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# taz.de -- Das große Interview (II): "Jetzt müsste man Segel setzen können"
> Zwischen den Jahren sprechen wir mit Menschen, die 2013 Großes vorhaben.
> Warum er an ein Comeback der Segel-Frachtschifffahrt glaubt und die
> Segel-Linie Hamburg-Sylt eröffnet, erklärt heute der Kapitän Torben Hass
Bild: Entschleunigung im Frachtverkehr: Kapitän Torben Hass in Hörnum auf Sylt
taz: Herr Hass, Sie starten im nächsten Jahr die traditionsreiche Linie
Hamburg–Sylt – mit einem alten Segelschiff. Sind Sie ein Nostalgiker?
Torben Hass: Nein. Ich möchte zwar wie früher Segelschiffe dazu nutzen, um
Ladung zu fahren. Für mich stellte sich aber gar nicht die Frage, ob ich
ein modernes oder ein altes Segelschiff kaufe. Ich habe das einzige
Segel-Frachtschiff in Europa gekauft, was am Markt zu bekommen war. Ich
werde es ab dem nächsten Jahr auf der Linie Hamburg–Sylt einsetzen, weil
dieses Schiff dort besonders lukrativ zu betreiben ist.
Lukrativ, weil Sie dort Kundschaft vermuten, die einen Segel-Aufschlag
zahlen können?
Nein. Ich biete den Transport zum gleichen Preis an wie die Straße – also
den Transport mit dem LKW. Das kann ich machen, weil die Straße hier sehr
teuer ist. Die Speditionen müssen über den Hindenburgdamm fahren oder mit
der Fähre, und das ist kostspielig. Ein großer LKW kostet hin und zurück
rund 560 Euro, das sind nur die Gebühren für den Autozug. Dann gibt es ja
auch noch Ladung, die zu breit ist für die Bahn. Die geht bisher nur über
die Fähre – und das ist mit noch höheren Kosten verbunden. Wenn ich solche
Güter mit Sonderbreite in Hamburg lade, ist das sogar günstiger.
Aber brauchen Sie denn nicht viel länger?
Ich bin 15 bis 20 Stunden von Hamburg nach Sylt unterwegs. Unter idealen
Bedingungen kann man es auch in zehn Stunden schaffen. Ein Logistiker
rechnet über die Straße mit einem halben Tag Transportzeit, ich brauche
einen ganzen. Der Unterschied ist überschaubar, und bei vielen Waren kommt
es auf einen halben Tag nicht an.
Wenn es Ihnen vor allem um die Ladung geht, warum nehmen Sie dann
Passagiere mit?
Das liegt auch am Schiff: Die vordere Ladeluke ist schon umgebaut, dort
sind die acht Kojen. Das wieder zurückzubauen, wäre zu teuer, so sind die
Passagiere jetzt ein Zusatzgeschäft. Außerdem sind sie für mich wichtig,
weil sie eine Art Zertifizierung sind.
Wie das?
Ich gebe allen Gütern, die ich transportiere, das Siegel „Guaranteed
handsailed“. Das können und sollen meine Kunden werbewirksam nutzen. Dass
ich wirklich nachhaltig segle, können meine Gäste bezeugen. Aber sie sind
nicht nur Zeugen. Ich hoffe, dass die sich an Bord so wohl fühlen, dass sie
meine Idee auch als Multiplikatoren in die Welt tragen.
Sie versprechen, handgesegelt zu liefern, haben aber auch einen Motor. Wie
passt das zusammen?
Wir haben einen Motor, das ist richtig: einen von 1937, mit nur 120 PS. Das
ist ein reiner Hilfsdiesel, Hauptantrieb ist unsere Takelage. Bei Flaute
und bei Hafenmanövern brauchen wir den Diesel. Und bei starken oder
ungünstigen Winden kann man ihn als Hilfsmotor nutzen. Er hat sich als
solcher in den letzten 80 Jahren hervorragend bewährt. Der absolute
Verbrauch liegt unter dem eines modernen Schiffes dieser Größe. Allerdings
hat ein modernes Schiff dieser Größe auch mindestens vier Mal so viel PS.
Sie verkaufen seit Anfang Dezember Gutscheine für die Touren. Was sind das
für Leute, die Ihre Passagiere werden wollen?
Das ist ganz bunt gemischt. Ich habe Ehepaare auf Silberhochzeitsreise an
Bord und es gibt Abteilungen, die als Betriebsausflug mitkommen wollen.
