The Project Gutenberg EBook of Mitteilungen aus den Memoiren des Satan V1
by Wilhelm Hauff
(#6 in our series by Wilhelm Hauff)
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Title: Mitteilungen aus den Memoiren des Satan V1
Author: Wilhelm Hauff
Release Date: November, 2004 [EBook #6890]
[This file was first posted on February 7, 2003]
Edition: 10
Language: German
Character set encoding: ASCII
*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, MITTEILUNGEN AUS DEN MEMOIREN DES SATAN V1 ***
Delphine Lettau and the Online Distributed Proofreading Team.
WILHELM HAUFF
MITTEILUNGEN AUS DEN MEMOIREN DES SATAN
ERSTER TEIL.
EINLEITUNG.
Marte, e' rassembra te, qualor dal quinto
Cielo, di ferro scendi, e d'orror cinto.
Tasso, befr. Jerusalem, V. 44.
ERSTES KAPITEL
Der Herausgeber macht eine interessante Bekanntschaft.
Wer, wie der Herausgeber und Uebersetzer vorliegender merkwuerdiger
Aktenstuecke, in den letzten Tagen des Septembers 1822 in Mainz war
und in dem schoenen Gasthof zu den drei Reichskronen logierte, wird
gewiss diese Tage nicht unter die verlorenen seines Lebens rechnen.
Es vereinigte sich damals alles, um das Gasthofleben, sonst nicht
gerade das angenehmste, das man fuehren kann, angenehm zu machen.
Feine Weine, gute Tafel, schoene Zimmer haette man auch sonst wohl
dort gefunden, seltener, gewiss sehr selten so ausgesuchte
Gesellschaft. Ich erinnere mich nicht, jemals in meinem Leben, weder
vor noch nachher, einen meiner damaligen Tisch- und Hausgenossen
gesehen zu haben, und dennoch schlang sich in jenen gluecklichen Tagen
ein so zartes, enges Band der Geselligkeit um uns, wie ich es unter
Fremden, deren keiner den andern kannte oder seine naehere
Verhaeltnisse zu wissen wuenschte, nie fuer moeglich gehalten haette.
Der schoene Herbst von 1822 mit seiner erfreulichen Aussicht, dieser
Herbst, am Rhein genossen, mag allerdings zu dieser ruhigen Heiterkeit
des Gemuets, zu diesem Hingeben jedes einzelnen fuer die Gesellschaft
beigetragen haben. Aber nicht mit Unrecht glaube ich diese Erscheinung
einem sonderbaren, mir nachher hoechst merkwuerdigen Manne zuschreiben
zu muessen.
Ich war schon beinahe anderthalb Tage in den drei Reichskronen vor
Anker gelegen; haette mich nicht ein Freund, den ich seit langen
Jahren nicht gesehen hatte, auf den fuenfundzwanzigsten oder
dreissigsten bestellt, ich waere nicht mehr laenger geblieben; denn
die schrecklichste Langeweile peinigte mich. Die Gesellschaft im Hause
war anstaendig, freundlich sogar, aber kalt. Man liess einander an der
Seite liegen, wenig bekuemmert um das Wohl oder das Weh des Nachbars.
Wie man einander die schoenen geschmorten Fische, den feinen Braten
oder die Saladiere darzubieten habe, wusste jeder, "aber das Genie,
ich meine, der Geist" wies sich nicht gehoerig an der Tafel, noch
weniger nachher aus.
Ich sah eines Nachmittags aus meinem Fenster auf den freien Platz vor
dem Hotel hinab und dachte nach ueber meine Forderungen an die
Menschen ueberhaupt und an die Gasthofmenschen (worunter ich nicht
Wirt und Kellner allein verstand) insbesondere. Da rasselte ein
Reisewagen ueber das Steinpflaster der engen Seitenstrasse und hielt
gerade unter meinem Fenster.
Der geschmackvolle Bau des Wagens liess auf eine elegante Herrschaft
schliessen. Sonderbar war es uebrigens, dass weder auf dem Bock, noch
hinten im Kabriolett ein Diener sass, was doch eigentlich zu den vier
Postpferden, mit welchen der Wagen bespannt war, notwendig gepasst
haette.
"Vielleicht ein kranker Herr, den sie aus dem Wagen tragen muessen,"
dachte ich und richtete die Lorgnette genau auf die Hand des grossen
stattlichen Oberkellners, der den Schlag oeffnete.
"Zimmer vakant?" rief eine tiefe, wohltoenende Maennerstimme.
"So viele Euer Gnaden befehlen," war die Antwort des Giganten.
Eine grosse, schlanke Gestalt schluepfte schnell aus dem Wagen und
trat in die Halle.
"Nr. 12 und 13," rief die gebietende Stimme des Oberkellners, und Jean
und George flogen im Wettlauf die Treppe hinan.
Die Wagentuere war offen geblieben, aber noch immer wollte kein
zweiter heraussteigen.
Der Oberkellner stand verwundert am Wagen, zweimal hatte er
hineingesehen und immer dabei mit dem Kopf geschuettelt.
"Bst, Herr Oberkellner, auf ein Wort," rief ich hinab, "wer war denn--"
"Werde gleich die Ehre haben," antwortete der Gefaellige und trat bald
darauf in mein Zimmer.
"Eine sonderbare Erscheinung," sagte ich zu ihm; "ein schwerer Wagen
mit vier Pferden, und nur ein einzelner Herr ohne alle Bedienung."
"Gegen alle Regel und Erfahrung," versicherte jener, "ganz sonderbar,
ganz sonderbar. Jedoch der Postillon versicherte, es sei ein Guter,
denn er gab immer zwei Taler schon seit acht Stationen. Vielleicht ein
Englaender von Profession, haben alle etwas Apartes."
"Wissen Sie den Namen nicht?" fragte ich neugieriger, als es sich
schickte.
"Wird erst beim Souper auf die Schiefertafel geschrieben," antwortete
jener; "haben der Herr Doktor sonst noch etwas--?"
Ich wusste zu meinem Verdruss im Augenblicke nichts; er ging und liess
mich mit meinen Konjekturen ueber den Einsamen im achtsitzigen Wagen
allein.
Als ich abends zur Tafel hinabging, schluepfte der Kellner an mir
vorueber, eine ungeheure Schiefertafel in der Hand. Er wurde mich kaum
gewahr, als er, in einer Hand ein Licht, in der andern die Tafel, vor
mich hintrat, mir solche praesentierend.
"v. Natas, Partikulier," stand aufgeschrieben. "Hat er noch keine
Bedienung?" fragte ich.
"Nein," war die Antwort, "er hat zwei Lohnlakaien angenommen, die ihn
aber weder aus- noch ankleiden duerfen."
Als ich in den Speisesaal trat, hatte sich die Gesellschaft schon
niedergelassen; ich eilte still an meinen Stuhl, gegenueber sass Herr
von Natas.
Hatte dieser Mann schon vorher meine Neugierde erregt, so wurde er mir
jetzt um so interessanter, da ich ihn in der Naehe sah.
Das Gesicht war schoen, aber bleich, Haar, Augen und der volle Bart
von glaenzendem Schwarz, die weissen Zaehne, von den feingespaltenen
Lippen oft enthuellt, wetteiferten mit dem Schnee der blendend weissen
Waesche. War er alt? War er jung? Man konnte es nicht bestimmen; denn
halb schien sein Gesicht mit seinem pikanten Laecheln, das ganz leise
in dem Mundwinkel anfaengt und wie ein Woelkchen um die feingebogene
Nase zu dem mutwilligen Auge hinaufzieht, frueh gereifte und unter dem
Sturm der Leidenschaften verbluehte Jugend zu verraten; bald glaubte
man einen Mann von schon vorgerueckten Jahren vor sich zu haben, der
durch eifriges Studium einer reichen Toilette sich zu konservieren
weiss.
Es gibt Koepfe, Gesichter, die nur zu e i n e r Koerperform passen und
sonst zu keiner andern. Man werfe mir nicht vor, dass es
Sinnestaeuschung sei, dass das Auge sich schon zu sehr an diese Form,
wie sie die Natur gegeben, gewoehnt habe, als dass es sich eine andere
Mischung denken koennte. Dieser Kopf konnte nie auf einem
untersetzten, wohlbeleibten Koerper sitzen, er durfte nur die Krone
einer hohen, schlanken, zartgebauten Gestalt sein. So war es auch, und
die gedankenschnelle Bewegung der Gesichtsmuskeln, wie sie in leichtem
Spott um den Mund, im tiefen Ernst um die hohe Stirne spielten,
drueckte sich auch in dem Koerper durch die wuerdige, aber bequeme
Haltung, durch die schnelle, runde, beinahe zierliche Bewegung der
Arme, ueberhaupt in dem leichten, koeniglichen Anstande des Mannes
aus.
So war Herr von Natas, der mir gegenueber an der Abendtafel sass. Ich
hatte waehrend der ersten Gaenge Musse genug, diese Bemerkungen zu
machen, ohne dem interessanten _vis-a-vis_ durch neugieriges
Anstarren beschwerlich zu fallen. Der neue Gast schien uebrigens noch
mehrere Beobachtungen zu veranlassen; denn an dem oberen Ende der
Tafel waren diesen Abend die Brillen mehrerer Damen in immerwaehrender
Bewegung; mich und meine Nachbarn hatten sie ueber dem Mittagessen
hoechstens mit blossem Auge gemustert.
Das Dessert wurde aufgetragen, der Direktor der vorzueglichen
Tafelmusik ging umher, seinen wohlverdienten Lohn einzusammeln. Er kam
an den Fremden. Dieser warf einen Taler unter die kleine
Muenzensammlung und fluesterte dem ueberraschten Sammler etwas ins
Ohr. Mit drei tiefen Buecklingen schien dieser zu bejahen und zu
versprechen und schritt eilig zu seiner Kapelle zurueck. Die
Instrumente wurden aufs neue gestimmt.
Ich war gespannt, was jener wohl gewaehlt haben koennte; der Direktor
gab das Zeichen, und gleich in den ersten Takten erkannte ich die
herrliche Polonaise von Osinsky. Der Fremde lehnte sich nachlaessig in
seinen Stuhl zurueck, er schien nur der Musik zu gehoeren; aber bald
bemerkte ich, dass das dunkle Auge unter den langen, schwarzen Wimpern
rastlos umherlief,--es war offenbar, er musterte die Gesichter der
Anwesenden und den Eindruck, den die herrliche Polonaise auf sie
machte.
Wahrlich! Dieser Zug schien mir einen geuebten Menschenkenner zu
verraten. Zwar waere der Schluss unrichtig, den man sich aus der
waermern oder kaeltern Teilnahme an dem Reich der Toene auf die
groebere oder geringere Empfaenglichkeit des Gemuets fuer das Schoene
und Edle ziehen wollte; heult ja doch auch selbst der Hund bei den
sanften Toenen der Floete, das Pferd dagegen spitzt die Ohren bei dem
mutigen Schmettern der Trompeten, stolzer hebt es den Nacken, und sein
Tritt ist fester und straffer.
Aber dennoch konnte man nichts Unterhaltenderes sehen als die
Gesichter der verschiedenen Personen bei den schoensten Stellen des
Stueckes; ich machte dem Fremden mein Kompliment ueber die glueckliche
Wahl dieser Musik, und schnell hatte sich zwischen uns ein Gespraech
ueber die Wirkung der Musik auf diese oder jene Charaktere entsponnen.
Die uebrigen Gaeste hatten sich indessen verlaufen, nur einige, die in
der Ferne auf unser Gespraech gelauscht hatten, rueckten nach und nach
naeher. Mitternacht war herangekommen, ohne dass ich wusste wie; denn
der Fremde hatte uns so tief in alle Verhaeltnisse der Menschen, in
alle ihre Neigungen und Triebe hineinblicken lassen, dass wir uns
stille gestehen mussten, nirgends so tiefgedachte, so ueberraschende
Schluesse gehoert oder gelesen zu haben.
Von diesem Abend an ging uns ein neues Leben in den drei Reichskronen
auf. Es war, als habe die Freude selbst ihren Einzug bei uns gehalten
und feiere jetzt ihre heiligsten Festtage; Gaeste, die sich nie
haetten einfallen lassen, laenger als eine Nacht hier zu bleiben,
schlossen sich an den immer groesser werdenden Zirkel an und
vergassen, dass sie unter Menschen sich befanden, die der Zufall aus
allen Weltgegenden zusammengeschneit hatte. Und Natas, dieses seltsame
Wesen, war die Seele des Ganzen. Er war es, der sich, sobald er sich
nur erst mit seinen naechsten Tischnachbarn bekannt gemacht hatte, zum
_Maitre de plaisir_ hergab. Er veranstaltete Feste, Ausfluege in
die herrliche Gegend und erwarb sich den innigen Dank eines jeden.
Hatte er aber schon durch die sinnreiche Auswahl des Vergnuegens sich
alle Herzen gewonnen, so war dies noch mehr der Fall, wenn er die
Konversation fuehrte.
Jenes ergoetzliche Maerchen von dem Hoernchen des Oberon schien ins
Leben getreten zu sein; denn Natas durfte nur die Lippen oeffnen, so
fuehlte jeder zuerst die lieblichsten Saiten seines Herzens
angeschlagen; auf leichten Schwingen schwirrte dann das Gespraech um
die Tafel, mutwilliger wurden die Scherze, kuehner die Blicke der
Maenner, schalkhafter das Kichern der Damen, und endlich rauschte die
Rede in so fessellosen Stroemen, dass man nachher wenig mehr davon
wusste, als dass man sich goettlich amuesiert habe.
Und dennoch war der Zauberer, der diese Lust heraufbeschwor, weit
entfernt, je in's Rohe, Gemeine hinueberzuspielen. Er griff irgend
einen Gegenstand, eine Tagesneuigkeit auf, erzaehlte Anekdoten,
spielte das Gespraech geschickt weiter, wusste jedem seine tiefste
Eigentuemlichkeit zu entlocken und ergoetzte durch seinen lebhaften
Witz, durch seine warme Darstellung, die durch alle Schattierungen von
dem tiefsten Gefuehl der Wehmut bis hinauf an jene Ausbrueche der
Laune streifte, welche in dem sinnlichsten, reizendsten Kostuem auf
der feinen Grenze des Anstandes gaukeln.
Manchmal schien es zwar, es moechte weniger gefaehrlich gewesen sein,
wenn er dem Heiligen, das er antastete, geradezu Hohn gesprochen, das
Zarte, das er benagte, geradezu zerrissen haette; jener zarte,
geheimnisvolle Schleier, mit welchem er dies oder jenes verhuellte,
reizte nur zu dem luesternen Gedanken, tiefer zu blicken, und das
ueppige Spiel der Phantasie gewann in manchem Koepfchen unserer
schoenen Damen nur noch mehr Raum; aber man konnte ihm nicht zuernen,
nicht widersprechen; seine glaenzenden Eigenschaften rissen
unwiderstehlich hin, sie umhuellten die Vernunft mit suessem Zauber,
und seine kuehnen Hypothesen schlichen sich als Wahrheit in das
unbewachte Herz.
* * * * *
ZWEITES KAPITEL
Der schauerliche Abend.
So hatte der geniale Fremdling mich und zwoelf bis fuenfzehn Herren
und Damen in einen tollen Strudel der Freude gerissen. Beinahe alle
waren ohne Zweck in diesem Haus, und doch wagte keiner, den Gedanken
an die Abreise sich auch nur entfernt vorzustellen. Im Gegenteil, wenn
wir morgens lange ausgeschlafen, mittags lange getafelt, abends lange
gespielt und nachts lange getrunken, geschwatzt und gelacht hatten,
schien der Zauber, der uns an dieses Haus band, nur eine neue Kette um
den Fuss geschlungen zu haben.
Doch es sollte anders werden, vielleicht zu unserm Heil. An dem
sechsten Tage unseres Freudenreiches, einem Sonntag, war unser Herr
von Natas im ganzen Gasthof nicht zu finden. Die Kellner
entschuldigten ihn mit einer kleinen Reise; er werde vor
Sonnenuntergang nicht kommen, aber zum Tee, zur Nachttafel unfehlbar
da sein.
Wir waren schon so an den Unentbehrlichen gewoehnt, dass uns diese
Nachricht ganz betreten machte; es war uns, als wuerden uns die
Fluegel zusammengebunden und man befehle uns zu fliegen.
Das Gespraech kam, wie natuerlich, auf den Abwesenden und auf seine
auffallende, glaenzende Erscheinung. Sonderbar war es, dass es mir
nicht aus dem Sinne kommen wollte, ich habe ihm, nur unter einer
andern Gestalt, schon frueher einmal auf meinem Lebenswege begegnet;
so abgeschmackt auch der Gedanke war, so unwiderstehlich draengte er
sich mir immer wieder auf. Aus frueheren Jahren her erinnerte ich mich
naemlich eines Mannes, der in seinem Wesen, in seinem Blicke
hauptsaechlich, grosse Aehnlichkeit mit ihm hatte. Jener war ein
fremder Arzt, besuchte nur hie und da meine Vaterstadt und lebte dort
immer von Anfang sehr still, hatte aber bald einen Kreis von Anbetern
um sich versammelt. Die Erinnerung an jenen Menschen war mir uebrigens
fatal; denn man behauptete, dass, so oft er uns besucht habe, immer
ein bedeutendes Unglueck erfolgt sei; aber dennoch konnte ich den
Gedanken nicht los werden, Natas habe die groesste Aehnlichkeit mit
ihm, ja, es sei eine und dieselbe Person.
Ich erzaehlte meinen Tischnachbarn den unablaessig mich verfolgenden
Gedanken und die unangenehme Vergleichung eines mir so grausenhaften
Wesens, wie der Fremde in meiner Vaterstadt war, mit unserem Freunde,
der so ganz meine Achtung und Liebe sich erworben hatte; aber noch
unglaublicher klingt es vielleicht, wenn ich versichere, dass meine
Nachbarn ganz den naemlichen Gedanken hatten; auch sie glaubten, unter
einer ganz andern Gestalt unsern geistreichen Gesellschafter gesehen
zu haben.
"Sie koennten einem ganz bange machen," sagte die Baronin von Thingen,
die nicht weit von mir sass, "Sie wollen unsern guten Natas am Ende
zum ewigen Juden oder, Gott weiss, zu was sonst noch machen!"
Ein kleiner aeltlicher Herr, Professor in T., der seit einigen Tagen
sich auch an unsere Gesellschaft angeschlossen und immer still
vergnuegt, hie und da etwas weinselig, mitlebte, hatte waehrend
unserer "vergleichenden Anatomie", wie er es nannte, still vor sich
hingelaechelt und mit kunstfertiger Schnelligkeit seine ovale Dose
zwischen den Fingern umgedreht, dass sie wie ein Rad anzusehen war.
"Ich kann mit meiner Bemerkung nicht mehr laenger hinter dem Berge
halten," brach er endlich los, "wenn Sie erlauben, Gnaedigste, so
halte ich ihn nicht gerade fuer den ewigen Juden, aber doch fuer einen
ganz absonderlichen Menschen. So lange er zugegen war, wollte wohl hie
und da der Gedanke in mir aufblitzen: 'Den hast du schon gesehen, wo
war es doch?' aber wie durch Zauber krochen diese Erinnerungen
zurueck, wenn er mich mit dem schwarzen, umherspringenden Auge
erfasste."
"So war es mir gerade auch,--mir auch,--mir auch," riefen wir alle
verwundert.
"Hm! he, hm!" lachte der Professor. "Jetzt faellt es mir aber von den
Augen wie Schuppen, dass es niemand ist als der, den ich schon vor
zwoelf Jahren in Stuttgart gesehen habe."
"Wie, Sie haben ihn gesehen und in welchen Verhaeltnissen?" fragte
Frau von Thingen eifrig und erroetete halb ueber den allzugrossen
Eifer, den sie verraten hatte.
Der Professor nahm eine Prise, klopfte den Jabot aus und begann: "Es
moegen nun ungefaehr zwoelf Jahre sein, als ich wegen eines Prozesses
einige Monate in Stuttgart, zubrachte. Ich wohnte in einem der ersten
Gasthoefe und speiste auch dort gewoehnlich in grosser Gesellschaft an
der Wirtstafel. Einmal kam ich nach einigen Tagen, in welchen ich das
Zimmer hatte hueten muessen, zum erstenmal wieder zu Tisch. Man sprach
sehr eifrig ueber einen gewissen Herrn Barighi, der seit einiger Zeit
die Mittagsgaeste durch seinen lebhaften Witz, durch seine Gewandtheit
in allen Sprachen entzuecke; in seinem Lob waren alle einstimmig, nur
ueber seinen Charakter war man nicht recht einig; denn die einen
machten ihn zum Diplomaten, die andern zu einem Sprachmeister, die
dritten zu einem hohen Verbannten, wieder andere zu einem Spion. Die
Tuere ging auf, man war still, beinahe verlegen, den Streit so laut
gefuehrt zu haben; ich merkte, dass der Besprochene sich eingefunden
habe und sah--"
"Nun, ich bitte Sie! denselben, der uns"--"denselben, der uns seit
einigen Tagen so trefflich unterhaelt. Dies waere uebrigens gerade
nichts Uebernatuerliches; aber hoeren Sie weiter: Zwei Tage schon
hatte uns Herr Barighi, so nannte sich der Fremde, durch seine
geistreiche Unterhaltung die Tafel gewuerzt, als uns einmal der Wirt
des Gasthofs unterbrach: 'Meine Herren,' sagte der Hoefliche, 'bereiten
Sie sich auf eine koestliche Unterhaltung, die Ihnen morgen zuteil
werden wird, vor; der Herr Oberjustizrat Hasentreffer zog heute aus
und zieht morgen ein.'"
