(SZ)Die Deutungshoheit über die Bilder und Nachrichten vom Krieg ist
  derzeit umkämpft wie sonst die Lufthoheit über den Stammtischen, und
  ähnlich groß ist auch der Spielraum, den man darin hat. Welche
  Luftnummern man da aufführen kann, zeigte gestern das Feuilleton der
  Welt, das die Einnahme Bagdads und das präsumtive Ende Saddam Husseins
  in biblische Zusammenhänge stellte. Für Letzteres wurde der
  Babylonierkönig Nebukadnezar herangezogen, der auf seine alten Tage
  verrückt wurde und Gras fraß wie die Ochsen. Wer so prophezeit, sollte
  indessen erwähnen, dass Nebukadnezar nach sieben Jahren auf den Thron
  zurückkehrte und wieder normal aß - in unseren Augen absolut keine
  Perspektive für Saddam.

  Was aber nun den Einzug der Amerikaner in Bagdad angeht, so rückten
  ihn die Kollegen neben den Einzug Jesu in Jerusalem: rechts ein
  TV-Bild von CNN und links ein Gemälde Julius Schnorr von Carolsfelds.
  Auf beiden Seiten wird mit Palmzweigen gewinkt, dass es eine Freude
  ist, und säße unser Herr Jesus nicht auf einem Esel statt auf einem
  Panzer, könnte man ihn glatt für einen Offizier der US-Marines halten.
  Gottlob ist der Esel so deutlich sichtbar wie der Heiligenschein um
  Jesu Haupt, und da es der Kommentar auch nicht versäumt, die winkende
  Menge als das zu brandmarken, was sie war und ist und immer sein wird,
  nämlich wankelmütig, haben wir ein Wunder an journalistischem
  Glasperlenspiel vor Augen: einerseits ein Kriegsstück, andererseits
  eine Bildbetrachtung und dritterseits, lange vor allen anderen, eine
  statio zur Karwoche.

  Ohne umfassende Deutung ist bis heute das Hauptbild dieser tollen
  Tage, die Niederholung der Saddam-Statue in Bagdads Zentrum. Das
  heißt, die große Linie ist klar, die läuft aufs "Wie gewonnen, so
  zerronnen" hinaus und dass sich Tyrannei nicht rentiert (ein
  Köhlerglaube übrigens). Daneben gibt es aber die "kleine Münze" der
  Interpretation, und die wird am ehesten dort ansetzen, wo der Figur
  nach anfänglichem Widerstand die Beine rissen und sie zu rutschen
  begann. Da wurden die im Inneren verborgenen Stützen sichtbar, zwei
  Stangen oder Rohre, und für einen Augenblick sah Saddam aus wie ein
  Bub in kurzen Hosen und mit Steckerlbeinen in riesigen Stiefeln - "an
  den Beinen gestiefelt", wie man bei der Welt mit Hinweis auf Epheser
  6,15 möglicherweise sagen würde. Uns fallen bei der ruinösen Hülle
  eher Max und Moritz ein, die einmal in Teig gebacken werden, das aber
  auf mysteriöse Weise überleben. Sie beißen die Knusperschale auf und
  entfliehen, und genauso haben wir Saddam im Verdacht, dass er immer
  wieder davonkommt. Dennoch vergleichen wir ihn lieber mit den
  Lausbuben als mit Nebukadnezar, denn für die ging es am Ende, anders
  als für den König, so todesbitter aus, wie sich das ja auch gehört.