Dann gibt es ganz viele Frauen, die für ihre Männer einen Gutschein kaufen,
weil sie wissen, dass die gerne segeln. Die planen dann oft einen Urlaub
auf Sylt – sie kommt mit dem Auto, er mit mir auf dem Schiff. Es sind ganz
viele Leute dabei, die ansonsten eher in einem Fünf-Sterne-Zimmer auf der
„Queen Mary“ fahren würden, die dann sagen: Jetzt machen wir mal einen Tag
„Back to the roots“. Denn es ist hier ja sehr einfach und rustikal.
Was glauben Sie: Warum fahren die mit?
Das hat sicher was mit Entschleunigung zu tun. Es ist ein kleines Abenteuer
zwischendurch und nicht nur eine Mini-Kreuzfahrt zu den Seehundsbänken. Das
Schiff bewegt sich, man segelt richtig. Man kommt auf die Nordsee raus,
aber das muss man sich nicht gleich mehrere Tage antun. Das ist immer nur
eine überschaubare Zeit: Auf der offenen Nordsee sind wir vielleicht vier
Stunden. Ich glaube, viele Kunden würden auch nicht deutlich länger als
einen Tag in der Kammer mit acht Kojen schlafen wollen.
Was ist das Besondere an Ihrem Schiff, der „Undine“?
Sie ist eine der wenigen Frachtsegler auf der Welt und hat seit 1931
durchgängig Klasse: Die „Undine“ ist als einziges deutsches Segelschiff als
See-Frachtschiff international zugelassen und zertifiziert. Das bedeutet:
Man muss unter Aufsicht der Berufsgenossenschaft Verkehr und des
Germanischen Lloyds regelmäßig eine Art Schiffs-TÜV über sich ergehen
lassen. Jedes Gerät, was man einbaut, muss man zum Beispiel anmelden und
sich abnehmen lassen. Das unterscheidet die „Undine“ ganz massiv von allen
Traditionsseglern.
Inwiefern?
Die haben keine internationale Frachtschiffzulassung. Sprich: Die dürfen
alle keine Ladung transportieren.
Wie sind Sie denn an das Schiff rangekommen?
Ich hatte schon vor ein paar Jahren die Idee, das Schiff einzusetzen. Der
Voreigentümer war der Hamburger Verein Gangway, der auf dem Schiff die
letzten 20 Jahre pädagogische Jugendarbeit gemacht hat – allerdings nicht
im Winter. Deshalb wollte ich die „Udine“ im Winterhalbjahr mieten und edle
Weine aus den warmen Regionen nach Deutschland bringen. Das ist damals kurz
vor der Realisierung gescheitert. Als die Stadt Hamburg die Finanzierung
dieses Jugendprojekts eingestellt hat, wurde mir das Schiff zum Kauf
angeboten. Da habe ich mein Konzept noch mal angeguckt, verfeinert und
zugegriffen.
Sie haben eine Fahrt mit Jugendlichen begleitet. Wie war das für Sie?
Spannend. Die Jugendlichen, die wir an Bord hatten, waren sehr schwierig,
das war eine echte Herausforderung. Ich erinnere eine Situation, als es
plötzlich Komplettverweigerung gab. Da komme ich aus der Navigation hoch,
mein Rudergänger war weg und das Schiff fuhr alleine im Kreis über die
Ostsee. Da war ich geschockt.
Was haben Sie gemacht?
Ich habe das Schiff mit meinem Decksmann beigedreht und in Absprache mit
den Pädagogen abgewartet. Wir haben gesagt: Wir bleiben so lange beigedreht
liegen, bis ihr Lust habt, weiter zu arbeiten. Für uns Nautiker ist es auf
See deutlich angenehmer als im Hafen, weil die Jugendlichen sich am Land
ausgetobt haben und es immer irgendwelchen Ärger gab. Aber natürlich
wollten unsere Jungs an Land und sie haben dann nach einer Weile alle
wieder mitgemacht.
Warum waren Sie dabei?
Eigentlich bin ich mitgesegelt, um dem Verein zu zeigen, dass ich mit dem
Schiff umgehen kann. Aber auch die Aufgabe hat mich gereizt. Die Nautiker
der „Undine“ waren spezielle Menschen, die mussten seemännisch sehr gut
sein, aber eben auch eine ausgeprägte pädagogische Ader haben. Solche
Seeleute findet man nicht auf jedem Containerschiff.