"Wir fragten, was dies zu bedeuten habe, und ein alter grauer
Hauptmann, der schon seit vielen Jahren den obersten Platz in diesem
Gasthofe behauptete, teilte uns den Schwank mit: 'Gerade dem
Speisesaal gegenueber wohnt ein alter Junggeselle, einsam in einem
grossen oeden Haus; er ist Oberjustizrat ausser Dienst, lebt von einer
anstaendigen Pension und soll ueberdies ein enormes Vermoegen
besitzen.'
"'Derselbe ist aber ein kompletter Narr und hat ganz eigene
Gewohnheiten, wie z.B., dass er sich selbst oft grosse Gesellschaft
gibt, wobei es immer flott hergeht. Er laesst zwoelf Kuverts aus dem
Wirtshaus kommen, seine Weine hat er im Keller, und einer oder der
andere unserer Markoers hat die Ehre zu servieren. Man denkt
vielleicht, er hat allerlei hungrige oder durstige Menschen bei sich!
Mitnichten! alte, gelbe Stammbuchblaetter, auf jedem ein grosses
Kreuz, liegen auf den Stuehlen; dem alten Kauz ist aber so wohl, als
wenn er unter den lustigsten Kameraden waere; er spricht und lacht mit
ihnen, und das Ding soll so greulich anzusehen sein, dass man immer
die neuen Kellner dazu braucht, denn wer e i n m a l bei einem solchen
Souper war, geht nicht mehr in das oede Haus.
"'Vorgestern war wieder ein Souper, und unser neuer Franz dort
schwoert Himmel und Erde, ihn bringe keine Seele mehr hinueber. Den
andern Tag nach dem Gastmahl kommt dann die zweite Sonderbarkeit des
Oberjustizrats. Er faehrt morgens frueh aus der Stadt und kehrt erst
den andern Morgen zurueck, nicht aber in sein Haus, das um diese Zeit
fest verriegelt und verschlossen ist, sondern hierher ins Wirtshaus.
"Da tut er dann ganz fremd gegen Leute, welche er das ganze Jahr
taeglich sieht, speist zu Mittag und stellt sich nachher an ein
Fenster und betrachtet sein Haus gegenueber von oben bis unten.
"'Wem gehoert das Haus da drueben?` fragt er dann den Wirt.
"Pflichtmaessig bueckt sich dieser jedesmal und antwortet: 'Dem Herrn
Oberjustizrat Hasentreffer, Ew. Exzellenz aufzuwarten.'"
"Aber, Herr Professor, wie haengt denn Ihr toller Hasentreffer mit
unserem Natas zusammen?"
"Belieben Sie sich doch zu gedulden, Herr Doktor," antwortete jener,
"es wird Ihnen gleich wie ein Licht aufgehen. Der Hasentreffer
beschaut also das Haus und erfaehrt, dass es dem Hasentreffer gehoere.
'Ach! derselbe, der in Tuebingen zu meiner Zeit studierte?' fragt er
dann, reisst das Fenster auf, streckt den gepuderten Kopf hinaus und
schreit: 'Ha--a--asentreffer, Ha--a--asentreffer!'
"Natuerlich antwortete niemand, er aber sagt dann: Der Alte wuerde es
mir nie vergessen, wenn ich nicht bei ihm einkehrte,' nimmt Hut und
Stock, schliesst sein eigenes Haus auf, und so geht es nach wie vor."
"Wir alle," fuhr der Professor in seiner Erzaehlung fort, "waren sehr
erstaunt ueber diese sonderbare Erscheinung und freuten uns koeniglich
auf den morgenden Spass. Herr Barighi aber nahm uns das Versprechen
ab, ihn nicht verraten zu wollen, indem er einen koestlichen Scherz
mit dem Oberjustizrat vorhabe.
"Frueher als gewoehnlich versammelten wir uns an der Wirtstafel und
belagerten die Fenster. Eine alte, baufaellige Chaise wurde von zwei
alten Kleppern die Strasse herangeschleppt, sie hielt vor dem
Wirtshaus; 'das ist der Hasentreffer, der Hasentreffer,' toente es von
aller Mund, und eine ganz besondere Froehlichkeit bemaechtigte sich
unser, als wir das Maennlein zierlich gepudert, mit einem stahlgrauen
Roecklein angetan, ein maechtiges Meerrohr in der Hand, aussteigen
sahen. Ein Schwanz von wenigstens zehn Kellnern schloss sich ihm an;
so gelangte er ins Speisezimmer.
"Man schritt sogleich zur Tafel; ich habe selten so viel gelacht als
damals; denn mit der groessten Kaltbluetigkeit behauptete der Alte,
gerades Weges aus Kassel zu kommen und vor sechs Tagen in Frankfurt im
Schwan recht gut logiert zu haben. Schon vor dem Dessert musste
Barighi verschwunden sein; denn als der Oberjustizrat aufstand und
sich auch die uebrigen Gaeste erwartungsvoll erhoben, war er nirgends
mehr zu sehen.
"Der Oberjustizrat stellte sich ans Fenster, wir alle folgten seinem
Beispiele und beobachteten ihn. Das Haus gegenueber schien oede und
unbewohnt; auf der Tuerschwelle sprosste Gras, die Jalousien waren
geschlossen; zwischen einigen schienen sich Voegel eingebaut zu haben.
"'Ein huebsches Haus da drueben,' begann der Alte zu dem Wirt, der
immer in der dritten Stellung hinter ihm stand. 'Wem gehoert es?'--
'Dem Oberjustizrat Hasentreffer, Euer Exzellenz aufzuwarten.'
"'Ei, das ist wohl der naemliche, der mit mir studiert hat?' rief er
aus. 'Der wuerde es mir nie verzeihen, wenn ich ihm nicht meine
Anwesenheit kund taete.' Er riss das Fenster auf: 'Hasentreffer--
Hasentreffer!' schrie er mit heiserer Stimme hinaus.--Aber wer
beschreibt unsern Schrecken, als gegenueber in dem oeden Haus, das wir
wohlverschlossen und verriegelt wussten, ein Fensterladen langsam sich
oeffnete; ein Fenster tat sich auf, und heraus schaute der
Oberjustizrat Hasentreffer im zitzenen Schlafrock und der weissen
Muetze, unter welcher wenige graue Loeckchen hervorquollen; so, gerade
so pflegte er sich zu Hause zu tragen. Bis auf das kleinste Faeltchen
des bleichen Gesichts war der gegenueber der naemliche wie der, der
bei uns stand. Aber Entsetzen ergriff uns, als der im Schlafrock mit
derselben heiseren Stimme ueber die Strasse herueberrief: 'Was will
man, wen ruft man? he!'
"'Sind Sie der Herr Oberjustizrat Hasentreffer?' rief der auf unserer
Seite, bleich wie der Tod, mit zitternder Stimme, indem er sich bebend
am Fenster hielt.
"'Der bin ich,' kreischte jener und nickte freundlich grinsend mit dem
Kopfe; 'steht etwas zu Befehl?'
"'Ich bin er ja auch,' rief der auf unserer Seite wehmuetig, 'wie ist
denn dies moeglich?'
"'Sie irren sich, Wertester!' schrie jener herueber. 'Sie sind der
Dreizehnte; kommen Sie nur ein wenig herueber in meine Behausung, dass
ich Ihnen den Hals umdrehe; es tut nicht weh.'
"'Kellner, Stock und Hut!' rief der Oberjustizrat, matt bis zum Tod,
und die Stimme schlich ihm in klaeglichen Toenen aus der hohlen Brust
herauf. 'In meinem Haus ist der Satan und will meine Seele;--
vergnuegten Abend, meine Herren!' setzte er hinzu, indem er sich mit
einem freundlichen Bueckling zu uns wandte und dann den Saal verliess.
"'Was war das?' fragten wir uns. 'Sind wir alle wahnsinnig?'--
"Der im Schlafrock schaute noch immer ganz ruhig zum Fenster heraus,
waehrend unser gutes altes Naerrchen in steifen Schritten ueber die
Strasse stieg. An der Haustuere zog er einen grossen Schluesselbund
aus der Tasche, riegelte--der im Schlafrock sah ihm ganz gleichgueltig
zu--riegelte die schwere, knarrende Haustuer auf und trat ein.
"Jetzt zog sich auch der andere vom Fenster zurueck; man sah, wie er
dem unsrigen an die Zimmertuere entgegenging.
"Unser Wirt, die zehn Kellner waren alle bleich vor Entsetzen und
zitterten. 'Meine Herren,' sagte jener, 'Gott sei dem armen
Hasentreffer gnaedig, denn einer von beiden war der Leibhaftige.'--
Wir lachten den Wirt aus und wollten uns selbst bereden, dass es ein
Scherz von Barighi sei; aber der Wirt versicherte, es habe niemand in
das Haus gehen koennen ausser mit den ueberaus kuenstlichen
Schluesseln den Rats; Barighi sei zehn Minuten, ehe das Graessliche
geschehen, noch an der Tafel gesessen; wie haette er denn in so kurzer
Zeit die taeuschende Maske anziehen koennen, auch vorausgesetzt, er
haette sich das fremde Haus zu oeffnen gewusst? Die beiden seien aber
einander so greulich aehnlich gewesen, dass er, ein zwanzigjaehriger
Nachbar, den echten nicht haette unterscheiden koennen. Aber um Gottes
willen, meine Herren, hoeren Sie nicht das graessliche Geschrei da
drueben?'
"Wir sprangen ans Fenster, schrecklich trauervolle Stimmen toenten aus
dem oeden Hause herueber; einige Male war es uns, als saehen wir
unsern alten Oberjustizrat, verfolgt von seinem Ebenbild im
Schlafrock, am Fenster vorbeijagen. Ploetzlich aber war alles still.
"Wir sahen einander an; der Beherzteste machte den Vorschlag
hinueberzugehen! Alle stimmten ueberein. Man zog ueber die Strasse,
die grosse Hausglocke an des Alten Haus toente dreimal, aber es wollte
sich niemand hoeren lassen; da fing uns an zu grauen; wir schickten
nach der Polizei und dem Schlosser, man brach die Tuere aus, der ganze
Strom der Neugierigen zog die breite, stille Treppe hinauf, alle
Tueren waren verschlossen; eine ging endlich auf; in einem
prachtvollen Zimmer lag der Oberjustizrat im zerrissenen stahlfarbigen
Roecklein, die zierliche Frisur schrecklich verzaust, tot, erwuergt
auf dem Sofa.
"Von Barighi hat man seitdem weder in Stuttgart, noch sonst irgendwo
jemals eine Spur gesehen."
* * * * *
DRITTES KAPITEL.
Der schauerliche Abend. (Fortsetzung.)
Der Professor hatte seine Erzaehlung geendet, wir sassen eine gute
Weile still und nachdenkend. Das lange Schweigen ward mir endlich
peinlich; ich wollte das Gespraech wieder anfachen oder auf eine
andere Bahn bringen, als mir ein Herr von mittleren Jahren in reicher
Jagduniform, wenn ich nicht irre, ein Oberforstmeister aus dem
Nassauischen, zuvorkam.
"Es ist wohl jedem von uns schon begegnet, dass er unzaehlige Male
fuer einen andern gehalten wurde oder auch Fremde fuer ganz Bekannte
anredete, und sonderbar ist es, ich habe diese Bemerkung oft in meinem
Leben bestaetigt gefunden, dass die Verwechslung weniger bei jenen
platten, alltaeglichen, nichtssagenden Gesichtern als bei
auffallenden, eigentlich interessanten vorkommt."
Wir wollten ihm seine Behauptung als ganz unwahrscheinlich verwerfen;
aber er berief sich auf die wirklich interessante Erscheinung unseres
Natas. "Jeder von uns gesteht," sagte er, "dass er dem Gedanken Raum
gegeben, unsern Freund, nur unter anderer Gestalt, hier oder dort
gesehen zu haben, und doch sind seine scharfen Formen, sein
gebietender Blick, sein gewinnendes Laecheln ganz dazu gemacht, auf
ewig sich ins Gedaechtnis zu praegen."
"Sie moegen so unrecht nicht haben," entgegnete Flasshof, ein
preussischer Hauptmann, der auf die Strafe des Arrestes hin schon zwei
Tage bei uns gezaudert hatte, nach Koblenz in seine Garnison
zurueckzukehren. "Sie moegen recht haben; ich erinnere mich einer
Stelle aus den launigen Memoiren des italienischen Grafen Gozzi, die
ganz fuer Ihre Behauptung spricht. Jedermann, sagt er, hat den Michele
d'Agata gekannt und weiss, dass er einen Fuss kleiner und wenigstens
um zwei dicker war als ich, und auch sonst nicht die geringste
Aehnlichkeit in Kleidung und Physiognomie mit mir gehabt hat. Aber
lange Jahre hatte ich beinahe taeglich den Verdruss, von Saengern,
Taenzern, Geigern und Lichtputzern als Herr Michele d'Agata angeredet
zu werden und lange Klagen um schlechte Bezahlung, Forderungen usw.
anhoeren zu muessen. Selten gingen sie ueberzeugt von mir, dass ich
nicht Michele d'Agata sei. Einst besuchte ich in Verona eine Dame;
das Kammermaedchen meldet mich an: 'Herr Agata.' Ich trat hinein und
ward als Michele d'Agata begruesst und unterhalten, ich ging weg und
begegnete einem Arzt, den ich wohl kannte. 'Guten Abend, Herr Agata,'
war sein Gruss, indem er vorueberging.--Ich glaubte am Ende beinahe
selbst, ich sei der Michele d'Agata."
Ich wusste dem guten Hauptmann Dank, dass er uns aus den aengstigenden
Phantasien, welche die Erzaehlung des Professors in uns aufgeregt
hatte, erloeste. Das Gespraech floss ruhiger fort; man stritt sich um
das Vorrecht ganzer Nationen, einen interessanten Gesichtsschnitt zu
haben, ueber den Einfluss des Geistes auf die Gesichtszuege ueberhaupt
und auf das Auge insbesondere; man kam endlich auf Lavater und
Konsorten; Materien, die ich hundertmal besprochen, mochte ich nicht
mehr wiederkaeuen, ich zog mich in ein Fenster zurueck. Bald folgte
mir der Professor dahin nach, um gleich mir die Gesichter der
Streitenden zu betrachten.
"Welch ein leichtsinniges Volk," seufzte er, "ich habe sie jetzt
soeben gewarnt und die Hoelle ihnen recht heiss gemacht, ja, sie
wagten in keine Ecke mehr zu sehen, aus Furcht, der Leibhaftige
moechte daraus hervorgucken, und jetzt lachen sie wieder und machen
tolle Streiche, als ob der Versucher nicht immer umherschleiche."
Ich musste lachen ueber die Amtsmiene, die sich der Professor gab.
"Noch nie habe ich das schoene Talent eines Vesperpredigers an Ihnen
bemerkt," sagte ich; "aber Sie sehen mich in Erstaunen durch Ihre
kuehnen Angriffe auf die boese Welt und auf den Argen selbst. Bilden
Sie sich denn wirklich ein, dieser harmlose Natas...."
"Harmlos nennen Sie ihn?" unterbrach mich der Professor, heftig meine
Brust anfassend, "harmlos? haben Sie denn nicht bemerkt," fluesterte
er leiser, "dass alles bei diesem feinen--Herrn berechneter Plan ist? O,
ich kenne meine Leute!"
"Sie setzen mich in Erstaunen, wie meinen Sie denn?"
"Haben Sie nicht bemerkt," fuhr er eifrig fort, "dass der gebildete
Herr Oberforstmeister dort mit Leib und Seele sein ist, weil er ihm
fuenf Naechte hindurch alles Geld abjagte und den Ausgebeutelten
gestern nacht noch fuenfzehnhundert Dukaten gewinnen liess? Er nennt
den abgefeimten Spieler einen Mann von den nobelsten Sentiments und
schwoert auf Ehre, er muesse ueber die Haelfte wieder an den Fremden
verlieren, sonst habe er keine Ruhe. Haben Sie ferner nicht bemerkt,
wie er den Oekonomierat gekoernt hat?"
"Ich habe wohl gesehen," antwortete ich, "dass der Oekonomierat, sonst
so moros und misanthropisch, jetzt ein wenig aufgewacht ist; aber ich
habe es dem allgemeinen Einfluss der Gesellschaft zugeschrieben."
"Behuete. Er laeuft schon seit zwanzig Jahren in den Gesellschaften
umher und wacht doch nicht auf; auf dem Weg ist er, ein Bruder
Liederlich zu werden. Der Esel reist krank im Lande umher, behauptet,
einen grossen Wurm im Leibe zu haben, und macht allen Leuten das Leben
sauer mit seinen exorbitanten Behauptungen, und jetzt? Jetzt hat ihn
dieser Wundermann erwischt, gibt ihm ein Puelverlein und raet ihm,
nicht wie ein anderer vernuenftiger Arzt, Diaet und Maessigkeit,
sondern er soll seine Jugend, wie er die fuenfzig Jahre des alten
Wurms nennt, geniessen, viel Wein trinken &c., und das _et
cetera_ und den Wein benuetzt er seit vier Tagen aerger als der
verlorene Sohn."
"Und darueber koennen Sie sich aergern, Herr Professor? Der Mann ist
sich und dem Leben wieder geschenkt--"
"Nicht davon spreche ich," entgegnete der Eifrige, "der alte Suender
koennte meinetwegen heute noch abfahren, sondern dass er sich dem
naechsten besten Charlatan anvertraut und sich also ruinieren muss.
Ich habe ihn vor acht Jahren in der Kur gehabt, und es besserte sich
schon zusehends."
Der Eifer des Professors war mir nun einigermassen erklaerlich, der
Brotneid schaute nicht undeutlich heraus.--
"Und unsere Damen," fuhr er fort, "die sind nun rein toll. Mich dauert
der arme Truebenau, ich kenne ihn zwar nicht, aber uebermorgen soll er
hier ankommen, und wie findet er die gnaedige Frau? Hat man je
gehoert, dass eine junge gebildete Frau in den ersten Jahren einer
gluecklichen Ehe sich in ein solches Verhaeltnis mit einem ganz
fremden Menschen einlaesst, und zwar innerhalb fuenf Tagen!"--
"Wie? die schoene bleiche Frau dort!" rief ich aus.--
"Die naemliche bleiche," antwortete er, "vor vier Tagen war sie noch
schoen rot wie eine Zentifolie, da begegnet ihr der Interessante auf
der Strasse, fragt, wohin sie gehe, hoert kaum, dass sie _Rouge
fin_ kaufen wolle (denn solche Toilettengeheimnisse auszuplaudern,
heisst Bonton), so bittet und fleht er, sie solle doch kein Rot
auflegen, sie habe ein so interessantes _je ne sais quoi_, das zu
einem blassen Teint viel besser stehe. Was tut Sie? wahrhaftig, sie
geht in den naechsten Galanterieladen und sucht weisse Schminke; ich
war gerade dort, um ein Pfeifenrohr zu erstehen, da hoerte ich sie mit
ihrer suessen Stimme den rauhhaarigen Baeren von einem Ladendiener
fragen, ob man das Weiss nicht noch etwas a e t h e r i s c h e r
habe? Hol mich der T------! hat man je so etwas gehoert?"
Ich bedauerte den Professor aufrichtig; denn, wenn ich nicht irre, so
suchte er von Anfang die Aufmerksamkeit der schoenen Frau auf den
schon etwas verschossenen Einband seiner gelehrten Seele zu ziehen.
Dass es aber mit Natas und der Truebenau nicht ganz richtig war, sah
ich selbst. Von der Schminkegeschichte, die jenen so sehr erboste,
wusste ich zwar nichts; aber wer sich auf die Exegese der Augen
verstand, hatte keinen weiteren Kommentar noetig, um die gegenseitige
Annaeherung daraus zu erlaeutern.
Der Professor hatte, in tiefe Gedanken versunken, eine Zeitlang
geschwiegen; er erhob jetzt sein Auge durch die Brille an die Decke
des Zimmers, wo allerlei Engelein in Gips aufgetragen waren. "Himmel,"
seufzte er, "und die Thingen hat er auch. Sie glauben nicht, welcher
Reiz in dem ewig heitern Auge, in diesen Gruebchen auf den bluehenden
Wangen, in dem Schmelz ihrer Zaehne, in diesen frischen, zum Kuss
geoeffneten Lippen, in diesen weichen Armen, in diesen runden, vollen
Formen der schwellenden--"
"Herr Professor!" rief ich, erschrocken ueber seine Extase, und
schuettelte ihn am Arm ins Leben zurueck. "Sie geraten ausser sich,
Wertester. Belieben Sie nicht eine Prise Spaniol?"
"Er hat sie auch," fuhr er zaehneknirschend fort. "Haben Sie nicht
bemerkt, mit welcher Hast sie vorhin nach seinen Verhaeltnissen
fragte? Wie sie rot ward? Jung, schoen, wohlhabend, Witwe,--sie hat
alles, um eine angenehme Partie zu machen. Geistreiche Maenner von Ruf
in der literarischen Welt buhlen um ihre Gunst, sie wirft sich an
einen--Landstreicher hin. Ach, wenn Sie wuessten, bester Doktor, was
mir der Oberkellner sagte, aber mit der groessten Diskretion, dass man
ihn vorgestern nachts aus ihrem Zimmer...."
