# taz.de -- Griechenland plant Referendum: Flucht nach vorn | |
> Griechenlands Ministerpräsident Papandreou kündigt überraschend ein | |
> Referendum über die jüngsten EU-Beschlüsse an. Ein riskantes Manöver mit | |
> offenem Ergebnis. | |
Bild: Auf den Straßen sagen die BürgerInnen überwiegend Nein („Oxi“) zu … | |
ATHEN taz | Selbst seine eigenen Minister waren überrascht von dieser | |
Ankündigung: Das griechische Volk müsse selbst zu Wort kommen und in einem | |
Referendum über den in Aussicht gestellten Teilerlass der Staatsschulden | |
sowie die damit einhergehenden drastischen Sparmaßnahmen frei entscheiden. | |
Das erklärte der griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou sinngemäß | |
am Montagabend vor der Fraktion der regierenden Sozialisten in Athen. Zudem | |
stellte er noch einmal die Vertrauensfrage. | |
Doch am Dienstag wurde auch der Ministerpräsident von seinen Abgeordneten | |
überrascht. Die ehemalige Vizeministerin Milena Apostolaki, einst eine | |
Vertraute des Finanzministers Venizelos, verließ die sozialistische | |
Regierungsfraktion und erklärte sich für unabhängig. | |
Wenig später kam die ehemalige EU-Kommissarin Vaso Papandreou zu Wort: Das | |
Land stehe kurz vor dem Bankrott, eine Regierung der nationalen Einheit sei | |
dringend nötig und Staatspräsident Karolos Papoulias müsse Initiativen in | |
dieser Richtung ergreifen, so die ehemalige Wirtschaftsministerin. | |
Schon in der vergangenen Woche hatten vier Abgeordnete der regierenden | |
Sozialisten für eine "Regierung zur Rettung des Landes" plädiert, ohne | |
Papandreou versteht sich. Nun brodelt die Gerüchteküche in Athen. Es wird | |
heftig spekuliert über weitere Rücktritte und auch darüber, dass | |
möglicherweise Papandreou diese Woche politisch nicht überlebt. | |
Im Moment hat der Regierungschef immer noch eine knappe Mehrheit von zwei | |
Sitzen im griechischen Parlament. Er ringt um seine Fassung und sucht den | |
Befreiungsschlag in der angekündigten Volksabstimmung. Völlig überraschend | |
kommt sein Referendum eigentlich nicht, denn Papandreou gilt ohnehin als | |
Anhänger basisdemokratischer Verfahren. | |
## Abgesagte Volksabstimmungen | |
Als Oppositionsführer plädierte er vor der Europawahl 2009 für eine | |
Volksabstimmung über den Lissaboner Vertrag und machte sich damit nur wenig | |
Freunde in Brüssel; nach seinem Wahlerfolg war diese Forderung allerdings | |
gleich wieder vergessen. | |
Im September waren Pressegerüchte aufgekommen, Papandreou würde einen | |
Volksentscheid über den Verbleib Griechenlands in der Eurozone planen. Und | |
da war auch noch der Wahlerfolg bei den Kommunal- und Regionalwahlen 2010. | |
Papandreou erklärte damals die Wahl zu einer Volksabstimmung über seine | |
Sparpolitik. Daraufhin konnten die Sozialisten deutlich zulegen und | |
erstmals nach zwanzig Jahren in allen Großstädten den Bürgermeister | |
stellen. Was schon einmal funktioniert hat, kann mit Sicherheit noch mal | |
klappen, denkt sich Papandreou offenbar. | |
## Grundsatzfrage Europa | |
Die griechische Presse sieht das anders: Ein "hohes Risiko" befürchtet die | |
auflagenstärkste Athener Tageszeitung Ta Nea, die linksliberale | |
Eleftherotypia erklärt sogar den "politischen Bankrott der Regierung". Auch | |
wird darauf hingewiesen, dass die Bürger in Griechenland kaum Erfahrung | |
haben mit direkter Demokratie. | |
Volksabstimmungen nach Schweizer Vorbild sind völlig unbekannt. 1974 wurde | |
ein Referendum abgehalten, damals ging es um die Abschaffung der verhassten | |
Monarchie nach dem Zusammenbruch der griechischen Militärdiktatur. | |
Die Menschen in Griechenland sind offenbar überrascht, aber einem | |
Referendum nicht unbedingt abgeneigt. So manche finden den Volksentscheid | |
eine gute Idee, zumal das erste Rettungspaket für Griechenland und die | |
damit verbundenen Sparmaßnahmen im Jahr 2010 überhaupt nicht durch das | |
Parlament kamen. | |
Sie wurden einfach als selbstverständlich hingenommen, als würde Papandreou | |
am Parlament vorbeiregieren. Da sei es doch eine gute Idee, wenn das Volk | |
auch mal zu Wort kommt, finden so manche Verfassungsrechtler. | |
## Freiwilliger Forderungsverzicht | |
Wirtschaftsexperten sind allerdings anderer Auffassung und befürchten | |
Schlimmes. Es könne doch nicht sein, dass Griechenland aufgrund der letzten | |
Brüsseler Vereinbarung auf einen freiwilligen Forderungsverzicht der Banken | |
angewiesen ist und trotzdem die Vereinbarung infrage stellt, bevor | |
überhaupt die Hauptverhandlungen mit den Finanzinstituten begonnen haben. | |
Das sei doch so, sagen die Kritiker, als würde Griechenland selbst den | |
Banken ein willkommenes Argument gegen einen freiwilligen | |
Forderungsverzicht liefern, den die EU-Partner in mühsamer Kleinarbeit | |
zustande gebracht haben. | |
Für Aufregung sorgen auch die Umfrageergebnisse von letzter Woche. Da | |
hatten 60 Prozent der Befragten die Beschlüsse der jüngsten Brüsseler | |
Gipfeltreffen als negativ bewertet. Das ist mit Sicherheit kein gutes | |
Zeichen für das angekündigte Referendum. | |
Andererseits: In der gleichen Umfrage sprachen sich knapp 75 Prozent der | |
Befragten für einen Verbleib Griechenlands in der Eurozone aus. | |
Möglicherweise, munkelt man in Athen, will Papandreou genau diese Stimmung | |
aufgreifen und den griechischen Wählern deutlich machen, dass es hier nicht | |
nur um die Privatisierung der Elektrizitätswerke geht, sondern um die | |
Grundsatzfrage, ob Griechenland weiterhin dem harten Kern Europas angehören | |
soll. Da würden wohl die wenigsten der Befragten - so das Kalkül - mit | |
einem Nein stimmen. | |
1 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Jannis Papadimitriou | |
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