |
über die Stimmung in der "Autonomen Region Tibet" zu informieren, die nur | |
einen Teil der traditionell von Tibetern besiedelten Regionen in China | |
einnimmt. Doch Gespräche mit Tibetern in Qinghai und Berichte tibetischer | |
Exiloganisationen spiegeln ein kompliziertes und bedrückendes Bild. In | |
Lhasa und anderen Orten Tibets patrouillieren Soldaten. Überwachungskameras | |
zeichnen das Leben vor Klöstern und auf zentralen Plätzen auf. Damit wollen | |
die Behörden verhindern, dass es zu Unruhen wie 2008 kommen könnte. | |
Ein Brennpunkt ist das Kloster Kirti in der an Tibet grenzenden Provinz | |
Sichuan. Dort kam es im März zu Zusammenstößen, nachdem sich ein Mönch | |
verbrannt hatte. Bei Auseinandersetzungen mit der Polizei seien zwei | |
Menschen gestorben, berichten Exiltibeter. Hunderte Mönche sollen seither | |
aus den Klöstern geholt und zu sogenannten "patriotischen Schulungen" | |
gezwungen worden sein. In Tongren in der Provinz Qinghai demonstrierten | |
Ende 2010 Eltern, Schüler und Lehrer gegen den Plan, Schulunterricht | |
künftig auf Chinesisch zu führen und Tibetisch nur als Zusatzfach zu | |
lehren. | |
Solche Kundgebungen sind heikel. Tibeter berichten, dass sie immer fürchten | |
müssen, von den Behörden als "Spalter" bezeichnet zu werden. Man | |
unterstelle ihnen bei jeder Kritik gleich, die Zugehörigkeit Tibets zur | |
Volksrepublik in Frage zu stellen. | |
Gleichzeitig versuchen die Behörden seit 2008, das Leben in den tibetisch | |
besiedelten Gebieten mit kräftigen Subventionen zu erleichtern. In Qinghai | |
erhalten Familien stattliche Zuschüsse von der Regierung, wenn sie sich ein | |
neues Haus bauen. "Die Hälfte gibt der Staat dazu", berichtet ein Anwohner. | |
Es entstehen Siedlungen und Geschäftshäuser, die Straßen sind gut ausgebaut | |
und gepflegt. Stromleitungen erreichen entlegene Dörfer. "Wirtschaftlich | |
geht es vielen von uns besser", sagt ein Anwohner. "Aber wir dürfen den | |
Mund nicht aufmachen. Die Regierung traut uns nicht." | |
27 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Jutta Lietsch | |
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