"Ich bitte, verschonen Sie mich," fiel ich ein, "gestehen Sie mir
lieber, ob der Wundermensch Sie selbst noch nicht unter den Pantoffel
gebracht hat."
"Das ist es eben," antwortete der Gefragte, verlegen laechelnd, "das
ist es, was mir Kummer macht. Sie wissen, ich lese ueber Chemie; er
brachte einmal das Gespraech darauf und entwickelte so tiefe
Kenntnisse, deckte so neue und kuehne Ideen auf, dass mir der Kopf
schwindelte. Ich moechte ihm um den Hals fallen und um seine Hefte und
Notizen bitten; es zieht mich mit unwiderstehlicher Geisterkraft in
seine Naehe, und doch koennte ich ihm mit Freuden Gift beibringen."
Wie komisch war die Wut dieses Mannes! Er ballte die Faust und fuhr
damit hin und her, seine gruenen Brillenglaeser funkelten wie
Katzenaugen, sein kurzes, schwarzes Haar schien sich in die Hoehe zu
richten.
Ich suchte ihn zu besaenftigen. Ich stellte ihm vor, dass er ja nicht
aerger losziehen koennte, wenn der Fremde der Teufel selbst waere;
aber er liess mich nicht zum Worte kommen.
"Er ist es, der Satan selbst logiert hier in den drei Reichskronen,"
rief er, "um unsere Seelen zu angeln. Ja, du bist ein guter Fischer
und hast eine feine Nase; aber ein ----r Professor wie ich, der sogar
in demagogischen Untersuchungen die Lunte gleich gerochen und eigens
deswegen hierher nach Mainz gereist ist, ein solcher hat noch eine
feinere als du."
Ein heiseres Lachen, das gerade hinter meinem Ruecken zu entstehen
schien, zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich wandte mich um und
glaubte Natas hoehnisch durch die Scheiben hereingrinsen zu sehen. Ich
ergriff den Professor am Arm, um ihm die sonderbare Erscheinung zu
zeigen, denn das Zimmer lag einen Stock hoch; dieser aber hatte weder
das Lachen gehoert, noch konnte er meine Erscheinung sehen; denn als
er sich umwandte, sah nur die bleiche Scheibe des Mondes durch die
Fenster dort, wo ich vorhin das greulich verzerrte Gesicht des
geheimnisvollen Fremdlings zu sehen geglaubt hatte.
Ehe ich noch recht mit mir einig war, ob das, was ich gesehen, Betrug
der Sinne, Ausgeburt einer aufgeregten Phantasie oder Wirklichkeit
war, ward die Tuere aufgerissen und Herr von Natas trat stolzen
Schrittes in das Zimmer. Mit sonderbarem Laecheln mass er die
Gesellschaft, als wisse er ganz gut, was von ihm gesprochen worden
sei, und ich glaubte zu bemerken, dass keiner der Anwesenden seinen
forschenden Blick auszuhalten vermochte.
Mit der ihm in eigenen Leichtigkeit hatte er der Truebenau gegenueber,
neben der Frau von Thingen, Platz genommen und die Leitung der
Konversation an sich gerissen. Das boese Gewissen liess den Professor
nicht an den Tisch sitzen, mich selbst fesselte das Verlangen, diesen
Menschen einmal aus der Ferne zu beobachten, an meinen Platz am
Fenster. Da bemerkten wir denn das Augenspiel zwischen Frau von
Truebenau und dem gewandtesten der Liebhaber, der, indem er der
Tochter des Oekonomierats so viel Verbindlichkeiten zu sagen wusste,
dass sie einmal ueber das andere bis unter die breiten Bruesseler
Spitzen ihrer Busenkrause erroetete, das feingeformte Fuesschen der
Frau von Thingen auf seinem blankgewichsten Stiefel tanzen liess.
"Drei Muecken auf einen Schlag, das heisse ich doch--meiner Seel'--
aller Ehre wert," brummte der zorngluehende Professor, dem jetzt auch
seine letzte Ressource, die oekonomische Schoene, so was man sagt, vor
dem Mund weggeschnappt werden sollte. Mit toenenden Schritten ging er
an den Tisch, nahm sich einen Stuhl und setzte sich, breit wie eine
Mauer, neben seine Schoene. Doch diese schien nur Ohren fuer Natas zu
haben; denn sie antwortete auf seine Frage, ob sie sich wohl befinde,
"uebermorgen," und als er voll Gram die Anmerkung hinwarf, sie scheine
sehr zerstreut, meinte sie "1 fl. 30 kr. die Elle."
Ich sah jetzt einem unangenehmen Auftritt entgegen. Der Professor, der
nicht daran dachte, dass er durch ein Sonett oder Triolett alles
wieder gut machen, ja durch ein Paar _ottave rime_ sich sogar bei
der Truebenau wieder insinuieren koennte, widersprach jetzt geradezu
jeder Behauptung, die Natas vorbrachte. Und ach! nicht zu seinem
Vorteil; denn dieser, in der Dialektik dem guten Kathedermann bei
weitem ueberlegen, fuehrte ihn so aufs Eis, dass die leichte Decke
seiner Logik zu reissen und er in ein Chaos von Widerspruechen
hinabzustuerzen drohte.
Eine lieblich duftende Bowle Punsch unterbrach einige Zeit den Streit
der Zunge, gab aber dafuer Anlass zu desto feindseligern Blicken
zwischen Frau von Truebenau und Frau von Thingen. Diese hatte, ihrer
schoenen, runden Arme sich bewusst, den gewaltigen silbernen Loeffel
ergriffen, um beim Eingiessen die ganze Grazie ihrer Haltung zu
entwickeln. Jene aber kredenzte die gefuellten Becher mit solcher
Anmut, mit so liebevollen Blicken, dass das Bestreben, sich
gegenseitig so viel als moeglich Abbruch zu tun, unverkennbar war.
Als aber der sehr starke Punsch die leisen Schauer des Herbstabends
verdraengt hatte, als er anfing, die Wangen unserer Damen hoeher zu
faerben und aus den Augen der Maenner zu leuchten, da schien es mir
mit einem Male; als sei man, ich weiss nicht wie, aus den Grenzen des
Anstandes herausgetreten. Allerlei dumme Gedanken stiegen in mit auf
und nieder, das Gespraech schnurrte und summte wie ein Muehlrad, man
lachte, und jauchzte und wusste nicht ueber was. Man kicherte und
neckte sich, und der Oberforstmeister brachte sogar ein Pfaenderspiel
mit Kuessen in Vorschlag. Ploetzlich hoerte ich jenes heisere Lachen
wieder, das ich vorhin vor dem Fenster zu hoeren glaubte wirklich, es
war Natas, der dem Professor zuhoerte und trotz dem Eifer und Ernst,
mit welchem dieser alles vorbrachte, alle Augenblicke in sein heiseres
Gelaechter ausbrach.
"Nicht wahr, meine Herzen und Damen," schrie der Punsch aus dem
Professor heraus, "Sie haben vorhin selbst bemerkt, dass unser
verehrter Freund dort jedem von Ihnen, nur in anderer Gestalt, schon
begegnet ist? Sie schweigen? Ist das auch Raison, einen so im Sand
sitzen zu lassen? Herr Oberforstmeister! Frau von Thingen, gnaedige
Frau! Sagen Sie selbst, namentlich Sie, Herr Doktor!"
Wir befanden uns durch die Indiskretion des Professors in grosser
Verlegenheit. "Ich erinnere mich," gab ich zur Antwort, als alles
schwieg, "von interessanten Gesichtern und ihren Verwechselungen
gesprochen zu haben. Und wenn ich nicht irre, wurde auch Herr von
Natas aufgefuehrt."
Der Benannte verbeugte sich und meinte, es sei gar zu viel Ehre, ihn
unter die Interessanten zu zaehlen; aber der Professor verdarb wieder
alles.
"Was da! ich nehme kein Blatt vor der Mund!" sagte er, "ich
behauptete, dass mir ganz unheimlich in dero Naehe sei, und erzaehlte,
wie Sie in Stuttgart den armen Hasentreffer erwuergt haben, wissen Sie
noch, gnaediger Herr?"
Dieser aber stand auf, lief mit schrillendem Gelaechter im Zimmer
umher, und ploetzlich glaubte ich den unglueckbringenden Doktor meiner
Vaterstadt vor mir zu haben; es war nicht mehr Natas, es war ein
aelterer, unheimlicher Mensch.
"Da hat man' s ja deutlich," rief der Professor, "dort laeuft er als
Barighi umher."
"Barighi?" entgegnete Frau von Truebenau. "Bleiben Sie doch mit Ihrem
Barighi zu Hause, es ist ja unser lieber Privatsekretaer Gruber, der
da hereingekommen ist."
"Ich moechte doch um Verzeihung bitten, gnaedige Frau," unterbrach sie
der Oberforstmeister, "es ist der Spieler Maletti, mit dem ich in
Wiesbaden letzten Sommer assoziiert war."
"Ha! ha! wie man sich doch taeuschen kann," sprach Frau von Thingen,
den Auf- und Abgehenden durch die perlmutterne Brille beschauend, "es
ist ja niemand anders als der Kapellmeister Schmalz, der mir die
Gitarre beibringt."
"Warum nicht gar!" brummte der alte Oekonomierat, "es ist der lustige
Kommissaer, der mir die gute Brotlieferung an das Spital in D---n
verschafft."
"Ach! Papa!" kicherte sein Toechterlein, "jener war ja schwarz, und
dieser ist blond! Kennen Sie denn den jungen Landwirt nicht mehr, der
sich bei uns ins Praktische einschiessen wollte?"
"Hol mich der Kuckuck und alle Wetter," schrie der preussische
Hauptmann, "das ist der verfluchte Ladenprinz und Ellenreiter, der mir
mein Lorchen wegfischte! Auf Pistolen fordere ich den Hund, gleich
morgen, gleich jetzt." Er sprang auf und wollte auf den immer ruhig
Auf- und Abgehenden losstuerzen. Der Professor aber packte ihn am Arm:
"Bleiben Sie weg, Wertester!" schrie er, "ich hab's gefunden, ich
hab's gefunden, kehrt seinen Namen um, es ist der S a t a n!"
* * * * *
VIERTES KAPITEL.
Das Manuskript
So viel, als ich hier niedergeschrieben habe, lebt von diesem Abend
noch in meiner Erinnerung; doch kostete es geraume Zeit, bis ich mich
auf alles wieder besinnen konnte. Ich muss in einem langen, tiefen
Schlaf gewesen sein; denn als ich erwachte, stand Jean vor mir und
fragte, indem er die Gardine fuer die Morgensonne oeffnete, ob jetzt
der Kaffee gefaellig sei?
Es war elf Uhr. Wo war denn die Zeit zwischen gestern und heute
hingegangen? Meine erste Frage war, wie ich denn zu Bett gekommen sei.
Der Kellner staunte mich an und meinte mit sonderbarem Laecheln, das
muesse ich besser wissen als er.
"Ah! ich erinnere mich," sagte ich leichthin, um meine Unwissenheit zu
verbergen, "nach der Abendtafel...."
"Verzeihen der Herr Doktor," unterbrach mich der Geschwaetzige. "Sie
haben nicht soupiert. Sie waren ja alle zu Tee und Punsch auf Nr. 15."
"Richtig, auf Nr. 15, wollte ich sagen. Ist der Herr Professor schon
auf?"
"Wissen Sie denn nicht, dass sie schon abgereist sind?" fragte der
Kellner.
"Kein Wort!" versicherte ich staunend.
"Er laesst sich Ihnen noch vielmal empfehlen, und Sie moechten doch in
T. bei ihm einsprechen; auch laesst er Sie bitten, seiner und des
gestrigen Abends recht oft zu gedenken, er habe es ja gleich gesagt."
"Aha, ich weiss schon," sagte ich; denn mit einemmal fiel mir ein Teil
des gestern Erlebten ein. "Wann ist er denn abgereist?"
"Gleich in der Fruehe," antwortete jener, "noch vor dem Oekonomierat
und dem Herrn Oberforstmeister."
"Wie? so sind auch diese weggereist?"
"Ei ja!" rief der staunende Kellner. "So wissen Sie auch das nicht?
Auch nicht, dass Frau von Thingen und die gnaedige Frau von
Truebenau--"
"Sie sind auch nicht mehr hier?"
"Kaum vor einer halben Stunde sind die gnaedige Frau weggefahren,"
versicherte jener. Ich rieb mir die Augen, um zu sehen, ob ich nicht
traeume, aber es war und blieb so. Jean stand nach wie vor an meinem
Bette und hielt das Kaffeebrett in der Hand.
"Und Herr von Natas?" fragte ich kleinlaut.
"Ist noch hier. Ach, das ist ein goldener Herr. Wenn der nicht gewesen
waere, wir waeren heute nacht in die groesste Verlegenheit gekommen."
"Wieso?"
"Nun bei der Fatalitaet mit der Frau von Truebenau. Wer haette aber
auch dem gnaedigen Herrn zugetraut, dass er so gut zur Ader zu lassen
verstuende?"
"Zur Ader lassen? Herr von Natas?"
"Ich sehe, der Herr Doktor sind sehr fruehzeitig zu Bette gegangen und
haben eine ruhigere Nacht gehabt als wir."
Jean belehrte mich in leichtfertigem Ton: "Es mochte kaum elf Uhr
gewesen sein, die Geschichte mit der Polizei war schon vorbei--"
"Was fuer eine Geschichte mit der Polizei?"
"Nun, Nr. 15 ist vorn hinaus, und weil, mit Permiss zu sagen, dort ein
ganz hoellischer Laerm war, so kam die Runde ins Haus und wollte
abbieten. Herr von Natas aber, der ein guter Bekannter des Herrn
Polizeileutnants sein muss, beruhigte sie, dass sie wieder
weitergingen. Also gleich nachher kam das Kammermaedchen der Frau von
Truebenau herabgestuerzt, ihre gnaedige Frau wolle sterben. Sie
koennen sich denken, wie unangenehm so etwas in einem Gasthof nachts
zwischen elf und zwoelf Uhr ist. Wir wie der Wind hinauf; auf der
Treppe begegnet uns Herr von Natas, fragt, was das Rennen und Laufen
zu bedeuten habe, hoert kaum, wo es fehlt, so laeuft er in sein
Zimmer, holt sein Etui, und ehe fuenf Minuten vergehen, hat er der
gnaedigen Frau am Arm mit der Lanzette eine Ader geoeffnet, dass das
Blut in einem Bogen aufsprang. Sie schlug die Augen wieder auf, und es
war ihr bald wohl; doch versprach Herr von Natas, bei ihr zu wachen."
"Ei! was Sie sagen, Jean!" rief ich voll Verwunderung.
"Ja, warten Sie nur! Kaum ist eine Stunde vorbei, so ging der Tanz von
neuem los. Aus Nr. 18 laeutete es, dass wir meinten, es brenne drueben
in Kassel. Des Herrn Oekonomierats Rosalie hatte ihre hysterischen
Anfalle bekommen. Der Alte mochte ein Glas ueber den Durst haben; denn
er sprach vom Teufel, der ihn und sein Kind holen wolle. Wir wussten
nichts anderes, als wieder unsere Zuflucht zu Herrn von Natas zu
nehmen. Er hatte versprochen, bei Frau von Truebenau mit dem
Kammermaedchen zu wachen; aber, lieber Gott, geschlafen muss er haben
wie ein Dachs; denn wir pochten drei-, viermal, bis er uns Antwort
gab, und die Kammerkatze war nun gar nicht mehr zu erwecken."
"Nun, und liess er der schoenen Rosalie zur Ader?"
"Nein, er hat ihr, wie mir Lieschen sagte, Senfteig zwei Hand breit
aufs Herz gelegt, darauf soll es sich bald gegeben haben."
"Armer Professor!" dachte ich, "dein huebsches Roeschen mit ihren
sechzehn Jaehrchen und dieser Natas in traulicher Stille der Nacht,
ein Pflaster ans das pochende Herz pappend."
"Der Herr Papa Oekonomierat war wohl sehr angegriffen durch die
Geschichte?" fragte ich, um ueber die Sache ins Klare zu kommen.
"Es schien nicht; denn er schlief schon, ehe noch Lieschen mit dem
Hirschhorngeist aus der Apotheke zurueckkam. Aber es laeutet im
zweiten Stock, und das gilt mir." Er sprach's und flog pfeilschnell
davon.
So war auf einmal die lustige Gesellschaft zerstoben; und doch wusste
ich nicht, wie dies alles so ploetzlich kommen konnte. Ich entsann
mich zwar, dass gestern bei dem Punsch etwas Sonderbares vorgefallen
war; was es aber gewesen sein mochte, konnte ich mich nicht erinnern.
Sollte Natas mir Aufschluss geben koennen? Doch, wenn ich recht
nachsann, mit Natas war etwas vorgefallen. Der Professor schwankte in
meiner Erinnerung umher--am besten deuchte mir, zu Natas zu gehen und
ihn um die Ursache des schnellen Aufbruchs zu befragen.
Ich warf mich in die Kleider, und ehe ich noch ganz mit der kurzen
Toilette fertig war, brachte mir ein Lohnlakai folgendes Billett:
"Ew. Wohlgeboren wuerden mich unendlich verbinden, wenn Sie vor
meiner Abreise von hier, die auf den Mittag festgesetzt ist, mich noch
einmal besuchen wollten. v. Natas."
Neugierig folgte ich diesem Ruf und traf den Freund reisefertig
zwischen Koffern und Kaestchen stehen. Er kam mir mit seiner
gewinnenden Freundlichkeit entgegen, doch genierte mich ein
unverkennbarer Zug von Ironie, der heute um seinen Mund spielte und
den ich sonst nie an ihm bemerkt hatte.
Er lachte mich aus, dass ich mich vor den Damen als schwachen Trinker
ausgewiesen und einen Haarbeutel mir umgeschnallt habe, erzaehlte mir,
dass ich selig entschlafen sei, und fragte mich mit einem lauernden
Blick, was ich noch von gestern nacht wisse.
Ich teilte ihm meine verworrenen Erinnerungen mit, er belachte sie
herzlich und nannte sie Ausgeburten einer kranken Phantasie.
Die Abreise der ganzen Gesellschaft gab er einer grossen
Herbstfeierlichkeit schuld, welche in Worms gehalten werde. Sie seien
alle, sogar der morose Oekonomierat, dorthin gereist, ihn selbst aber
riefen seine Geschaefte den Rhein hinab.
Die Zufaelle der Truebenau und der schoenen Rosalie mass er dem
starken Punsch bei und freute sich, durch Liebhaberei gerade so viele
medizinische Kenntnisse zu besitzen, um bei solchen kleinen Zufaellen
helfen zu koennen.
Wir hoerten den Wagen vorfahren, der Kellner meldete dies und brachte
von dem dankbaren Hotel eine Flasche des aeltesten Rheinweins. Natas
hatte sie verdient, denn wahrlich, nur er hatte uns solange hier
gefesselt.
"Sie sind Schriftsteller, lieber Doktor?" fragte er mich, waehrend wir
den narkotisch duftenden Abschiedstrunk ausschluerften.
"Wer pfuscht nicht heutzutage etwas in die Literatur?" antwortete ich
ihm. "Ich habe mich frueher als Dichter versucht, aber ich sah bald
genug ein, dass ich nicht fuer die Unsterblichkeit singe. Ich griff
daher einige Toene tiefer und uebersetzte unsterbliche Werke fremder
Nationen fuers liebe deutsche Publikum."
Er lobte meine bescheidene Resignation, wie er es nannte, und fragte
mich, ob ich mich entschliessen koennte, die Memoiren eines beruehmten
Mannes, die bis jetzt nur im Manuskript vorhanden seien, zu
uebersetzen? "Vorausgesetzt, dass Sie dechiffrieren koennen, ist es
eine leichte Arbeit fuer Sie, da ich Ihnen den Schluessel dazu geben
wuerde und das Manuskript im Hochdeutschen abgefasst ist."
Ich zeigte mich, wie natuerlich, sehr bereitwillig dazu. Dechiffrieren
verstand ich frueher und hoffte es mit wenig UEbung vollkommen zu
lernen. Er schloss ein schoenes Kaestchen von rotem Saffian auf und
ueberreichte mir ein vielfach zusammengebundenes Manuskript. Die
Zeichen krochen mir vor dem Auge umher wie Ameisen in ihren
aufgestoerten Huegelchen; aber er gab mir den Schluessel seiner
Geheimschrift, und die Arbeit schien mir noch einmal so leicht.
Wir umarmten uns und sagten uns Lebewohl. Unter warmem Dank fuer seine
Guete, die er noch zuletzt fuer mich gehabt, fuer die schoenen Tage,
die er uns bereitet habe, begleitete ich ihn an den Wagen. Die
Wagentuere schloss sich, der Postillon hieb auf seine vier Rosse, sie
zogen an, und die interessante Erscheinung flog von hinnen; aber aus
dem Innern des Wagens glaubte ich jenes heisere Lachen zu vernehmen,
das ich von gestern her unter den Bruchstuecken meiner Erinnerung
bewahrte.
Als ich die Treppe hinanstieg, haendigte mir der Oberkellner einen
Brief ein. Der Professor habe ihm solchen zu meinen eigenen Haenden zu
uebergeben befohlen; ich riss ihn auf--
"Verehrter, Wertgeschaetzter!