Waren Sie so einer?
Ich habe da sehr viel Freude gehabt und ich glaube, ich habe meine Sache
auch ganz gut gemacht. Aber letztlich fühle ich mich doch in einem
kaufmännischen Umfeld besser aufgehoben.
Wie sind Sie darauf gekommen, die Segel-Frachtschifffahrt wiederbeleben zu
wollen?
Ich bin schon als kleiner Junge auf der Unterelbe gesegelt und war später
als Wehrpflichtiger und zum Schluss als Marineoffizier fünf Jahre mit der
„Gorch Fock“ auf allen Weltmeeren unterwegs. Dann bin ich in die
Handelsschifffahrt gewechselt, war für Tankschiff-Reedereien ebenfalls
weltweit tätig. Ganz häufig waren die Bedingungen so ideal zum Segeln, dass
ich während der Brücken-Wache auf den Tankern immer wieder den Gedanken
hatte: Jetzt müsste man Segel setzen können. So wuchs die Idee in mir.
Warum fahren Sie mit der „Undine“ nicht auf internationalen Routen?
Das hat damit zu tun, dass ich international mit diesem alten Schiff teurer
wäre als der direkte Konkurrent. Wenn ich etwa Weine aus Portugal hier hoch
bewege, dann bin ich ja mehrere Wochen unterwegs. Ich muss vier Mann
Besatzung halten. Ich werde auch nicht acht zahlende Gäste finden, die es
sich für mehrere Wochen antun, unter den rustikalen Bedingungen hier an
Bord zu leben. Das sind die Faktoren, die mich davon abhalten, das jetzt
mit der „Undine“ zu machen. Was die kommenden, neu zu bauenden Schiffe
angeht, die sollen ganz sicherlich international fahren und sich auf dem
Markt gegen die Konkurrenz behaupten können.
Warum haben Sie nicht gleich mit einem neuen Schiff angefangen?
Dafür gibt es kein Geld. Wenn ich als Jung-Reeder sage, ich möchte ein
Segel-Frachtschiff finanziert bekommen, dann sagt keine Bank und kein
Fonds: Das ist aber toll, dass du was Innovatives machen willst, das ganz
viel Geld bringen könnte. Banker brauchen aktuelle Zahlen, Statistiken –
Erfahrungswerte. Die gibt es in der Segel-Frachtschifffahrt nicht. Also
muss ich im Kleinen zeigen, dass es funktioniert, und das Projekt langsam
aufbauen. Doch selbst da ist es nicht einfach mit den Banken.
Was meinen Sie damit?
Ich saß vor ein paar Monaten bei einer Bank und wollte für die Finanzierung
eines speziellen Gerätes, was ich für die Zulassungen brauchte, einen
kleinen zusätzlichen Kredit erwirken. Weil mein ganzes eigenes Geld schon
in das Schiff geflossen ist. Da hat man mir gesagt: Herr Hass, auf diesem
Schiff will doch keiner nach Sylt mitfahren und keiner will Ladung darauf
transportieren. Das Lustige ist: Der Chef dieser Kreditabteilung, der
meinen Kreditantrag auch gesehen haben muss, möchte nun einen
Betriebsausflug mit mir machen. Die gehörten zu den Ersten, die bei mir
gebucht haben.
Wann soll es weitergehen?
Wenn die Hamburg-Sylt-Linie ökonomischen Erfolg hat, sich das Gütesiegel
etabliert und, marketingtechnisch gesagt, Frachtsegeln wieder sexy ist.
War es denn unsexy?
Es hat einfach keinen interessiert, ob man einen Zugdrachen mit an seinem
Frachter hatte oder nicht – mit solchen Lösungen kann man ja auch jetzt
schon den Wind nutzen und Treibstoff sparen. Wenn das aber jetzt
tatsächlich so wird, dass man ein Gütesiegel etabliert, das neben der
Herkunft der Produkte – Stichwort „Bio“ – und dem Handel der Produkte �…
Stichwort „Fairtrade“ – den nachhaltigen Seetransport zertifiziert, dann
kann es weitergehen. Wie auch immer das dann heißen mag.
Ich dachte, es heißt „Guaranteed handsailed“.