"Ich bin im Begriff, mein Ross zu besteigen und aus dieser Hoehle des
bruellenden Loewen zu entfliehen. Ich sage Ihnen schriftlich Lebewohl,
weil Sie aus der todaehnlichen Betaeubung, die Sie haerter als uns
alle befallen hat, nicht zu wecken sind. Dass unser schoenes
Zusammenleben so schauerlich enden musste! Nicht wahr, lieber
Zweifler, jetzt haben Sie es klar, dass dieser Natas nichts anderes
als der leibhaftige Satan war!
"Er schaut mir vielleicht in diesem Augenblicke ueber die Schulter und
liest, was ich sage: aber dennoch schweige ich nicht. Den armen
Oekonomierat und sein Toechterlein, die blasse Truebenau, meine
schoene Thingen, den Hauptmann und den Oberforstmeister hat er in
seinem Netz. Gott gebe, dass er Sie nicht auch gekoedert hat. Mich hat
er halb und halb; denn ich habe allzu tief eingebissen in seine mit
chemischen Ideen bespickte Angel. Ich reisse mich los und mache, dass
ich fortkomme.
"Adieu, Bester! Montag, den 7. Oktober, frueh 6 Uhr."
Jetzt kehrten meine Erinnerungen in Scharen zurueck. Ja, es war der
Teufel, der sein Spiel mit uns gespielt hatte; es war der Teufel, dem
es gestern Spass gemacht hatte, uns zu aengstigen; es mussten des
Teufels Memoiren sein, die ich in der Hand hielt.
Wer stand mir aber dafuer, dass diese Schriftzuege mir nicht durch die
Augen ins Gehirn hinaufkrochen und mich wahnsinnig machten; und konnte
ich mich nicht gerade dadurch, dass ich den Dechiffreur und Dekopisten
des Satans machte, unbewusst in seine Leibeigenschaft hineinschreiben?
Ich packte die Handschrift in meinen Koffer und reiste dem Professor
nach, um ihn um Rat zu fragen. Aber in Worms traf ich keine Spur von
irgendeinem der lustigen Gesellschaft in den drei Reichskronen.
Entweder hat sie der Satan eingeholt und in seinem achtsitzigen Wagen
in sein ewiges Reich gehaudert, oder er hat mich in den April
geschickt. Das letztere schien mir wahrscheinlicher.
In Worms aber traf ich einen frommen Geistlichen, der an der Domkirche
angestellt war. Ich trug ihm meinen Fall vor und erhielt den Bescheid,
ich solle so viele Messen darueber lesen lassen, als das Manuskript
Bogen enthalte. Der Rat schien mir nicht uebel. Ich reiste in meine
Heimat und schickte am naechsten Sonntag den ersten Satansbogen in die
Kirche. _Probatum est_; am Montag fing ich an zu dechiffrieren
und habe noch nicht das geringste Spukhafte weder an dem Papier noch
an mir bemerkt.
Von meinen Genossen in Mainz habe ich indessen wenig mehr gehoert. Der
Professor faehrt fort, durch seine Entdeckungen in der Chemie zu
glaenzen, und ich fuerchte, er ist auf dem Wege, dem Satan Gehoer zu
geben, der ihn zu einem B e r z e l i u s machen will. Der Hauptmann
soll sich erschossen haben, Frau von Thingen aber, die schoene Witwe,
hat nach einer Anzeige im Hamburger Korrespondenten vor nicht gar
langer Zeit wieder geheiratet.
* * * * *
DIE STUDIEN DES SATAN AUF DER BERUEHMTEN UNIVERSITAET ......EN.
"Betrogene Betrueger! Eure Ringe sind alle drei nicht
echt! der echte Ring vermutlich ging verloren."
Lessing, Nathan. III. 7.
FUENFTES KAPITEL.
Einleitende Bemerkungen.
Alle Welt schreibt oder liest in dieser Zeit Memoiren; in den Salons
der grossen und kleinen Residenzen, in den Ressourcen und Kasinos der
Mittelstaedte, in den Tabagien und Kneipen der kleinen spricht man von
Memoiren, urteilt nach Memoiren und erzaehlt nach Memoiren, ja, es
koennte scheinen, es sei seit zwoelf Jahren nichts Merkwuerdiges mehr
auf der Erde als ihre Memoiren. Maenner und Frauen ergreifen die
Feder, um den Menschen schriftlich darzutun, dass auch sie in einer
merkwuerdigen Zeit gelebt, dass auch sie sich einst in einer
Sonnennaehe bewegt haben, die ihrer sonst vielleicht gehaltlosen
Person einen Nimbus von Bedeutsamkeit verliehen.
Gekroente Haeupter, nicht zufrieden, sich aus ihrer frueheren
Grandezza, wo sie, wie in der Bilderfibel, mit der Krone auf dem Haupt
zu Bette gingen, erhoben zu haben; nicht zufrieden damit, dass sie auf
Kurierreisen Europa von einem Ende bis zum andern durchfliegen, um
sich gegenseitig ihrer Freundschaft zu versichern, schreiben Memoiren
fuer ihre Voelker, erzaehlen ihnen ihre Schicksale, ihre Reisen. Die
Mitwelt ist zur Nachwelt gemacht worden, man hat ihr einen neuen
Massstab, wonach sie die Handlungen richte, in die Haende gegeben; es
sind die Memoiren.
Grosse Generale, beruehmte Marschaelle, weit entfernt, das Beispiel
jenes Roemers nachzuahmen, der in der Musse des Friedens die Taten der
Legionen unter seiner Fuehrung der Nachwelt wuerdig zu ueberliefern
glaubte, wenn er von sich nur immer in der dritten Person spraeche,
haben den bescheideneren Weg eingeschlagen, sprechen von sich, wie es
Maennern von solchem Gewichte ziemt, als ich, bauen aus ihren Memoiren
ein Odeon in verjuengtem Massstabe und treten herzhaft vorne auf der
Buehne auf. Mit Schlachtstuecken im grossen Stil dekorieren sie die
Kulissen; Staatsmaenner und beruehmte Damen, die grosse Armee und ihre
lorbeerbekraenzten Adler, die ganze Mitwelt stellen sie im Hintergrund
als Figuranten aus; sie selbst aber spielen ihre Sullas oder Brutus,
wuerdig des unsterblichen Talma.
_Mundus vult decipi_, d. i. die Leute lesen Memoiren; was haelt mich
ab, denselben auch ein solches Gericht "Gerngesehen" vorzusetzen?
Man wendet vielleicht ein: "Der Schuster bleibe bei seinem Leisten,
der Satan hat sich nicht mit Memoirenschreiben abzugeben."
Ei! wirklich? Und wenn nun dieser Satan doch einen Beruf haette,
Memoiren in die Welt zu streuen, wenn er doch so viel oder noch mehr
gesehen haette als jene kriegerischen Diplomaten oder diplomatischen
Krieger, welche die Welt mit ihrem l i t e r a r i s c h e n Ruhme
anfuellen, nachdem die Bulletins ihrer Siege zu erwaehnen aufgehoert
haben; wenn nun dieser arme Teufel einen Drang in sich fuehlte, auch
fuer einen _homo literatus_ zu gelten?
Ja, ich gestehe es mit Erroeten, je laenger ich mich in meinem lieben
Deutschland umhertreibe, desto unwiderstehlicher reisst es mich hin zu
schriftstellern; und wenn es den Damen erlaubt ist, die Finger mit
Tinte zu beschmutzen, so wird es doch dem Teufel auch noch erlaubt
sein?
Und da komme ich auf einen zweiten Punkt; man sagt vielleicht gegen
meine schriftstellerischen Versuche, ich sei kein Literatus, kein Mann
vom Gewerbe &c. Aber fuers erste habe ich soeben die Damen, welche,
wenn sie noch so gelehrt, doch keine Gelehrten von Profession sind,
anzufuehren die Ehre gehabt; sodann berufe ich mich auf jene Soehne
des Lagers, die unter Gefahren gross geworden, unter Strapazen
ergraut, keine Zeit hatten, _Humaniora_ zu studieren, und dennoch
so glaenzende Memoiren schreiben; ich behaupte drittens, dass das
Vorurteil, ich sei ein unstudierter Teufel, ganz falsch ist; denn ich
bin in _optima forma_ Doktor der Philosophie geworden, wie aus
meinen Memoiren zu ersehen, und kann das Diplom schwarz auf weiss
aufweisen.
Der Erzengel Gabriel, als ich ihn mit dem Plan, meine Memoiren
auszuarbeiten, bekannt machte, warnte mich mit bedenklicher Miene vor
den sogenannten Rezensenten. Er gab mir zu verstehen, dass ich uebel
wegkommen koennte, indem solche niemand schonen, ja sogar neuerdings
selbst Doktoren der Theologie in Berlin, Halle und Leipzig hart
mitgenommen haben. Ich erwiderte ihm nicht ohne Gelehrsamkeit, dass
das Sprichwort _"clericus clericum non decimat"_ fueglich auch
auf mein Verhaeltnis zu den Rezensenten angewandt werden koenne; werde
ich ja doch schon im Alten Testament S a t a n, _adversarius_,
das ist Widersacher, genannt, was auch ganz auf jene passe; den
schlagendsten Beweis nehme ich aber aus dem Neuen Testament; dort
werde ich _diabolos_ oder Verleumder genannt; da nun _diaballein_
soviel als _acerbe recensere_, so muesse er, wenn er nur ein wenig
Logik habe, den Schluss von selbst ziehen koennen.
Der Erzengel bekam, wie natuerlich, nicht wenig Respekt vor meiner
Gelehrsamkeit in Sprachen und meinte selbst, dass es mir auf diese Art
nicht fehlen koenne.
Man wird bei Durchlesung dieser Mitteilungen aus meinen Memoiren
vielleicht nicht jenes systematische, ruhige Fortschreiten der Rede
finden, das den Werken tief denkender Geister so eigen zu sein pflegt.
Man wird kuerzere und laengere Bruchstuecke aus meinem Walten und
Treiben auf der Erde finden und den inneren Zusammenhang vermissen.
Man tadle mich nicht deswegen; es war ja meine Absicht nicht, ein
Gemaelde dieser Zeit zu entwerfen, man trifft deren genug in allen
soliden Buchhandlungen Deutschlands.
Der Memoirenschreiber hat seinen Zweck erreicht, wenn er sich und
seine Stellung zu der Zeit, welcher er angehoert, darstellt und
darueber reflektiert, wenn er Begebenheiten entwickelt, die entweder
auf ihn oder die Mitwelt naehere oder entferntere Beziehung haben,
wenn er beruehmte Zeitgenossen und seine Verhaeltnisse zu ihnen dem
Auge vorfuehrt. Und diese Forderungen glaube ich in meinen Memoiren
erfuellt zu haben; sie sind es wenigstens, die mich bei meiner Arbeit
leiteten, die meine Kuehnheit vor mir rechtfertigten, vor einem
geehrten Publikum als Schriftsteller aufzutreten. [Fussnote: Was der
Satan hier ernsthaft und gelehrt spricht, er gebaerdet sich beinahe
wie ein junger Kandidat der Theologie, der seine erste Predigt drucken
laesst! Anm. des Herausgebers.]
Ueber Persoenlichkeit, ueber beruehmte Abstammung oder glaenzende
Verhaeltnisse hat der Teufel nichts zu sagen. Was etwa darueber zu
sagen sein koennte, habe ich in dem Abschnitt "Besuch bei Goethe"
ausgesprochen und verweise daher den Leser dahin.
Fleissige Leser, d. s. solche, die Bogen fuer Bogen in einer
Viertelstunde ueberfliegen, moegen daher doch diesen Abschnitt nicht
ueberschlagen, da er sehr zu besserem Verstaendnis der uebrigen
eingerichtet ist; sittsamen und ordentlichen Lesern habe ich hierueber
nichts zu sagen als: sie sollen das Buch weglegen, wenn sie sich
langweilen.
* * * * *
Ehe sein Diener mit dem zweiten Bogen aus der Messe zurueckkommt, hat
der Unterzeichnete noch Zeit, einige Bemerkungen einzuflicken. Es
scheint ihm naemlich, der Satan besitze eine ziemliche Dosis
Eitelkeit; man bemerke nur, wie wichtig er von jenem Abschnitt
spricht, worin er ueber sich einige Bemerkungen macht; es waere genug
gewesen, wenn er nur angedeutet haette, dass dies oder jenes darin zu
finden sei; aber dem Leser zu empfehlen, er moechte doch den
Abschnitt, in welchem jene enthalten sind, nicht ueberschlagen, ist
sehr anmassend.
Sodann die Unordnung, in welcher er alles vorbringt! Ein anderer, wie
z. B. der Herausgeber, haette doch, wenn auch nicht mit dem
Taufschein, was nun freilich beim Teufel nicht wohl moeglich ist, doch
wenigstens mit der Begebenheit angefangen, die der Chronologie nach
die erste ist. Ich habe das Manuskript fluechtig durchblaettert (zu
lesen, ehe jeder Bogen hinlaenglich geweiht, nehme ich mich wohl in
acht) und fand, dass er mit Ereignissen anfaengt, die der ganz neuen
Zeit angehoeren, und nachher im bunten Gemische Menschen und ihre
Taten von zehn, zwanzig Jahren auftreten laesst; man sieht wohl, dass
er keine gute Schule gehabt haben muss.
Zu groesserer Deutlichkeit, und dass der geneigte Leser trotz dem
Teufel waehlen kann, was er will, habe ich den Inhalt jedem einzelnen
Kapitel vorausgesetzt. D e r H e r a u s g e b e r.
* * * * *
SECHSTES KAPITEL.
Wie der Satan die Universitaet bezieht und welche Bekanntschaften er
dort macht.
Deutschland hat mir von jeher besonders wohlgefallen, und ich gestehe
es, es liegt diesem Gestaendnis ein kleiner Egoismus zugrunde; man
glaubt naemlich dort an mich wie an das Evangelium; jenen kuehnen
philosophischen Wagehaelsen, die auf die Gefahr hin, dass ich sie zu
mir nehme, meine Existenz geleugnet und mich zu einem laecherlichen
Phantom gemacht haben, ist es noch nicht gelungen, den gluecklichen
Kindersinn dieses Volkes zu zerstoeren, in dessen ungetruebter
Phantasie ich noch immer schwarz wie ein Mohr, mit Hoernern und
Klauen, mit Bocksfuessen und Schweif fortlebe, wie ihre Ahnen mich
gekannt haben.
Wenn andere Nationen durch die sogenannte Aufklaerung so weit
hinaufgeschraubt sind, dass sie, ich schweige von einem Gott, sogar an
keinen Teufel mehr glauben, so sorgen hier unter diesem Volke sogar
meine Erbfeinde, die Theologen, dafuer, dass ich im Ansehen bleibe.
Hand in Hand mit dem Glauben an die Gottheit schreitet bei ihnen der
Glaube an mich, und wie oft habe ich das mir so suesse Wort aus ihrem
Munde gehoert: "_Anathema sit_, e r g l a u b t a n k e i n e n
T e u f e l."
Ich kann mich daher recht aergern, dass ich nicht schon frueher auf
den vernuenftigen Gedanken gekommen bin, meine freie Zeit auf einer
Universitaet zu verleben, um dort zu sehen, wie man mich von Semester
zu Semester systematisch traktiert.
Ich konnte nebenbei noch manches profitieren. Alle Welt ist jetzt
zivilisiert, fein, gesittet, belesen, gelehrt. Schon oft, wenn ich
einen guten Schnitt zu machen gedachte, fand es sich, dass mir ein
guter Schulsack, etwas Philosophie, alte Literatur, ja sogar etwas
Medizin fehle; zwar als das Magnetisieren aufkam, habe ich auch einen
Kursus bei Messmer genommen und nachher manche glueckliche Kur
gemacht. Aber damit ist es heutzutage nicht getan; daher die elenden
Redensarten, die in Deutschland kursieren: e i n d u m m e r T e u f
e l, e i n a r m e r T e u f e l, e i n u n w i s s e n d e r
T e u f e l, was offenbar auf meine vernachlaessigte wissenschaftliche
Bildung hindeuten soll.
Es ist noch kein Gelehrter vom Himmel gefallen, und ich bin vom Himmel
gefallen, aber nicht als gelehrt; darum entschloss ich mich, zu
studieren, und womoeglich es in der Philosophie so weit zu bringen,
dass ich ein ganz neues System erfaende, wovon ich mir keinen
geringen Erfolg versprach. Ich waehlte -----en und zog im Herbst des
Jahres 1819 daselbst auf.
Ich hatte, wie man sich denken kann, nicht versaeumt, mich meinem
neuen Stande gemaess zu kostuemieren. Mein Name war v o n B a r b e,
meine Verhaeltnisse glaenzend, das heisst, ich brachte einen grossen
Wechsel mit, hatte viel bar Geld, gute Garderobe und huetete mich
wohl, als Neuling oder, wie man sagt, als Fuchs aufzutreten; sondern
ich hatte schon allenthalben studiert, mich in der Welt umgesehen.
Kein Wunder, dass ich schon den ersten Abend hoefliche Gesellschafter,
den naechsten Morgen vertraute Freunde und am zweiten Abend Brueder
auf Leben und Tod am Arme hatte. Man denkt vielleicht, ich
uebertreibe; waere ich Kavalier, so wuerde ich auf Ehre versichern und
"Hol' mich der Teufel" als Verstaerkungspartikel dazu setzen (denn
"Auf Ehre" und "Hol' mich der Teufel" verhalten sich zu einander wie
der Spiritus lenis zum Spiritus asper), in meiner Lage kann ich bloss
meine Parole als Satan geben.
Es waren gute Jungen, die ich da fand. Es begab sich dies aber
folgendermassen: Man kann sich denken, dass ich nicht unvorbereitet
kam; wer die deutschen Universitaeten nur entfernt kennt, weiss, dass
ein an Sprache, Sitte, Kleidung und Denkungsart von der uebrigen Welt
ganz verschiedenes Volk dort wohnt. Ich las des unsterblichen Herrn
von Schmalz Werke ueber die Universitaeten, Sands Aktenstuecke, Haupt
ueber Burschenschaften und Landsmannschaften &c., ward aber noch nicht
recht klug daraus und merkte, dass mir noch manches abging. Der Zufall
half mir aus der Not. Ich nahm in F. eine Retourchaise; mein
Gesellschafter war ein alter Student, der seit acht Jahren sich auf
die Medizin legte. Er hatte das _savoir vivre_ eines alten
Burschen, und ich befliss mich, in den sechs Stunden, die ich mit ihm
der Musenstadt zufuhr, an ihm meine Rolle zu studieren.
Es war ein grosser, wohlgewachsener Mann von vier- bis fuenfundzwanzig
Jahren, sein Haar war dunkel und mochte frueher nach heutiger Methode
zugeschnitten sein, hing aber, weil der Studiosus die Kosten scheute,
es scheren zu lassen, unordentlich um den Kopf; doch bemuehte er sich,
solches oft mit fuenf Fingern aus der Stirne zu frisieren. Sein
Gesicht war schoen, besonders Nase und Mund edel und fein geformt, das
Auge hatte viel Ausdruck; aber welch sonderbaren Eindruck machte es!
Das Gesicht war von der Sonne rotbraun angelaufen; ein grosser Bart
wucherte von den Schlaefen bis zum Kinn herab, und um die feinen
Lippen hing ein vom Bier geroeteter Henriquatre.
Sein Mienenspiel war schrecklich und laecherlich zugleich; die
Augenbrauen waren zusammengezogen und bildeten duestere Falten, das
Auge blickte streng und stolz um sich her und mass jeden Gedanken mit
einer Hoheit, einer Wuerde, die eines Koenigssohnes wuerdig gewesen
waere.
Ueber die untern Partien des Gesichtes, namentlich ueber das Kinn,
konnte ich nicht recht klug werden; denn sie steckten tief in der
Krawatte. Diesem Kleidungsstueck schien der junge Mann bei weitem mehr
Sorgfalt gewidmet zu haben als dem uebrigen Anzug; diese beilaeufig
einen halben Schuh Hoehe messende Binde von schwarzer Seide zog sich,
ohne ein Faeltchen zu werfen, von dem Kinn inklusive bis auf das
Brustbein exklusive und bildete auf diese Art ein feines Mauerwerk,
auf welchem der Kopf ruhte; seine Kleidung bestand in einem
weissgelben Rock, den er Flaus, in zaertlichen Augenblicken wohl auch
Gottfried nannte und welchem er von Speisen und Getraenken mitteilte;
dieser Gottfried Flaus reichte bis eine Spanne ueber das Knie und
schloss sich eng um den ganzen Leib; auf der Brust war er offen und
zeigte, soviel die Krawatte sehen liess, dass der Herr Studiosus mit
Waesche nicht gut versehen sein muesse.
Weite, wellenschlagende Beinkleider von schwarzem Sammet schlossen
sich an das Oberkleid an; die Stiefel waren zierlich geformt und
dienten ungeheuren Sporen von poliertem Eisen zur Folie.
Auf dem Kopfe hatte der Studiosus ein Stueckchen rotes Tuch in Form
eines umgekehrten Blumenscherbens gehaengt, das er mit vieler Kunst
gegen den Wind zu balancieren wusste; es sah komisch aus, fast, wie
wenn man mit einem kleinen Trinkglas ein grosses Kohlhaupt bedecken
wollte.
Ich hatte Zachariaes unsterblichen Renommisten zu gut studiert, um
nicht zu wissen, dass, sobald ich mir eine Bloesse gegen den Herrn
Bruder gebe, sein Respekt vor mir auf ewig verloren sei; ich merkte
ihm daher sein Augenbrauenfalten, sein ernstes, abmessendes Auge,
soviel es ging, ab und hatte die Freude, dass er mich gleich nach der
ersten Stunde auffallend vor dem "Philister und dem Florbesen," auf
deutsch, einem alten Professor und seiner Tochter, welche unsere
uebrige Reisegesellschaft ausmachten, auszeichnete. In der zweiten
Stunde hatte ich ihm schon gestanden, dass ich in Kiel studiert und
mich schon einigemal mit Glueck geschlagen habe, und ehe wir nach
------en einfuhren, hatte er mir versprochen, eine "fixe Kneipe," das
heisst eine anstaendige Wohnung, auszumitteln, wie auch mich unter die
Leute zu bringen.
Der Herr Studiosus Wuerger, so hiess mein Gesellschafter, liess an
einem Wirtshaus vor der Stadt anhalten und lud mich ein, seinem
Beispiele zu folgen und hier auf die Beschwerden der Reise ein Glas zu
trinken. Die ganze Fensterreihe des Wirtshauses war mit roten und
schwarzen Muetzen bedeckt; es war naemlich eine gute Anzahl der Herren
Studiosi hier versammelt, um die neuen Ankoemmlinge, die gewoehnlich
am Anfang des Semesters einzutreffen pflegten, nach gewohnter Weise zu
empfangen. Wuerger, der alte, "laengst bemooste" Bursche, hatte sich
schon unterwegs mit dem Gedanken gekitzelt, dass seine Kameraden uns
fuer "Fuechse" halten wuerden, und wirklich traf seine Vermutung ein.
Ein Chorus von wenigstens dreissig Baessen scholl von den Fenstern
herab; sie sangen ein beruehmtes Lied, das anfaengt: "Was kommt dort
von der Hoeh'?" Waehrend des Gesanges entstieg mein Gefaehrte
majestaetisch der Chaise, und kaum hatte er den Boden beruehrt, so
erhob er sein furchtbares Haupt und schrie zu den Fenstern empor:
"Was schlagt ihr fuer einen Randal auf, Kamele! Seht ihr nicht, dass
zwei alte Haeuser aus diesem Philisterkarren gestiegen kommen?" (Auf
deutsch: Laermt doch nicht so sehr, meine Herren, Sie sehen ja, dass
zwei alte Studenten aus dem Wagen steigen.)
Der allgemeine Jubel unterbrach den erhitzten Redner. "Wuerger! Du
altes fides Haus!" schrien die Musensoehne und stuerzten die Treppe
herab in seine Arme; die Raucher vergassen, ihre langen Pfeifen
wegzulegen, die Billardspieler hielten noch ihre Queues in der Hand.
Sie bildeten eine Leibwache von sonderbarer Bewaffnung um den
Angekommenen.
Doch der Edelmuetige vergass in seiner Glorie auch meiner nicht, der
ich bescheiden auf der Seite stand, er stellte mich den aeltesten und
angesehensten Maennern der Gesellschaft vor, und ich wurde mit
herzlichem Handschlag von ihnen begruesst. Man fuehrte uns in wildem
Tumult die Treppe hinan, man setzte mich zwischen zwei bemooste
Haeupter an den Ehrenplatz, gab mir ein grosses Passglas voll Bier,
und ein Fuchs musste dem neuen Ankoemmling seine Pfeife abtreten.
So war ich denn in -----en als Student eingefuehrt, und ich gestehe,
es gefiel mir so uebel nicht unter diesem Voelkchen. Es herrschte ein
offener, zutraulicher Ton, man brauchte sich nicht in Fesseln der
Konvenienz, die gewiss dem Teufel am laestigsten sind, umherzuschleppen,
man sprach und dachte, wie es einem gerade gefiel. Wenn man bedenkt,
dass ich gerade im Herbst 1819 dorthin kam, so wird man sich nicht
wundern, dass ich mich von Anfang gar nicht recht in die Konversation
zu finden wusste. Denn einmal machten mir jene Kunstwoerter (_termini
technici_), von welchen ich oben schon eine kleine Probe gegeben
habe, viel zu schaffen; ich verwechselte oft "Sau", was Glueck, mit
"Pech", was Unglueck bedeutet, wie auch "holzen", mit einem Stock
schlagen, mit "pauken", mit andern Waffen sich schlagen.
Aber auch etwas anderes fiel mir schwer; wenn naemlich nicht von
Hunden, Paukereien, Besen oder dergleichen gesprochen wurde, so fiel
man hinter dem Bierglas in ungemein transzendentale Untersuchungen,
von denen ich anfangs wenig oder gar nichts verstand; ich merkte mir
aber die Hauptworte, welche vorkamen, und wenn ich auch in die
Konversation gezogen wurde, so antwortete ich mit ernster Miene:
"Freiheit, Vaterland, Deutschtum, Volkstuemlichkeit".
Da ich nun ueberdies ein grosser Turner war und eigentlich t e u f e l
s m a e s s i g e Spruenge machen konnte, da ich mir ueberdies nach
und nach langes Haar wachsen liess, solches fein scheitelte und
kaemmte, einen zierlich ausgeschnittenen Kragen ueber den deutschen
Rock herauslegte, mich auch auf die Klinge nicht uebel verstand, so
war es kein Wunder, dass ich bald in grosses Ansehen unter diesem
Volke kam. Ich benutzte diesen Einfluss so viel als moeglich, um die
Leute nach meinen Ansichten zu leiten und zu erziehen und sie "fuer
die Welt zu gewinnen".
Es hatte sich naemlich unter einem grossen Teil meiner Kommilitonen
ein gewisser froemmelnder Ton eingeschlichen, der mir nun gar nicht
behagte und nach meiner Meinung sich auch nicht fuer junge Leute
schickte. Wenn ich an die jungen Herren in London und Paris, in
Berlin, Wien, Frankfurt usw. dachte, an die vergnuegten Stunden, die
ich in ihrem Kreise zubrachte; wenn ich diese Leute dagegenhielt, die
ihren schoenen, hohen Wuchs, ihre kraeftigen Arme, ihren gesunden
Verstand, ihre nicht geringen Kenntnisse nur auf dem Turnplatz, nicht
im Tanzsaal, nur zu ueberschwenglichen Ideen und Idealen, nicht zu
lebhaftem Witz, zu feinem Spott, der das Leben wuerzt und aufregt,
anwenden sah, wenn ich sie, statt schoenen Maedchen nachzufliegen, in
die Kirche schleichen sah, um einen ihrer orthodoxen Professoren
anzuhoeren, so konnte ich ein widriges Gefuehl in mir nicht
unterdruecken.
Sobald ich daher festen Fuss gefasst hatte, zog ich einige lustige
Brueder an mich, lehrte sie neue Kartenspiele, sang ihnen ergoetzliche
Lieder vor, wusste sie durch Witz und dergleichen so zu unterhalten,
dass sich bald mehrere anschlossen. Jetzt machte ich kuehnere
Angriffe. Ich stellte mich Sonntags mit meinen Gesellen vor die
Kirchtuere, musterte mit geuebtem Auge die voruebergehenden Damen, zog
dann, wenn die Schaeflein innen waren und der Kuester den Stall
zumachte, mit den Meinigen in ein Wirtshaus der Kirche gegenueber und
bot alles auf, die Gaeste besser zu unterhalten als der Doktor N. oder
der Professor N. in der Kirche seine Zuhoerer.
Ehe drei Wochen vergingen, hatte ich die groessere Partei auf meiner
Seite. Die Froemmeren schrien von Anfang ueber den rohen Geist, der
einreisse, und gaben zu bemerken, dass wir christliche Burschen seien;
aber es half nichts, meine Persiflagen hatten so gute Wirkung getan,
dass sie sich am Ende selbst schaemten, in der Kirche gesehen zu
werden, und es gehoerte zum guten Ton, jeden Sonntag vor der
Kirchtuere zu sein; aber bis hieher und nicht weiter. Die Wirtshaeuser
waren gefuellter als je, es wurde viel getrunken, ja es riss die Sitte
ein, Wettkaempfe im Trinken zu halten, und, man wird es kaum glauben,
es gab sogar eigentliche Kunsttrinker!
Es predigte zwar mancher gegen das einreissende Verderben, aber die
Altdeutschen troesteten sich damit, dass ihre "Altvordern" auch durch
Trinken exzelliert haben; die Froemmsten liessen sich grosse Humpen
verfertigen und zwangen und muehten sich so lange, bis sie wie Goetz
von Berlichingen oder gar wie Hermann der Cherusker schlucken konnten.
Den Feineren, Gebildeteren war es natuerlich von Anfang auch ein
Greuel; ich verwies sie aber auf eine Stelle bei Jean Paul. Er sagt
naemlich in seinem unuebertrefflichen Quintus Fixlein:
"Jerusalem bemerkt schoen, dass die Barbarei, die oft hart hinter dem
schoensten, buntesten Flor der Wissenschaften aufsteigt, eine Art von
staerkendem Schlammbad sei, um die Ueberfeinerung abzuwenden, mit der
jener Flor bedrohe; ich glaube, dass einer, der erwaegt, wie weit die
Wissenschaften bei einem Studierenden steigen, dem Musensohne ein
gewisses barbarisches Mittelalter--das sogenannte Burschenleben--
goennen werde, das ihn wieder so staehlt, dass die Verfeinerung nicht
ueber die Grenze geht."
Wenn ein Meister wie Jean Paul, dem ich hiermit fuer diese Stelle
meinen herzlichen Dank oeffentlich sage, also sich ausspricht, was
konnten die Kleinmeister und Juenger dagegen? Sie setzten sich auch in
die schwarzgerauchte Kneipe, "verschlammten" sich recht tuechtig in
dem "barbarischen Mittelalter" und hatten kraft ihres inwohnenden
Genies meine aelteren Zoeglinge bald ueberholt.
* * * * *
SIEBENTES KAPITEL.
Satan besucht die Kollegien; was er darin lernte.
Indessen ich auf die beschriebene Weise praktisch lebte und Leben
machte, vergass ich auch das _dic cur hic_ nicht und legte mich
mit Ernst aufs T h e o r e t i s c h e. Ich hoerte die Philosophen und
Theologen und hospitierte nicht unfleissig bei den Juristen und
Medizinern. Ich hatte, um zuerst ueber die Philosophen zu reden, von
einem der hellsten Lichter jener Universitaet, wenn in der Ferne von
ihm die Rede war, oft sagen hoeren, d e r K e r l h a t d e n T e u
f e l i m L e i b. Eine solche geheimnisvolle Tiefe, wollte man
behaupten, solche ueberschwengliche Gedanken, solche Gedrungenheit des
Stils, eine so hinreissende Beredsamkeit sei noch nicht gefunden
worden in Israel. Ich habe ihn gehoert und verwahre mich feierlich vor
jenem Urteil, als ob ich in ihm gesessen waere. Ich habe schon viel
ausgestanden in der Welt, ich bin sogar Ev. Matthaei VIII., 31 und 32
in die Saeue gefahren, aber in einen solchen Philosophen?--Nein, da
wollte ich mich doch bedankt haben!
Was der gute Mann in seinem schlaefrigen, unangenehmen Ton vorbrachte,
war fuer seine Zuhoerer so gut als Franzoesisch fuer einen Eskimo. Man
musste alles gehoerig ins Deutsche uebersetzen, ehe man darueber ins
klare kam, dass er ebensowenig fliegen koenne wie ein anderer Mensch
auch. Er aber machte sich gross, weil er aus seinen Schluessen sich
eine himmelhohe Jakobsleiter gezimmert und solche mit mystischem
Firnis angepinselt hatte; auf dieser kletterte er nun zum blauen
Aether hinan, versprach aus seiner Sonnenhoehe herabzurufen, was er
geschaut habe, er stieg und stieg, bis er den Kopf durch die Wolken
stiess, blickte hinein in das reine Blau des Himmels, das sich auf dem
gruenen Grasboden noch viel huebscher ausnimmt als oben, und sah, wie
Sancho Pansa, als er auf dem hoelzernen Pferd zur Sonne ritt, unter
sich die Erde so gross wie ein Senfkorn und die Menschen wie Muecken,
ueber sich--nichts.
Sie kommen mir vor, die guten Leute dieser Art, wie die Maenner von
Babel, die einen grossen Leuchtturm bauen wollten fuer alles Volk,
damit sich keiner verlaufe in der Wueste, und siehe da, der Herr
verwirrte ihre Sprache, dass weder Meister noch Gesellen einander mehr
verstanden.
Da lobe ich mir einen andern der dortigen Philosophen; er las ueber
die Logik und deduzierte jahrein, jahraus, dass zweimal zwei vier sei,
und die Herren Studiosi schrieben ganze Stoesse von Heften, dass
zweimal zwei vier sei. Dieser Mann blieb doch ordentlich im Blachfeld
und wanderte seinem Ziele mit groesserer Gelassenheit zu als seine
illustren Kollegen, die, wenn ein anderer ihr Gewaesche nicht
Evangelium nannte, Antikritiken und Metakritiken der Antikritiken in
alle Welt aussandten.
Ich gestehe redlich, der Teufel amuesiert sich schlecht bei so
bewandten Dingen. Ich schlug den Weg zu einem andern Hoersaal ein, wo
man ueber die Seele des Menschen dozierte. Gerechter Himmel! Wenn ich
so viel Umstaende machen muesste, um eine liederliche Seele in mein
Fegefeuer zu deduzieren! Der Mensch auf dem Katheder malte die Seele
auf eine grosse, schwarze Tafel und sagte: "So ist sie, meine Herren!"
Damit war er aber nicht zufrieden; er behauptete, sie sitze oben in
der Zirbeldruese.
Ich quittierte die Philosophen und besuchte die Theologen. Um meine
Leute naeher kennen zu lernen, beschloss ich, an einem Sonntag nach
der Kirche einem oder dem andern meine Visite abzustatten. Ich
kleidete mich ganz schwarz, dass ich ein ziemlich theologisches Air
hatte, und trat meinen Marsch an. Man hatte mir vorhergesagt, ich
sollte keinen zu voreiligen Schluss auf den reinen und frommen
Charakter dieser Maenner machen, sie seien etwas nach dem
alttestamentlichen Kostuem, vernachlaessigen aeussere Bildung und
fallen dadurch leicht ins Linkische.
Mein Herz mit Geduld gewaffnet, trat ich in das Zimmer des ersten
Theologen. Aus einer blaeulichen Rauchwolke erhob sich ein dicker
aeltlicher Mann in einem grossgebluemten Schlafrock, eine ganz
schwarze Meerschaumpfeife in der Hand. Er machte einen kurzen Knix mit
dem Kopf und sah mich dann ungeduldig und fragend an. Ich setzte ihm
auseinander, wie mich die Philosophie gar nicht befriedige und dass
ich gesonnen sei, einige theologische Kollegien zu besuchen. Er
murmelte einige unverstaendliche, aber wie es schien, gelehrte
Bemerkungen, verzog beifaellig laechelnd den Mund und schritt im
Zimmer auf und ab.
Ich setzte die Einladung, ihn auf seinem Spaziergang zu begleiten,
voraus und schritt in ebenso gravitaetischen Schritten neben ihm her,
indem ich aufmerksam lauschte, was sein gelehrter Mund weiter
vorbringen werde. Vergebens! Er grinste hier und da noch etwas
Weniges, sprach aber kein Wort weiter, wenigstens verstand ich nichts
als die Worte: "Pfeife rauchen?" Ich merkte, dass er mir hoeflich eine
Pfeife anbiete, konnte aber keinen Gebrauch davon machen; denn er
rauchte wahrhaftig eine gar zu schlechte Nummer.
Ich habe mir schon lange abgewoehnt, ueber irgend etwas in
Verlegenheit zu geraten, sonst haette dieses absurde Schweigen des
Professors mich gaenzlich ausser Fassung gebracht. So aber ging ich
gemaechlich neben ihm her, kehrte um, wenn er umkehrte, und zaehlte
die Schritte, die sein Zimmer in der Laenge mass. Nachdem ich das alte
Ameublement, die verschiedenen Kleider- und Waescherudera, die auf den
Stuehlen umherlagen, das wunderliche Chaos seines Arbeitstisches
gemustert hatte, wagte ich meine pruefenden Blicke an den Professor
selbst. Sein Aussehen war hoechst sonderbar. Die Haare hingen ihm
duenn und lang um die Glatze, die gestrickte Schlafmuetze hielt er
unter dem Arm. Der Schlafrock war an den Ellbogen zerrissen und hatte
verschiedene Loecher, die durch Unvorsichtigkeit hineingebrannt
schienen. Das eine Bein war mit einem schwarzseidenen Strumpf und der
Fuss mit einem Schnallenschuh bekleidet, der andere stak in einem
weiten, abgelaufenen Filzpantoffel, und um das halbentbloesste Bein
hing ein gelblicher Socken. Ehe ich noch waehrend des unbegreiflichen
Stillschweigens des Theologen meine Bemerkungen weiter fortsetzen
konnte, wurde die Tuere aufgerissen, eine grosse, duerre Frau, mit der
Roete des Zorns auf den schmalen Wangen, stuerzte herein.
"Nein, das ist doch zu arg, Blasius!" schrie sie, "der Kuester ist da
und sucht dich zum Abendmahl. Der Dekan steht schon vor dem Altar, und
du steckst noch im Schlafrock!"
"Weiss Gott, meine Liebe," antwortete der Doktor gelassen, "das habe
ich haesslich vergessen! Doch sieh, einen Fuss hatte ich schon zum
Dienste des Herrn geruestet, als mir ein Gedanke einfiel, der den
Doktor Paulus weidlich schlagen muss."
Ohne darauf zu achten, dass er sich beinahe der letzten Huelle
beraube, wollte er eilfertig den Schlafrock herunterreissen, um auch
seinen uebrigen Kadaver zum Dienste des Herrn zu schmuecken. Sein
Eheweib aber stellte sich mit einer schnellen Wendung vor ihn hin und
zog die weiten Falten ihrer Kleider auseinander, dass vom Professor
nichts mehr sichtbar war.
"Sie verzeihen, Herr Kandidat," sprach sie, ihre Wut kaum
unterdrueckend. "Er ist so im Amtseifer, dass Sie ihn entschuldigen
werden. Schenken Sie uns ein andermal das Vergnuegen. Er muss jetzt in
die Kirche."
Ich ging schweigend nach meinem Hut und liess den Ehezaerter unter den
Haenden seiner liebenswuerdigen Xanthippe. "Ein schoener Anfang in der
Theologie!" dachte ich, und die Lust, die uebrigen geistlichen Maenner
zu besuchen, war mir gaenzlich vergangen. Doch beschloss ich, einige
Vorlesungen mit anzuhoeren, was ich auch den Tag nachher ausfuehrte.
Man denke sich einen weiten, niedrigen Saal, vollgepfropft mit jungen
Leuten in den abenteuerlichsten Gestalten. Muetzen von allen Farben
und Formen, lange herabwallende, kurze emporsteigende Haare, Baerte,
deren sich ein Sappeur der alten Garde nicht haette schaemen duerfen,
und kleine, zierliche Stutzbaertchen, galante Fraecke und hohe
Krawatten, neben deutschen Roecken und ellenbreiten Hemdenkragen. So
sassen die jungen geistlichen Herren im Kollegium. Vor sich hatte
jeder eine Mappe, einen Stoss Papier, Tinte und Feder, um die Worte
der Weisheit gleich _ad notam_ zu nehmen. "O Platon und Sokrates!"
dachte ich, "haetten eure Studiosen und Akademiker nachgeschrieben,
wie manches Wort tiefer, heiliger Weisheit waere nicht umsonst verrauscht;
wie majestaetisch muessten sich die Folianten von _Socratis opera_ in
mancher Bibliothek ausnehmen!"--
Jetzt wurden alle Haeupter entbloesst. Eine kurze, dicke Gestalt
draengte sich durch die Reihen der jungen Herren dem Katheder zu, es
war der Doktor Schnatterer, den ich gestern besucht hatte. Mit
Wonnegefuehl schien er die Versammlung zu ueberschauen, hustete dann
etwas weniges und begann:
"Hochachtbare, Hochansehnliche!" (damit meinte er die, welche sechs
Taler Honorar zahlten).
"Wertgeschaetzte!" (die, welche das gewoehnliche Honorar zahlten).
"Meine Herren!" (das waren die, welche nur die Haelfte oder aus Armut
gar nichts entrichteten). Und nun hob er seinen Sermon an, die Federn
rasselten, das Papier knirschte, er aber schaute herab wie der Mond
aus Regenwolken.
Ich haette zu keiner gelegeneren Zeit diese Vorlesungen besuchen
koennen; denn der Doktor behandelte gerade den Abschnitt _de angelis
malis_, worin ich vorzueglich traktiert zu werden hoffen durfte.