Auf diesem kleinen Schiff, auf dieser kleinen Linie, ja. Hier ist auch
alles handgesegelt. In der weltweiten Fahrt wird das nicht so sein. Dann
drücke ich auf der Brücke auf einen Knopf und die Segel rollen sich
automatisch ein und aus. Da muss man gucken, wie man das dann nennt. Aber
es ist ja trotzdem nachhaltig transportiert.
Gibt es solche Segel-Frachtschiffe denn schon?
Die sind noch nicht ganz fertig entwickelt, aber fast. Die niederländischen
Schiffsdesigner Dijkstra Naval Architects haben zum Beispiel eine Serie
moderner Segelfrachter entworfen, die heißt Ecoliner. Das ist im Moment
mein Favorit. Aber man muss dann gucken, welche Fracht ich kriege und auf
welcher Linie das Schiff fahren soll. Man kauft sich ja eigentlich kein
Schiff und sucht sich dann eine Linie. Das ist jetzt hier einmal so
passiert, weil es nur dieses eine Schiff gab.
Glauben Sie wirklich, dass die Banken so etwas irgendwann finanzieren?
Das weiß ich nicht. Ich möchte aber auch bei der Finanzierung einen neuen
Weg gehen: Crowdfunding, die Finanzierung über viele kleine Anteilseigner.
Das ist ja gerade im kulturellen Bereich im Kommen, es gibt erste so
finanzierte Filmprojekte. In der Richtung möchte ich das auch machen.
Bisher ist das aber nur eine Skizze.
Was haben die vielen kleinen Eigner denn davon? Sollen das Idealisten sein?
Nein. Zum einen soll es die Möglichkeit geben, am Gewinn beteiligt zu
werden – ohne den Umweg über die Bank. Zum anderen soll es nicht nur eine
kleine Eignerkammer geben, sondern zwei oder drei oder vielleicht vier für
Gäste mit einem Extra-Steward. Dann kann man dafür, dass man investiert,
luxuriös mitsegeln auf weltweiter Fahrt, auf den großen Segelrouten, zum
Beispiel mit den Passat-Winden, wo es warm ist.
Gibt es auf diesen Routen denn etwas zu transportieren?
Das ist die zentrale Frage. Man kann mit Erzen ganz viel machen, man kann
sich aber auch Stückgutfahrt und Containerfahrt vorstellen. Wobei die Zahl
der Container wohl verhältnismäßig gering wäre. Bei meiner letzten Reederei
haben wir zusätzlich Projektladung an Deck gehabt, das könnte ich mir
ebenfalls gut vorstellen.
Projektladung, was ist denn das?
Alles, was man nicht in den Container packen kann, nicht in die
Schüttgutluke oder einen Tank: Windflügel, Omnibusse, Maschinenanlagen. Man
glaubt gar nicht, wie viele Windanlagen von Europa nach Lateinamerika
gehen. Das wäre eine unheimlich sinnvolle Route. Wenn man moderne Solar-
oder Windenergieanlagen mit einem Segelfrachter transportiert, dann hätte
das doch einen doppelten Charme.
Wären die Segelschiffe denn schnell genug?
Ja, denn die Schiffe, die mit Schweröl fahren, werden immer langsamer, um
Kraftstoff zu sparen. Vor Kurzem habe ich eine Statistik gelesen, nach der
auf weltweiten Routen die Durchschnittsgeschwindigkeit der heutigen
Handelsflotte unter der der Segelschiffe aus den 1920er-Jahren liegt.
In welchen Zeiträumen denken Sie?
Ich habe mir gewünscht, in fünf Jahren den ersten großen, modernen
Segelfrachter in Auftrag geben zu können. Aber die Vermarktung der
Hamburg-Sylt-Linie läuft viel besser, als ich es mir vorgestellt habe. Ich
habe mit maximal 50 Gästen im nächsten Jahr gerechnet, aber ich habe jetzt
schon über 400 Gutscheine verkauft. Und auch beim Frachtgeschäft läuft es
ebenfalls sehr gut: Ich habe schon mehr als die Hälfte meiner Ladekapazität
verkauft. Ich war davon ausgegangen, dass ich nur vielleicht 30 Prozent
schaffe. Das überwältigt mich. Wenn der Zuspruch so hoch bleibt, kann ich
mir inzwischen vorstellen, dass der nächste Schritt vielleicht doch
schneller kommt.
27 Dec 2012
## AUTOREN
Daniel Kummetz
Daniel Kummetz
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Wind
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