Wahrhaftig, er liess mich nicht lange warten. "Der Teufel", sagte er,
"ueberredete die ersten Menschen zur Suende und ist noch immer gegen
das ganze Menschengeschlecht feindlich gesinnt." Nach diesem Satz
hoffte ich nun eine philosophische Wuerdigung dieses Teufelsglaubens
zu hoeren; aber weit gefehlt. Er blieb bei dem ersten Wort T e u f e l
stehen und dass mich die Juden Beelzebub geheissen haetten. Mit einem
Aufwand von Gelehrsamkeit, wie ich sie hinter dem armen Schlafrock
nicht gesucht haette, warf er nun das Wort Beelzebub drei
Viertelstunden lang hin und her. Er behauptete, die einen erklaeren,
es bedeute einen Fliegenmeister, der die Muecken aus dem Lande treiben
solle, andere nehmen das Sephub nicht von den Muecken, sondern als A n
k l a g e, wie die Chaldaeer und Syrier. Andere erklaeren Sephub als
Grab, _Sepulcrum_. Die Federn schwirrten und flogen, so tiefe
Gelehrsamkeit hoert man nicht alle Tage. Zu jenen paar Erklaerungen
hatte er aber volle drei Viertelstunden verwendet, denn die Zitate aus
heiligen und profanen Skribenten nahmen kein Ende. Von Anfang hatte es
mir vielen Spass gemacht, die Dogmatik auf solche Weise getrieben und
namentlich den Satan so gruendlich anatomiert zu sehen. Aber endlich
machte es mir doch Langeweile, und ich wollte schon meinen Platz
verlassen, um dem unendlichen Gewaesch zu entfliehen, da ruhte der
Doktor einen Augenblick aus, die Schnupftuecher wurden gebraucht, die
Fuesse wurden in eine andere Lage gebracht, die Federn ausgespritzt
und neu beschnitten--alles deutete darauf hin, dass jetzt ein
Hauptschlag geschehen werde.
Und es war so. Der grosse Theologe, nachdem er die Meinungen anderer
aufgefuehrt und gehoerig gewuerdigt hatte, begann jetzt mit Salbung
und Wuerde seine eigene Meinung zu entwickeln.
Er sagte, dass alle diese Erklaerungen nichts taugen, indem sie keinen
passenden Sinn geben. Er wisse eine ganz andere und glaube sich in
diesem Stueck noch ueber Michaelis und Doederlein stellen zu duerfen.
Er lese naemlich Saephael, und das bedeute Kot, Mist und dergleichen.
Der Teufel oder Beelzebub waere also hier der H e r r im D r e c k,
der U n r e i n l i c h e, _to pneuma akatharton_, der Stinker
genannt, wie denn auch im Volksglauben mit den Erscheinungen des
Satans ein gewisser unanstaendiger Geruch verbunden sei.
Ich traute meinen Ohren kaum. Eine solche Sottise war mir noch nie
vorgekommen. Ich war im Begriff, den orthodoxen Exegeten mit dem
naemlichen Mittel zu bedienen, das einst Doktor Luther, welcher gar
keinen Spass verstand, an mir probierte, ihm naemlich das naechste
beste Tintenfass an den Kopf zu werfen; aber es fiel mir bei, wie ich
mich noch besser an ihm raechen koennte; ich bezaehmte meinen Zorn und
schob meine Rache auf.
Der Doktor aber schlug im Bewusstsein seiner Wuerde das Heft zu, stand
auf, bueckte sich nach allen Seiten und schritt nach der Tuere. Die
tiefe Stille, welche im Saal geherrscht hatte, loeste sich in ein
dumpfes Gemurmel des Beifalls auf.
"Welch ein gelehrter Mann, welch tiefer Denker, welche Fuelle der
tiefsten Gelehrsamkeit!" murmelten die Schueler des grossen Exegeten.
Emsig verglichen sie untereinander ihre Hefte, ob ihnen auch kein
Woertchen von seinen schlagenden Beweisen, von seinen kuehnen
Behauptungen entgangen sei. Und wie gluecklich waren sie, wenn auch
kein Jota fehlte, wenn sie hoffen durften, ein dickes, reinliches,
vollstaendiges Heft zu bekommen.
Sobald sie aber die teuern Blaetter in den Mappen hatten, waren sie
die Alten wieder. Man stopfte sich die ellenlangen Pfeifen, man setzte
die Muetze kuehn auf das Ohr, zog singend oder den grossen Hunden
pfeifend ab, und wer haette den Juenglingen, die im Sturmschritt dem
naechsten Bierhaus zuzogen, angesehen, dass sie die Stammhalter der
Orthodoxie seien und _recta via_ von der kuehnsten Konjektur des
grossen Dogmatikers herkommen?
So schloss sich mein erster theologischer Unterricht; ich war, wenn
nicht an Weisheit und Einsicht, doch um einen Begriff meiner selbst,
an den ich nie gedacht haette, reicher geworden.
Ich schwor mir selbst mit den heiligsten Schwueren, keinen Theologen
dieser finstern Schule mehr zu hoeren. Denn, wenn der Oberste unter
ihnen solche krassen Begriffe zu Markte brachte, was durfte ich von
den uebrigen hoffen? Aber der orthodoxen Saephael- oder Dr--ck-Seele
hatte ich Rache geschworen, und ich war Manns genug dazu, sie
auszufuehren.
* * * * *
ACHTES KAPITEL
Der Satan bekommt Haendel und schlaegt sich. Folgen davon.
Indessen ereignete sich etwas anderes, das ich hier nicht uebergehen
darf, weil es als ein Kommentar zu den Sitten des wunderlichen Volkes,
unter welchem ich lebte, dienen kann. Ich hatte schon seit einiger
Zeit fleissig die Anatomie besucht, um auch die Aerzte kennen zu
lernen. Da geschah es eines Tages, dass ich mit mehreren Freunden um
einen Kadaver beschaeftigt war, indem ich ihnen durch Zergliederung
der Organe des Gehirns, des Herzens usw. die Nichtigkeit des Glaubens
an Unsterblichkeit darzutun suchte.
Auf einmal hoerte ich hinter mir eine Stimme: "Pfui Teufel, wie
riecht's hier!"
Ich wandte mich rasch um und erblickte einen jungen Theologen, der
mich schon in jener dogmatischen Vorlesung durch den Eifer und das
Wohlbehagen, mit welchem er die unsinnige Konjektur des Professors
niederschrieb, gegen sich aufgebracht hatte. Als ich nun diese
Aeusserung: "Pfui Teufel, wie riecht's hier!" die ich in jenem
Augenblick aus des Theologen Munde nur auf mich, als den "Herrn im
Kot", bezog, hoerte, sagte ich ihm ziemlich stark, dass ich mir solche
Gemeinheiten und Anzueglichkeiten verbitte.
Nach dem uralten heiligen Gesetzbuche der Burschen, das man Komment
heisst, war dies eine Beschimpfung, die nur mit Blut abgewaschen
werden konnte. Der Theologe, ein tuechtiger Raufer, liess mich daher
am andern Tage sogleich fordern. Ein solcher Spass war mir erwuenscht;
denn wer sein Ansehen unter seinen Kommilitonen behaupten wollte,
musste sich damals geschlagen haben, obgleich das Duell an sich, von
meinen Freunden als etwas Unvernuenftige, Unnatuerliches angesehen
wurde. Ich hatte meinen Gegner bestimmen lassen, die Sache an einem
Vergnuegungsort, eine Stunde vor der Stadt, auszumachen, und beide
Parteien erschienen zur bestimmten Zeit an Ort und Stelle.
Feierlich wurde jeder einzelne in ein Zimmer gefuehrt, der Oberrock
ihm ausgezogen und der "Paukwichs", das heisst die Ruestung, in
welcher das Duell vor sich gehen sollte, angelegt. Diese Ruestung oder
der Paukwichs bestand in einem Hut mit breiter Krempe, die dem Gesicht
hinlaenglichen Schutz verlieh, einer ungeheuern, fussbreiten Binde,
die ueber den Bauch geschnallt wurde. Sie war von Leder, gepolstert
und mit der Farbe der Verbindung, zu welcher man gehoerte,
ausgeschmueckt. Eine ungeheure Krawatte, wogegen Herrn Studiosus
Wuergers ein Groschenstrick war, stand steif um die Gegend des Halses
und schuetzte Kinn, Kehle, einen Teil der Schultern und den obern Teil
der Brust. Den Arm, vom Ellbogen bis zur Hand, bedeckte ein aus alten
seidenen Struempfen verfertigtes Ruestzeug, Handschuh genannt. Ich
gestehe, die Figur, in diese sonderbare Ruestung gepresst, nahm sich
komisch genug aus. Doch gewaehrte sie grosse Sicherheit; denn nur ein
Teil des Gesichtes, der Oberarm und ein Teil der Brust war fuer die
Klinge des Gegners zugaenglich. Ich konnte mich daher des Lachens
nicht enthalten, wenn ich im Spiegel mein sonderbares Habit
betrachtete. "Der Satan in einem solchen Aufzuge und im Begriff, sich
wegen des schlechten Geruchs auf der Anatomie zu schlagen!"
Meine Genossen aber nahmen dieses Lachen fuer einen Ausbruch der
Kuehnheit und des Mutes, gedachten, es sei jetzt der rechte Augenblick
gekommen, und fuehrten mich in einen grossen Saal, wo man mit Kreide
die gegenseitige feindliche Stellung auf dem Boden markiert hatte. Ein
Fuchs rechnete es sich zur hohen Ehre, mir den "Schlaeger" vorantragen
zu duerfen, wie man den alten Kaisern Schwert und Zepter vorantrug.
Jener war eine aus poliertem Stahl schoen gearbeitete Waffe mit
grossem, schuetzendem Korb und scharf geschliffen wie ein Schermesser.
Wir standen endlich einander gegenueber. Der Theologe machte ein
grimmiges Gesicht und blickte mit einem Hohn auf mich, der mich nur
noch mehr in dem Vorsatz bestaerkte, ihn tuechtig zu zeichnen.
Wir legten uns nach alter Fechtweise aus, die Klingen waren gebunden,
die Sekundanten schrien: "Los!" und unsere Schlaeger schwirrten in der
Luft und fielen rasselnd auf die Koerbe. Ich verhielt mich meistens
parierend gegen die wirklich schoenen und mit grosser Kunst
ausgefuehrten Angriffe des Gegners; denn mein Ruhm war groesser, wenn
ich mich von Anfang nur verteidigte und erst im vierten, fuenften Gang
ihm eine Schlappe gab.
Allgemeine Bewunderung folgte jedem Gang. Man hatte noch nie so kuehn
und schnell angreifen, noch nie mit so vieler Ruhe und Kaltbluetigkeit
sich verteidigen sehen. Meine Fechtkunst wurde von den aeltesten
"Haeusern" bis in den Himmel erhoben, und man war nun gespannt und
begierig, bis ich selbst angreifen wuerde. Doch wagte es keiner, mich
dazu aufzumuntern.
Vier Gaenge waren vorueber, ohne dass irgendwo ein Hieb blutig gewesen
waere. Ehe ich zum fuenften aufmarschierte, zeigte ich meinen
Kameraden die Stelle auf der rechten Wange, wohin ich meinen Theologen
treffen wollte. Dieser mochte es mir ansehen, dass ich jetzt selbst
angreifen werde, er legte sich so gedeckt als moeglich aus und huetete
sich, selbst einen Angriff zu machen. Ich begann mit einer herrlichen
Finte, der ein allgemeines Ah! folgte, schlug dann einige
regelmaessigen Hiebe, und klapp! sass ihm mein Schlaeger in der Wange.
Der gute Theologe wusste nicht, wie ihm geschah; mein Sekundant und
Zeuge sprangen mit einem Zollstab hinzu, massen die Wunde und sagten
mit feierlicher Stimme: "E s i s t m e h r a l s e i n Z o l l,
k l a f f t u n d b l u t e t, a l s o A n s c h--ss." Das hiess
soviel als: Weil ich dem guten Jungen ein zollanges Loch ins Fleisch
gemacht hatte, war seiner Ehre genug geschehen.
Jetzt stuerzten meine Freunde herzu, die aeltesten fassten meine
Haende, die juengeren betrachteten ehrfurchtsvoll die Waffe, mit
welcher die in der Geschichte einzige und unerhoerte Tat geschehen
war. Denn wer, seit des grossen Renommisten Zeiten, durfte sich
ruehmen, vorher die Stelle, die er treffen wollte, angezeigt und mit
so vieler Genauigkeit getroffen zu haben?
Ernsten Blickes trat der Sekundant meines Gegners herein und bot mir
in dessen Namen Versoehnung an. Ich ging zu dem Verwundeten, dem man
gerade mit Nadel und Faden seine Wunde zunaehte, und versoehnte mich
mit ihm.
"Ich bin Ihnen Dank schuldig," sagte er zu mir, "dass Sie mich so
gezeichnet haben. Ich wurde ganz gegen meinen Willen gezwungen,
Theologie zu studieren. Mein Vater ist Landpfarrer, meine Mutter eine
fromme Frau, die ihren Sohn gerne einmal im Chorrock sehen moechte.
Sie haben mit einem Male entschieden; denn mit einer Schmarre vom Ohr
bis zum Mund darf ich keine Kanzel mehr besteigen."
Die Burschen sahen teilnehmend auf den wackern Theologen, der wohl mit
geheimer Wehmut an den Schmerz des alten Pastors, an den Jammer der
frommen Mama denken mochte, wenn die Nachricht von diesem Unfall
anlangte. Ich aber hielt es fuer das groesste Glueck des Juenglings,
durch eine so kurze Operation der Welt wieder geschenkt zu sein. Ich
fragte ihn, was er jetzt anzufangen gedenke, und er gestand offen,
dass der Stand eines Kavalleristen oder eines Schauspielers ihn von
jeher am meisten angezogen haette.
Ich haette ihm um den Hals fallen moegen fuer diesen vernuenftigen
Gedanken; denn gerade unter diesen beiden Staenden zaehle ich die
meisten Freunde und Anhaenger. Ich riet ihm daher aufs ernstlichste,
dem Trieb der Natur zu folgen, indem ich ihm die besten
Empfehlungsbriefe an bedeutende Generale und an die vorzueglichsten
Buehnen versprach.
Dem ganzen Personale aber, das dem merkwuerdigen Duell angewohnt
hatte, gab ich einen trefflichen Schmaus, wobei auch mein Gegner und
seine Gesellen nicht vergessen wurden. Dem ehemaligen Theologen zahlte
ich nachher in der Stille seine Schulden und versah ihn, als er
genesen war, mit Geld und Briefen, die ihm eine froehliche, glaenzende
Laufbahn eroeffneten.
Meine geheime Wohltaetigkeit war so wenig als der glaenzende Ausgang
der Affaere ein Geheimnis geblieben. Man sah mich von jetzt wie ein
hoeheres Wesen an, und ich kannte manche junge Dame, die sogar ueber
meine grossmuetigen Sentiments Traenen vergoss.
Die Mediziner aber liessen mir durch eine Deputation einen
prachtvollen Schlaeger ueberreichen, weil ich mich, wie sie sich
ausdrueckten, "f u e r d e n g u t e n G e r u c h i h r e r
A n a t o m i e g e s c h l a g e n h a b e".
Die Welt bleibt unter allen Gestalten die naemliche, die sie von
Anfang war. Dem Boesen, selbst dem Unvernuenftigen huldigt sie gerne,
wenn es sich nur in einem glaenzenden Gewande zeigt; die gute,
ehrliche Tugend mit ihren rauhen Manieren und ihrem ungeschliffenen,
rohen Aussehen wird hoechstens Achtung, niemals Beifall erlangen.
* * * * *
NEUNTES KAPITEL.
Satans Rache an Doktor Schnatterer.
Als ich sah, wie weit die Philosophie und Theologie in ------en
hinter meinen Vorstellungen, die ich mir zuvor gemacht hatte,
zurueckbleibe, legte ich mich mit Eifer auf Aesthetik, Rhetorik,
namentlich aber auf die schoene Literatur. Man wende mir nicht ein,
ich habe auf diese Art meine Zeit unnuetz angewendet. Ich besuchte ja
jene beruehmte Schule nicht, um ein Brotstudium zu treiben, das einmal
einen Mann mit Weib und Kind ernaehren konnte, sondern das _dic cur
hic_, das ich recht oft in meine Seele zurueckrief, sagte mir
immer, ich solle suchen, von jeder Wissenschaft einen kleinen Hieb zu
bekommen, mich aber so sehr als moeglich in jenen Kuensten zu
vervollkommnen, die heutzutage einem Manne von Bildung unentbehrlich
sind.
Bei Gelegenheit eine Stelle aus einem Dichter zu zitieren, ueber die
Schoenheit eines Gemaeldes kunstgerecht mitzusprechen, eine Statue
nach allen Regeln fuer erbaermlich zu erklaeren, fuer die Maenner
einige theologische Literatur, einige juristische Phrasen, einige neue
medizinische Entdeckungen, einige exorbitante philosophische
Behauptungen _in petto_ zu haben, hielt ich fuer unumgaenglich
notwendig, um mich mit Anstand in der modernen Welt bewegen zu
koennen, und ohne mir selbst ein Kompliment machen zu wollen, darf ich
sagen, ich habe in den paar Monaten in ------en hinlaenglich gelernt.
Ich habe mir nach dem Beispiel meiner grossen Vorbilder im
Memoirenschreiben vorgenommen, auch die geringfuegigsten Ereignisse
aufzufuehren, wenn sie lehrreich oder merkwuerdig sind, wenn sie Stoff
zum Nachdenken oder zum Lachen enthalten. Ich darf daher nicht
versaeumen, meine Rache an Doktor Schnatterer zu erzaehlen.
Besagter Doktor hatte die loebliche Gewohnheit, Sonntag nachmittags
mit mehreren anderen Professoren in ein Wirtshaus, ein halbes
Stuendchen vor der Stadt, zu spazieren. Dort pflegte man, um die
steifgesessenen Glieder wieder auszurenken, Kegel zu schieben und
allerlei sonstige Kurzweil zu treiben, wie es sich fuer ehrbare
Maenner geziemt; man spielte wohl auch bei verschlossenen Tueren ein
Whistchen oder Piquet und trank manchmal ein Glaeschen ueber Durst,
was wenigstens die boese Welt daraus ersehen wollte, dass sich die
Herren abends in der Chaise des Wirtes zur Stadt bringen liessen.
Der ehrwuerdige Theologe aber pflegte immer lange vor Sonnenuntergang
heimzukehren, man sagt, weil die Frau Doktorin ihm keine laengere
Frist erlaubt hatte; er ging dann bedaechtigen Schrittes seinen Weg,
vermied aber die breite Chaussee und schlug den Wiesenpfad ein, der
dreissig Schritte seitwaerts neben jener herlief; der Grund war, weil
der breite Weg am schoenen Sonntagabend mit Fussgaengern besaeet war,
der Doktor aber die hoehere Roete seines Gesichtes und den etwas
unsichern Gang nicht den Augen der Welt zeigen wollte.
So erklaerten sich die Boesen den einsamen Gang Schnatterers; die
Frommen aber blieben stehen, schauten ihm nach und sprachen: "Siehe,
er geht nicht auf dem breiten Weg der Gottlosen, der fromme Herr
Doktor, sondern den schmalen Pfad, welcher zum Leben fuehrt."
Auf diese Gewohnheit des Doktors hatte ich meinen Racheplan gebaut.
Ich passte ihm an einem schoenen Sonntagabend, der alle Welt ins Freie
gelockt hatte, auf, und er trat noch bei guter Tageszeit aus dem
Wirtshaus. Mit demuetigem Bueckling nahte ich mich ihm und fragte, ob
ich ihn auf seinem Heimweg begleiten duerfe, der Abend scheine mir in
seiner gelehrten Naehe noch einmal so schoen.
Der Herr Doktor schien einen kordialen Hieb zu haben; er legte
zutraulich meinen Arm in den seinigen und begann mit mir ueber die
Tiefen der Wissenschaft zu perorieren. Aber ich schlug sein Auge mit
Blindheit, und indem ich als ehrbarer Studiosus neben ihm zu gehen
schien, verwandelte ich meine Gestalt und erschien den verwunderten
Blicken der Spaziergaenger als die schoene Luisel, die beruechtigtste
Dirne der Stadt.--Ach! dass Hogarth an jenem Abende unter den
spazierengehenden Christen auf dem breiten Wege gewandelt waere! Welch
herrliche Originale fuer frommen Unwillen, starres Erstaunen,
haemische Schadenfreude haette er in sein Skizzenbuch niederlegen
koennen.
Die Vordersten blieben stehen, als sie das seltsame Paar auf dem
Wiesenpfad wandeln sahen, sie kehrten um, uns zu folgen und rissen die
Nachkommenden mit. Wie ein ungeheurer Strom waelzte sich uns die
erstaunte Menge nach, wie ein Lauffeuer flog das unglaubliche
Geruecht: "Der Doktor Schnatterer mit der schoenen Luisel!" von Mund
zu Mund der Stadt zu.
"Wehe dem, durch den Aergernis kommt!" riefen die Frommen. "Hat man
d a s je erlebt von einem christlichen Prediger?"
"Ei, ei, wer haette das hinter dem Ehrsamen gesucht?" sprachen mit
Achselzucken die Halbfrommen. "Wenn der Skandal nur nicht auf
oeffentlicher Promenade--!"
"Der Herr Doktor machen sich's bequem!" lachten die Weltkinder, "er
predigt gegen das Unrecht und geht mit der Suende spazieren."
So hallte es vom Felde bis in die Stadt, Buerger und Studenten, Maegde
und Strassenjungen erzaehlten es in Kneipen, am Brunnen und an allen
Ecken; und "Doktor Schnatterer" und "schoen Luisel" war das
Feldgeschrei und die Parole fuer diesen Abend und manchen folgenden
Tag.
An einer Kruemmung des Weges machte ich mich unbemerkt aus dem Staube
und schloss mich als Studiosus meinen Kameraden an, die mir die
Neuigkeit ganz warm auftischten.
Der gute Doktor aber zog ruhig seines Weges, bemerkte, in seine tiefen
Meditationen versenkt, nicht das Draengen der Menge, die sich um
seinen Anblick schlug, nicht das wiehernde Gelaechter, das seinen
Schritten folgte. Es war zu erwarten, dass einige fromme Weiber seiner
zaertlichen Ehehaelfte die Geschichte beigebracht hatten, ehe noch der
Theologe an der Hausglocke zog; denn auf der Strasse hoerte man
deutlich die fuerchterliche Stimme des Gerichtsengels, der ihn in
Empfang nahm, und das Klatschen, welches man hie und da vernahm, war
viel zu volltoenend, als dass man haette denken koennen, die Frau
Doktorin habe die Wangen ihres Gemahls mit dem M u n d e beruehrt.
Wie ich mir aber dachte, so geschah es. Nach einer halben Stunde
schickte die Frau Doktorin zu mir und liess mich holen. Ich traf den
Doktor mit hoch aufgelaufenen Wangen, niedergeschlagen in einem
Lehnstuhl sitzend. Die Frau schritt auf mich zu und schrie, indem sie
die Augen nach dem Doktor hinueberblitzen lieb: "Dieser Mensch dort
behauptet, heute abend mit Ihnen vom Wirtshaus hereingegangen zu sein;
sagen Sie, ob es wahr ist, sagen Sie!"
Ich bueckte mich geziemend und versicherte, dass ich mir habe nie
traeumen lassen, die Ehre zu geniessen; ich sei den ganzen Abend zu
Hause gewesen.
Wie vom Donner geruehrt, sprang der Doktor auf, der Schrecken schien
seine Zunge gelaehmt zu haben: "Zu Haus' gewesen?" lallte er. "Nicht
mit mir gegangen? O, mit wem soll ich denn gegangen sein, als mit
Ihnen, Wertester?"
"Was weiss ich, mit wem der Herr Doktor gegangen sind?" gab ich
laechelnd zur Antwort. "Mit mir auf keinen Fall!"
"Ach, Sie sind nur zu nobel, Herr Studiosus," heulte die wuetende
Frau, "was sollten Sie nicht wissen, was die ganze Stadt weiss; der
alte Suender, der Schandmensch! Man weiss seine Schliche wohl; mit der
schoenen Luisel hat er scharmuziert!"
"Das hat mir der boese Feind angetan," raste der Doktor und rannte im
Zimmer umher; "der Boese, der Beelzebub, nach meiner Konjektur der
Stinker."
"Der Rausch hat dir's angetan, du Lump," schrie die Zaertliche, riss
ihren breit getretenen Pantoffel ab und rannte ihm nach; ich aber
schlich mich die Treppe hinab und zum Haus hinaus und dachte bei mir:
"Dem Doktor ist ganz recht geschehen; man soll den Teufel nicht an die
Wand malen, sonst kommt er."
Der Doktor Schnatterer werde von da an in seinen Kollegien ausgepocht
und konnte selbst mit den kuehnsten Konjekturen den Eifer nicht mehr
erwecken, der vor seiner Fatalitaet unter der studierenden Jugend
geherrschte hatte. Die Kollegiengelder erreichten nicht mehr jene
Summe, welche die Frau Professorin als allgemeinen Massstab angenommen
hatte, und der Professor lebte daher in ewigem Hader mit der
Unversoehnlichen. Diesem hatte, sozusagen, d e r T e u f e l e i n
E i i n d i e W i r t s c h a f t g e l e g t.
* * * * *
ZEHNTES KAPITEL.
Satan wird wegen Umtrieben eingezogen und verhoert; er verlaesst die
Universitaet.
Um diese Zeit hoerte man in Deutschland viel von Demagogen, Umtrieben,
Verhaftungen und Untersuchungen. Man lachte darueber, weil es schien,
man betrachte alles durch das Vergroesserungsglas, welches Angst und
boeses Gewissen vorhielten. Uebrigens mochte es an manchen Orten doch
nicht ganz geheuer gewesen sein; selbst in dem sonst so ruhigen
------en spukte es in manchen Koepfen seltsam.
Ich will einen kurzen Umriss von dem Stand der Dinge geben. Wenn man
unbefangen unter den Burschen umherwandelte und ihren Gelagen
beiwohnte, so draengte sich von selbst die Bemerkung auf, dass viele
unter ihnen von etwas anderem angeregt seien als gerade von dem
naechsten Zweck ihres Brotstudiums; wie einige grosses Interesse daran
fanden, sich morgens mit ihren Glaeubigern und deren Noten (Philister
mit Pumpregistern) herumzuzanken, nachher den Hund zu baden und ihn
schoene Kuenste zu lehren, sodann Fensterparade vor ihren Schoenen zu
machen usw., so hatten sich andere, und zwar kein geringer Teil, auf
Idealeres geworfen. Ich hatte zwar dadurch, dass ich sie zum Studium
des Trinkens anhielt, dafuer gesorgt, dass die Herren sich nicht gar
zu sehr der Welt entziehen moechten; aber es blieb doch immer ein
geheimnisvolles Walten, aus welchem ich nicht recht klug werden
konnte.
Besonders aber aeusserte sich dies, wenn die Koepfe erleuchtet waren;
da sprach man viel von Volksbildung, von frommer deutscher Art; manche
sprudelten auch ueber und schrien von der Not des Vaterlandes, von--
doch das ist jetzt gleichgueltig, von was gesprochen wurde, es genuegt
zu sagen, dass es schien, als haette eine grosse Idee viele Herzen
ergriffen, sie zu e i n e m Streben vereinigt. Mir behagte die Sache
an sich nicht uebel; sollte es auf etwas Unruhiges ausgehen, so war
ich gleich dabei, denn Revolutionen waren von jeher mein Element; nur
sollte nach meiner Meinung das Ganze einen eleganteren, leichteren
Anstrich haben.
Es gab zwar Leute unter ihnen, die mit der Gewandtheit eines
Staatsmannes die Menge zu leiten wussten, die sich eine Eleganz des
Stils, eine Leichtigkeit des Umganges angeeignet hatten, wie sie in
den diplomatischen Salons mit Muehe erlernt und kaum mit so viel
Anstand ausgefuehrt wird; aber die meisten waren in ein phantastisches
Dunkel geraten, munkelten viel von dem Dreiklang in der Einheit, von
der Idee, die ihnen aufgegangen sei, und hatten Vergangenheit und
Zukunft, Mittelalter und das Chaos der jetzigen Zeit so ineinander
geknetet, dass kein Theseus sich aus diesen Labyrinthen herausgefunden
haette.
Ich merkte oft, dass einer oder der andere der Koryphaeen in einer
traulichen Stunde mir gerne etwas anvertraut haette; ich zeigte
Verstand, Weltbildung, Geld und grosse Konnexionen, Eigenschaften, die
nicht zu verachten sind und die man immer ins Mittel zu ziehen sucht.
Aber immer, wenn sie im Begriff waren, die dunkle Pforte des
Geheimnisses vor meinen Augen aufzuschliessen, schien sie, ich weiss
nicht was, zurueckzuhalten; sie behaupteten, ich habe kein Gemuet;
denn dieses edle Seelenvermoegen schienen sie als Probierstein zu
gebrauchen.
Mochte ich aber aussehen wie ein verkappter Jakobiner, mochte ich
durch meinen Einfluss auf die Menge Verdacht erregt haben? Eines
Morgens trat der Pedell mit einigen Schnurren in mein Zimmer und nahm
mich im Namen Seiner Magnifizenz gefangen. Der Universitaetssekretaer
folgte, um meine Papiere zu ordnen und zu versiegeln, und gab mir zu
verstehen, dass ich als D e m a g o g e verhaftet sei.
Man gab mir ein anstaendiges Zimmer im Universitaetsgebaeude, sorgte
eifrig fuer jede Bequemlichkeit, und als der hohe Rat beisammen war,
wurde ich in den Saal gefuehrt, um ueber meine p o l i t i s c h e n
V e r b r e c h e n vernommen zu werden.
Die Dekane der vier Fakultaeten, der Rektor Magnifikus, ein Mediziner,
und der Universitaetssekretaer sassen um einen gruen behaengten Tisch
in feierlichem Ornat; die tiefe Stille, welche in dem Saal herrschte,
die steife Haltung der gelehrten Richter, ihre wichtigen Mienen
noetigten mir unwillkuerlich ein Laecheln ab.
Magnifikus zeigte auf einen Stuhl ihm gegenueber am Ende der Tafel,
Delinquent setzte sich, Magnifikus winkte wieder, und der Pedell trat
ab.
Noch immer tiefe Stille; der Sekretaer legt das Papier zum Protokoll
zurecht und schneidet Federn; ein alter Professor laesst seine
ungeheure Dose herumgehen. Jeder der Herren nimmt eine Prise,
bedaechtig und mit Beugung des Hauptes; Doktor Saper, mein naechster
Nachbar, schnupft und praesentiert mir die Dose, laesst aber das teure
Magazin, von einem abwehrenden Blick Magnifici erschreckt, mit
polterndem Geraeusch zu Boden fallen.
"Alle Hagel, Herr Doktor," schrie der alte Professor, alle Achtung
beiseite setzend.
"O Jerum," aechzte der Sekretaer und warf das Federmesser weg; denn er
hatte sich aus Schrecken in den Finger geschnitten.
"Bitte untertaenigst!" stammelte der erschrockene Doktor Saper.
Diese alle sprachen auf einmal durcheinander, und der letztere kniete
auf den Boden nieder und wollte mit der Papierschere, die er in der
Eile ergriffen hatte, den verschuetteten Tabak aufschaufeln.
Magnifikus aber ergriff die grosse Glocke und schellte dreimal; der
Pedell trat eilig und bestuerzt herein und fragte, was zu Befehl sei,
und Magnifikus, mit einem verbindlichen Laecheln zu Doktor Saper
hinueber, sprach: "Lassen Sie es gut sein, Lieber, er taugt doch
nichts mehr; da wir aber in dieser Sitzung einiges Tabaks benoetigt
sein werden, glaube ich, dafuer stimmen zu muessen, dass frischer
_ad locum_ gebracht werde."
Doktor Saper zog schnell sein Beutelein, reichte dem Pedell einige
Groschen und befahl ihm, eilends drei Lot Schnupftabak zu bringen.
Dieser enteilte dem Saal. Vor dem Haus fand er, wie ich nachher
erfuhr, die halbe Universitaet versammelt; denn meine Verhaftung war
schnell bekannt geworden, und alles draengte sich hinzu, um das
Naehere zu erfahren. Man kann sich daher die Spannung der Gemueter
denken, als man den Pedell aus der Tuere stuerzen sah. Die Vordersten
hielten ihn fest und fragten und draengten ihn, wohin er so eilig
versendet werde, und kaum konnte man sich in seine Beteuerung finden,
dass er eilends drei Lot Schnupftabak holen muesse.
Aber im Saal war nach der Entfernung des Goetterboten die vorige,
anstaendige Stille eingetreten. Magnifikus fasste mich mit einem Blick
voll Hoheit und begann:
"Es ist uns von einer hoechstpreislichen Zentral-
Untersuchungskommission der Auftrag zugekommen, auf gewisse geheime
Umtriebe und Verbindungen, so sich auf unserer Universitaet seit
einiger Zeit entsponnen haben sollen, unser Augenmerk zu richten. Wir
sind nun nach reiflicher Pruefung der Umstaende vollkommen darueber
einverstanden, dass Sie, Herr von Barbe, sich hoechst verdaechtig
gemacht haben, solche Verhaeltnisse unter unserer akademischen Jugend
dahier herbeigefuehrt und angesponnen zu haben. Hm! Was sagen Sie
dazu, Herr von Barbe?"
"Was ich dazu sage? Bis jetzt noch nichts. Ich erwarte geziemend die
Beweise, die mein Leben und Betragen einer solchen Beschuldigung
verdaechtig machen."
"Die Beweise?" antwortete erstaunt der Rektor. "Sie verlangen Beweise?
Ist das der Respekt vor einem akademischen Senate? Man fuehre selbst
den Beweis, dass man nicht im straeflichen Verdacht der Demagogie
ist."
"Mit guetiger Erlaubnis, Euer Magnifizenz," entgegnete der Dekan der
Juristen, "Inquisit kann, wenn er eines Verdachtes angeklagt ist, i n
a l l e W e g e v e r l a n g e n, dass ihm die Gruende des
Verdachtes genannt werden."
Dem medizinischen Rektor stand der Angstschweiss auf der Stirne; man
sah ihm an, dass er mit Muehe die Beweisgruende in seinem Haupte hin-
und herwaelzte. Wie ein Bote vom Himmel erschien ihm daher der Pedell
mit der Dose und berichtete zugleich mit aengstlicher Stimme, dass die
Studierenden in grosser Anzahl sich vor dem Universitaetsgebaeude
zusammengerottet haben und ein verdaechtiges Gemurmel durch die Reihen
laufe, das mit einem Pereat oder Scheibeneinwerfen zu bedrohen
scheine.
Kaum hatte er ausgesprochen, so stuerzte eine Magd herein und richtete
von der Frau Magnifikussin an den Herrn Magnifikus ein Kompliment aus,
"und er moechte doch sich nach Haus salvieren, weil die Studenten
allerhand verdaechtige Bewegungen machten".
"Ist das nicht der klarste Beweis gegen Ihre geheimen Umtriebe, lieber
Herr von Barbe?" sprach die Magnifizenz in klaeglichem Tone. "Aber der
Aufruhr steigt, _videant Consules, ne quid detrimenti_--man nehme
seine Massregeln;--dass auch der Teufel gerade in meine Amtsfuehrung
alle fatalen Haendel bringen muss!--_Domine Collega,_ Herr Doktor
Pfeffer, was stimmen Sie?"
"Es ist eigentlich noch kein Votum zur Abstimmung vorgebracht und zur
Reife gediehen, ich rate aber, Herrn von Barbe bis auf weiteres zu
entlassen und ihm--"
"Richtig, gut," rief der Rektor, "Sie koennen abtreten,
wertgeschaetzter junger Freund; beruhigen Sie Ihre Kameraden; Sie
sehen selbst, wie glimpflich wir mit Ihnen verfahren sind, und zu
einer gelegeneren Stunde werden wir uns wieder die Ehre ausbitten;
damit aber die Sache kein solches Aufsehen mehr erregt--weiss Gott,
der Aufruhr steigt, ich hoere Pereat--so kommen Sie morgen abend alle
zum Tee zu mir, Sie auch, lieber Barbe, da dann die Sachen weiter
besprochen werden koennen."
Ich konnte mich kaum enthalten, den aengstlichen Herren ins Gesicht zu
lachen. Sie sassen da, wie von Gott verlassen, und wuenschten sich in
Abrahams Schoss, das heisst in den ruhigen Hafen ihres weiten
Lehnstuhls.
"Was steht nicht von einer erhitzten Jugend zu erwarten?" klagten sie.
"Seitdem etzliche Lehrer von den Kathedern gestiegen sind und sich
unter diese himmelstuermenden Zyklopen gemischt haben, ist keine
Ehrfurcht, kein Respekt mehr da. Man muss befuerchten, wie schlechte
Schauspieler ausgepfiffen oder am hellen Tage insultiert zu werden."
"Vom Erstechen will ich gar nicht reden," sagte ein anderer; "es
sollte eigentlich jeder Literatus, der nicht alle Wege ein gut
Gewissen hat, einen Brustharnisch unter dem Kamisol tragen."
Indessen die Philister also klagten, dankte ich meinen Kommilitonen
fuer ihre Aufmerksamkeit fuer mich, sagte ihnen, dass sie nachts viel
bessere Gelegenheit zum Fenstereinwerfen haben, und bewog sie durch
Bitten und Vorstellungen, dass sie abzogen. Sie marschierten in
geschlossenen Reihen durch das erschreckte Staedtchen und sangen ihr
_"Ca ira, ca ira,"_ naemlich: "Die Burschenfreiheit lebe" und
das erhabene "Rautsch, rautsch, rautschitschi, Revolution!"
Ich ging wieder in den Saal zurueck und sagte den noch versammelten
Herren, dass sie gar nichts zu befuerchten haben, weil ich die Herren
Studiosen vermocht habe, nach Hause zu gehen. Beschaemung und Zorn
roetete jetzt die bleichen Gesichter, und mein bisschen Psychologie
muesste mich ganz getaeuscht haben, wenn mich die Herren nicht ihre
Angst entgelten liessen. Und gewiss! Meine Ahnung hatte mich nicht
betrogen. Magnifikus ging ans Fenster, um sich selbst zu ueberzeugen,
dass die Aufruehrer abgezogen seien; dann wendete er sich mit
erhabener Miene zu mir, und er, der noch vor einer Viertelstunde "mein
wertgeschaetzter Freund" zu mir sagte, herrschte mir jetzt zu: "Wir
koennen das Verhoer weiter fortfuehren, Delinquent mag sich setzen!"
So sind die Menschen; nichts vergisst der Hoehere so leicht, als dass
der Niedere ihm in der Stunde der Not zu Hilfe eilte. Nichts sucht er
sogar eifriger zu vergessen als jene Not, wenn er sich dabei eine
Bloesse gegeben, deren er sich zu schaemen hat.
Nach der Miene des Magnifikus richteten sich auch die seiner Kollegen.
Sie behandelten mich grob und muerrisch. Der Rektor entwickelte mit
grosser Gelehrsamkeit den ersten Anklagepunkt. "Demagog kommt her von
_demos_ und _agein_. Das eine heisst Volk, das andere fuehren
oder verfuehren. Wer ist nach diesem Begriff mehr Demagog als Sie?
Haben wir nicht in Erfahrung gebracht, dass Sie die jungen Leute
zum Trinken verleiteten, dass Sie neue Lieder und Kartenspiele hieher
verpflanzten? Auch von andern Orten werden diese Sachen als die
sichersten Symptome der Demagogie angefuehrt; folglich sind Sie ein
Demagog."--
Mit triumphierendem Laecheln wandte er sieh zu seinen Kollegen: "Habe
ich nicht recht, Doktor Pfeffer? Nicht recht, Herr Professor Saper?"
"Vollkommen, Euer Magnifizenz," versicherten jene und schnupften.
"Zweitens, jetzt kommt der andere Punkt," fuhr der Mediziner fort.
"Das Turnen ist eine Erfindung des Teufels und der Demagogen, es ist,
um mich so auszudruecken, eine vaterlandsverraeterische Ausbildung der
koerperlichen Kraefte. Da nun die Turnplaetze eigentlich die Tierparks
und Salzlecken des demagogischen Wildes, Sie aber, wie wir in
Erfahrung gebracht haben, einer der eminentesten Turner sind, so haben
Sie sich durch Ihre _Saltus mortales_ und Ihre uebrigen Kuenste
als einen kleinen Jahn, einen offenbaren Demagogen gezeigt.--Habe ich
nicht recht, Herr Doktor Bruttler? Sage ich nicht die Wahrheit, Herr
Doktor Schrag?"
"Vollkommen, Euer Magnifizenz!" versicherten diese und schnupften.
"Demagogen," fuhr er fort, "Demagogen schleichen sich ohne bestimmten
aeussern Zweck ins Land und suchen da Feuer einzulegen; sie sind
unstete Leute, denen man ihre Verdaechtigkeit gleich ansieht; der Herr
Studiosus von Barbe ist ohne bestimmten Zweck hier; denn er laeuft in
allen Kollegien und Wissenschaften umher, ohne sie fuer immer zu
frequentieren oder g a r n a c h z u s c h r e i b e n. Was folgt? Er
hat sich der Demagogie sehr verdaechtig gemacht. Ich fuege gleich den
vierten Grund bei. Man hat bemerkt, dass Demagogen, vielleicht von
geheimen Buenden ausgeruestet, viel Geld zeigen und die Leute an sich
locken; wer hat sich in diesem Punkte der Anklage wuerdiger gemacht
als Delinquent? Habe ich nicht recht, meine Herren?"
"Sehr scharfsinnig, vollkommen!" antworteten die Aufgerufenen
_unisono_ und liessen die Dose herumgehen.
Mit Majestaet richtete sich Magnifikus auf: "Wir glauben hinlaenglich
bewiesen zu haben, dass Sie, Herr Studiosus Friedrich von Barbe, in
dem Verdacht geheimer Umtriebe stecken; wir sind aber weit entfernt,
ohne den Beklagten anzuhoeren, ein Urteil zu faellen; darum
verteidigen Sie sich.--Aber mein Gott! Wie die Zeit herumgeht, da
laeutet es schon zu Mittag; ich denke, der Herr kann seine
Verteidigung im Karzer schriftlich abfassen; somit waere die Sitzung
aufgehoben; wuensche gesegnete Mahlzeit, meine Herren."
So schloss sich mein merkwuerdiges Verhoer. Im Karzer entwarf ich eine
Verteidigung, die den Herren einleuchten mochte. Wahrscheinlicher aber
ist mir, dass sie sich scheuten, einen jungen Mann, der so viel Geld
ausgab, aus ihrer guten Stadt zu verbannen. Sie gaben mir daher den
Bescheid, dass man mich aus besonderer Ruecksicht diesmal noch mit dem
Konsilium verschonen wolle, und setzten mich wieder auf freien Fuss.
Als Demagog eingekerkert zu sein, als Maertyrer der guten Sache
gelitten zu haben, zog einen neuen Nimbus um meinen Scheitel, und im
Triumph wurde ich aus dem Karzer nach Hause begleitet; aber die Freude
sollte nicht lange dauern. Ich hatte jetzt so ziemlich meinen Zweck,
der mich in jene Stadt gefuehrt hatte, erreicht und gedachte weiter zu
gehen. Ich hatte mir aber vorgenommen, vorher noch den Titel eines
Doktors der Philosophie auf gerechtem Wege zu erringen. Ich schrieb
daher eine gelehrte Dissertation, und zwar ueber ein Thema, das mir am
naechsten lag: _De rebus diabolicis_, liess sie drucken und
verteidigte sie oeffentlich; wie ich meine Gegner und Opponenten
tuechtig zusammengehauen, erzaehle ich nicht, aus Bescheidenheit;
einen Auszug aus meiner Dissertation habe ich uebrigens dem geneigten
Leser beigelegt [Fussnote: Diesen Auszug habe ich nicht finden
koennen, es muesste denn die Einleitung zum Besuch bei Goethe sein.
Der Herausgeber.].
_Post exantlata_, oder nachdem ich den Doktorhut errungen hatte,
gab ich einen ungeheuern Schmaus, wobei manche Seele auf ewig mein
wurde. Solange noch die guten Jungen meinen Champagner und Burgunder
mit schwerer Zunge prueften, liess ich meine Rappen vorfuehren und
sagte der lieben Musenstadt Valet. Die Rechnung des Doktorschmauses
aber ueberbrachte der Wirt am Morgen den erstaunten Gaesten, und
manches Pochen des ungestuemen Glaeubigers, das sie aus den suessen
Morgentraeumen weckte, mancher bedeutende Abzug am Wechsel erinnerte
sie auch in spaetern Zeiten an den beruehmten Doktorschmaus und an
ihren guten Freund, den Satan.
* * * * *
UNTERHALTUNGEN DES SATAN UND DES EWIGEN JUDEN IN BERLIN.
"Die heutigen dummen Gesichter sind nur das _boeuf
a la Mode_ der frueheren dummen Gesichter."
Welt und Zeit.
ELFTES KAPITEL.
Wen der Teufel im Tiergarten traf.
Ich sass, es moegen bald drei Jahre sein, an einem schoenen
Sommerabend im Tiergarten zu Berlin, nicht weit vom Weberschen Zelt;
ich betrachtete mir die bunte Welt um mich her und hatte grosses
Wohlgefallen an ihr; war es doch schon wieder ganz anders geworden als
zu der frommen Zeit anno dreizehn und fuenfzehn, wo alles so ehrbar
und, wie sie es nannten, altdeutsch zuging, dass es mich nicht wenig
ennuyierte. Besonders ueber die schoenen Berlinerinnen konnte ich mich
damals recht aergern; sonst ging es Sonntag nachmittags mit Saus und
Braus nach Charlottenburg oder mit Jubel und Lachen die Linden entlang
nach dem Tiergarten hinaus; allein damals--? Jetzt aber ging es auch
wieder hoch her. Das Alte war dem Neuen gewichen, Lust und Leben wie
frueher zog durch die gruenen Baeume, und der Teufel galt wieder was,
wie vor Zeiten, und war ein geschaetzter, angesehener Mann.
Ich konnte mich nicht enthalten, einen Gang durch die buntgemischte
Gesellschaft zu machen. Die glaenzenden Militaers von allen Chargen
mit ihren ebenso verschieden chargierten Schoenen, die zierlichen
Elegants und Elegantinnen, die Muetter, die ihre geputzten Toechter zu
Markte brachten, die wohlgenaehrten Raete, mit einem guten Griff der
Kassengelder in der Tasche, und Grafen, Barone, Buerger, Studenten und
Handwerksburschen, anstaendige und unanstaendige Gesellschaft--sie
alle um mich her, sie alle auf dem vernuenftigsten Wege, m e i n zu
werden! In froehlicher Stimmung ging ich weiter und weiter, ich wurde
immer zufriedener und heiterer.
Da sah ich, mitten unter dem wogenden Gewuehl der Menge ein paar
Maenner an einem kleinen Tischchen sitzen, welche gar nicht recht zu
meiner froehlichen Gesellschaft taugen wollten. Den einen konnte ich
nur vom Ruecken sehen; es war ein kleiner, beweglicher Mann, schien
viel an seinen Nachbar hin zu sprechen, gestikulierte oft mit den
Armen und nahm nach jedem groesseren Satz, den er gesprochen, ein
erkleckliches Schlueckchen dunkelroten Franzweins zu sich.
Der andere mochte schon weit vorgerueckt in Jahren sein, er war
aermlich, aber sauber gekleidet, beugte den Kopf auf die eine Hand,
waehrend die andere mit einem langen Wanderstab wunderliche Figuren in
den Sand schrieb; er hoerte mit truebem Laecheln dem Sprechenden zu
und schien ihm wenig oder ganz kurz zu antworten.
Beide Figuren hatten etwas mir so Bekanntes, und doch konnte ich mich
im Augenblicke nicht entsinnen, wer sie waeren. Der kleine Lebhafte
sprang endlich auf, drueckte dem Alten die Hand, lief mit kurzen,
schnellen Schritten, heiser vor sich hin lachend, hinweg und verlor
sich bald ins Gedraenge. Der Alte schaute ihm wehmutig nach und legte
dann die tiefgefurchte Stirne wieder in die Hand.
Ich besann mich auf alle meine Bekannten, keiner passte zu dieser
Figur; eine Ahnung durchflog mich, sollte es--doch was braucht der
Teufel viel Komplimente zu machen? Ich trat naeher, setzte mich auf
den Stuhl, welchen der andere verlassen hatte, und bot dem Alten einen
guten Abend.
Langsam erhob er sein Haupt und schlug das Auge auf. Ja, er war es, es
war der e w i g e J u d e.
"_Bon soir_, Bruederchen," sagte ich zu ihm, "es ist doch schnackisch,
dass wir einander zu Berlin im Tiergarten wieder finden; es wird wohl
so achtzig Jaehrchen sein, dass ich nicht mehr das Vergnuegen hatte?"
Er sah mich fragend an. "So, du bist's?" presste er endlich heraus.
"Hebe dich weg, mit dir habe ich nichts zu schaffen!"
"Nur nicht gleich so grob, Ewiger," gab ich ihm zur Antwort; "wir
haben manche Mitternacht miteinander vertollt, als du noch munter
warst auf der Erde und so recht systematisch liederlich lebtest, um
dich selbst bald unter den Boden zu bringen. Aber jetzt bist du,
glaube ich, ein Pietist geworden."
Der Jude antwortete nicht, aber ein haemisches Laecheln, das ueber
seine verwitterten Zuege flog wie ein Blitz durch die Ruine, zeigte
mir, dass er mit der Kirche noch immer nicht recht einig sei.
"Wer ging da soeben von dir hinweg?" fragte ich, als er noch immer auf
seinem Schweigen beharrte.
"Das war der Kammergerichtsrat Hoffmann," erwiderte er.
"So, d e r? Ich kenne ihn recht wohl, obgleich er mir immer ausweicht
wie ein Aal; war ich ihm doch zu mancher seiner naechtlichen
Phantasien behilflich, dass es ihm selbst oft angst und bange wurde,
und habe ich ihm nicht als sein eigener Doppelgaenger ueber die
Schultern geschaut, als er an seinem Kreisler schrieb? Als er sich
umwandte und den Spuk anschaute, rief er seiner Frau, dass sie sich zu
ihm setze, denn es war Mitternacht, und seine Lampe brannte trueb'.--
So, so, der war's? Und was wollte er von dir, Ewiger?"
"Dass du verkruemmest mit deinem Spott! Bist du nicht gleich ewig wie
ich, und drueckt dich die Zeit nicht auch auf den Ruecken? Nenne den
Namen nicht mehr, den ich hasse! Was aber den Kammergerichtsrat
Hoffmann betrifft," fuhr er ruhiger fort, "so geht er umher, um sich
die Leute zu betrachten; und wenn er einen findet, der etwas Apartes
an sich hat, etwa einen Hieb aus dem Narrenhaus oder einen Stich aus
dem Geisterreich, so freut er sich bass und zeichnet ihn mit Worten
oder mit dem Griffel. Und weil er an mir etwas Absonderliches
verspuert haben mag, so setzte er sich zu mir, besprach sich mit mir
und lud mich ein, ihn in seinem Haus auf dem Gendarmenmarkt zu
besuchen."
"So, so! Und wo kommst du denn eigentlich her, wenn man fragen darf?"
"Recta aus China!" antwortete Ahasverus. "Ein langweiliges Nest, es
sieht gerade aus wie vor fuenfzehnhundert Jahren, als ich zum
erstenmal dort war."
"In China warst du?" fragte ich lachend. "Wie kommst du denn zu dem
langweiligen Volk, das selbst fuer den Teufel zu wenig amuesant ist?"
"Lass das," entgegnete jener, "du weisst ja, wie mich die Unruhe durch
die Laender treibt. Ich habe mir, als die Morgensonne des neuen
Jahrhunderts hinter den mongolischen Bergen aufging, den Kopf an die
lange Mauer von China gerannt; aber es wollte noch nicht mit mir zu
Ende gehen, und ich haette eher ein Loch durch jene Gartenmauer des
himmlischen Reiches gestossen, wie ein alter Aries, als dass der dort
oben mir ein Haerchen haette kruemmen lassen."
Traenen rollten dem alten Menschen aus den Augen. Die mueden
Augenlider wollten sich schliessen; aber der Schwur des Ewigen haelt
sie offen, bis er schlafen darf, wenn die andern auferstehen. Er hatte
lange geschwiegen, und wahrlich, ich konnte den Armen nicht ohne eine
Regung von Mitleid ansehen. Er richtete sich wieder auf.--"Satan,"
fragte er mit zitternder Stimme, "wieviel Uhr ist's in der Ewigkeit?"
"Es will Abend werden," gab ich ihm zur Antwort.
"O Mitternacht!" stoehnte er, "wann endlich kommen deine kuehlen
Schatten und senken sich auf mein brennendes Auge? Wann nahest du,
Stunde, wo die Graeber sich oeffnen und Raum wird fuer den E i n e n,
der dann ruhen darf?"
"Pfui Kuckuck, alter Heuler!" brach ich los, erbost ueber die
weinerlichen Manieren des ewigen Wanderers. "Wie magst du nur solch
ein poetisches Lamento aufschlagen? Glaube mir, du darfst Dir
gratulieren, dass du noch etwas Apartes hast. Manche lustige Seele hat
es an einem gewissen Ort viel schlimmer als du hier auf der Erde. Man
hat doch hier immer noch seinen Spass; denn die Menschen sorgen
dafuer, dass die tollen Streiche nicht ausgehen. Wenn ich so viele
freie Zeit haette wie du, ich wollte das Leben anders geniessen. _Ma
foi_, Bruederchen, warum gehst du nicht nach England, wo man jetzt
ueber die galanten Abenteuer einer Koenigin oeffentlich zertiert?
Warum nicht nach Spanien, wo es jetzt naechstens losbricht? Warum
nicht nach Frankreich, um dein Gaudium daran zu haben, wie man die
Waende des Kaisertums ueberpinselt und mit alten Gobelins von Ludwigs
des Vierzehnten Zeiten, die sie aus dem Exil mitgebracht haben,
behaengt. Ich kann dich versichern, es sieht gar naerrisch aus; denn
die Tapete ist ueberall zu kurz, und durch die Risse guckt immer noch
ernst und drohend das Kaisertum wie das Blut des Ermordeten, das man
mit keinem Gips ausloeschen kann und das, so oft man es weiss
anstreicht, immer noch mit der alten b u n t e n Farbe durchschlaegt!"
Der alte Mensch hatte mir aufmerksam zugehoert, sein Gesicht war immer
heiterer geworden, und er lachte jetzt aus vollem Herzen. "Du bist,
wie ich sehe, immer noch der Alte," sagte er, und schuettelte mir die
Hand, "weisst jedem etwas aufzubinden, und wenn er gerade aus Abrahams
Schoss kaeme!"
"Warum," fuhr ich fort, "warum haeltst du dich nicht laenger und
oefter hier in dem guten und ehrlichen Deutschland auf? Kann man etwas
Possierlicheres sehen als diese Duodezlaender! Da ist alles so--doch
stille, da geht einer von der geheimen Polizei umher. Man koennte
leicht etwas aufschnappen und den ewigen Juden und den Teufel als
unruhige Koepfe nach Spandau schicken. Aber um auf etwas anderes zu
kommen, warum bist du denn hier in Berlin?"
"Das hat seine eigene Bewandtnis," antwortete der Jude. "Ich bin hier,
um einen Dichter zu besuchen."
"Du einen Dichter?" rief ich verwundert. "Wie kommst du auf diesen
Einfall?"
"Ich habe vor einiger Zeit ein Ding gelesen, man heisst es Novelle,
worin ich die Hauptrolle spielte. Es fuehrte zwar den dummen Titel:
D e r e w i g e J u d e, im uebrigen ist es aber eine schoene
Dichtung, die mir wunderbaren Trost brachte! Nun moechte ich den Mann
sehen und sprechen, der das wunderliche Ding gemacht hat."
"Und der soll hier wohnen, in Berlin?" fragte ich neugierig. "Und wie
heisst er denn?"
"Er soll hier wohnen und heisst F. H. Man hat mir auch die Strasse
genannt; aber mein Gedaechtnis ist wie ein Sieb, durch das man
Mondschein giesst!"
Ich war nicht wenig begierig, wie sich der ewige Jude bei einem
Dichter produzieren wuerde, und beschloss, ihn zu begleiten. "Hoere,
Alter," sagte ich zu ihm, "wir haben von jeher auf gutem Fuss
miteinander gestanden, und ich hoffe nicht, dass du deine Gesinnungen
gegen mich aendern wirst. Sonst--"
"Zu drohen ist gerade nicht noetig, Herr Satan," antwortete er, "denn
du weisst, ich mache mir wenig aus dir und kenne deine Schliche
hinlaenglich; aber deswegen bist du mir doch als alter Bekannter ganz
angenehm und recht. Warum fragst du denn?"
"Nun, du koenntest mir die Gefaelligkeit erweisen, mich zu dem
Dichter, der dich in einer Novelle abkonterfeite, mitzunehmen. Willst
du nicht?"
"Ich sehe zwar nicht ein, was fuer ein Interesse du dabei haben
kannst," antwortete der Alte und sah mich misstrauisch an. "Du
koenntest irgendeinen Spuk im Sinne haben und dir vielleicht gar mit
boesen Absichten auf des braven Mannes Seele schmeicheln. Dies schlage
dir uebrigens nur aus dem Sinn; denn der schreibt so fromme Novellen,
dass der Teufel selbst ihm nichts anhaben kann.--Doch meinetwegen
kannst du mitgehen."
"Das denke ich auch. Was diese Seele betrifft, so kuemmere ich mich
wenig um Dichter und dergleichen; das ist leichte Ware, welcher der
Teufel wenig nachfragt. Es ist bei mir nur Interesse an dem Manne
selbst, was mich zu ihm zieht. Uebrigens in diesem Kostuem kannst du
hier in Berlin keine Visiten machen, Alter!"
Der ewige Jude beschaute mit Wohlgefallen sein abgeschabtes braunes
Roecklein mit grossen Perlmutterknoepfen, seine lange Weste mit
breiten Schoessen, seine kurzen, zeisiggruenen Beinkleider, die auf
den Knien ins Braeunliche spielten. Er setzte das schwarzrote,
dreieckige Huetchen aufs Ohr, nahm den langen Wanderstab kraeftiger in
die Hand, stellte sich vor mich hin und fragte:
"Bin ich nicht angekleidet stattlich wie Koenig Salomo und zierlich
wie der Sohn Isais? Was hast du nur an mir auszusetzen? Freilich trage
ich keinen falschen Bart wie du, keine Brille sitzt mir auf der Nase,
meine Haare stehen nicht in die Hoehe _a la_ Wahnsinn. Ich habe
meinen Leib in keinen wattierten Rock gepresst, und um meine Beine
schlottern keine ellenweiten Beinkleider, wozu freilich Herr Bocksfuss
Ursache haben mag--"
"Solche Anzueglichkeiten gehoeren nicht hierher," antwortete ich dem
alten Juden. "Wisse, man muss heutzutage nach der Mode gekleidet sein,
wenn man sein Glueck machen will, und selbst der Teufel macht davon
keine Ausnahme. Aber hoere meinen Vorschlag. Ich versehe dich mit
einem anstaendigen Anzug, und du stellst dafuer meinen Hofmeister vor.
Auf diese Art koennen wir leicht Zutritt in Haeusern bekommen, und wie
wollte ich dir's vergelten, wenn uns dein Dichter in einen
aesthetischen Tee einfuehrte!"
"Aesthetischer Tee, was ist denn das? In China habe ich manches Mass
Tee geschluckt, Blumentee, Kaisertee, Mandarinentee, sogar
Kamillentee, aber aesthetischer Tee war nie dabei."
"_O sancta simplicitas!_ Jude, wie weit bist du zurueck in der
Kultur! Weisst du denn nicht, dass dies Gesellschaften sind, wo man
ueber Teeblaetter und einige schoene Ideen genugsam warmes Wasser
giesst und den Leuten damit aufwartet? Zucker und Rum tut jeder nach
Belieben dazu, und man amuesiert sich dort trefflich."
"Habe ich je so etwas gehoert, so will ich Hans heissen," versicherte
der Jude, "und was kostet es, wenn man's sehen darf ?"
"Kosten? Nichts kostet es, als dass man der Frau vom Haus die Hand
kuesst, und, wenn ihre Toechter singen oder mimische Vorstellungen
geben, hier und da ein 'wundervoll' oder 'goettlich' schluepfen
laesst."
"Das ist ein wunderliches Volk geworden in den letzten achtzig Jahren.
Zu Friedrichs des Grossen Zeiten wusste man noch nichts von diesen
Dingen. Doch des Spasses wegen kann man hingehen. Denn ich verspuere
in dieser Sandwueste gewaltige Langeweile."
Der Besuch war also auf den naechsten Tag festgesetzt. Wir besprachen
uns noch ueber die Rolle, die ich als Eleve von zwei- bis
dreiundzwanzig Jahren, er als Hofmeister zu spielen haette, und
schieden.
Ich versprach mir treffliche Unterhaltung von dem morgenden Tage. Der
ewige Jude hatte so alte, unbehilfliche Manieren, wusste sich so gar
nicht in die heutige Welt zu schicken, dass man ihn im Gewand eines
Hofmeisters zum wenigsten fuer einen ausgemachten Pedanten halten
musste. Ich nahm mir vor, mir selbst so viel Eleganz, als dem Teufel
nur immer moeglich ist, anzulegen und den Alten dadurch recht in
Verlegenheit zu bringen. Zerstreuung war ihm ueberdies hoechst noetig;
denn er hatte in der letzten Zeit auf seinen einsamen Wanderungen
einen solchen Ansatz von Froemmelei bekommen, dass er ein Pietist zu
werden drohte.
Der Dichter, zu welchem mich der ewige Jude fuehrte, ein Mann von
mittleren Jahren, nahm uns sehr artig auf. Der Jude hiess sich Doktor
Mucker und stellte in mir seinen Eleven, den jungen Baron von
Stobelberg, vor. Ich richtete meine aeussere Aufmerksamkeit halb auf
die schoenen Kupferstiche an der Wand, auf die Titel der vielen
Buecher, die umherstanden, um desto ungeteilter mein Ohr und, wenn es
unbemerkt moeglich war, auch mein Auge an der Unterhaltung teilnehmen
zu lassen.
Der alte Mensch begann mit einem Lob ueber die Novelle vom ewigen
Juden; der Dichter aber, viel zu fein und gebildet, als dass er seinen
Gast haette auf diesem Lobe stehen lassen, wandte das Gespraech auf
die Sage vom ewigen Juden ueberhaupt und dass sie ihm auf jene Weise
aufgegangen sei. Der Ewige schnitt, zur Verwunderung des Dichters,
grimmige Gesichter, als dieser unter anderem behauptete, es liege in
der Sage vom ewigen Juden eine tiefe Moral; denn der Verworfenste
unter den Menschen sei offenbar immer der, welcher seinen Schmerz
ueber getaeuschte Hoffnung gerade an dem auslasse, der diese Hoffnung
erregt habe. Besonders verworfen erscheine er, wenn zugleich der,
welcher die Hoffnung erregte, noch ungluecklicher erscheine als der,
welcher sich taeuschte.
Es fehlte wenig, so haette der Herr Doktor Mucker sein Inkognito
abgelegt und waere dem wirklich genialen Dichter als ewiger Jude zu
Leibe gegangen. Noch verwirrter aber wurde mein alter Hofmeister, als
jener das Gespraech auf die neuere Literatur brachte. Hier ging ihm
die Stimme voellig aus, und er sah die naechste beste Gelegenheit ab,
sich zu empfehlen.
Der brave Mann lud uns ein, ihn oft zu besuchen, und kaum hatte er
gehoert, wir seien voellig fremd in Berlin und wissen noch nicht, wie
wir den Abend zubringen sollen, so bat er uns, ihn in ein Haus zu
begleiten, wo alle Montage ausgesuchte Gesellschaft von Freunden der
schoenen Literatur bei Tee versammelt sei. Wir sagten dankbar zu und
schieden.
* * * * *
ZWOELFTES KAPITEL.
Satan besucht mit dem ewigen Juden einen aesthetischen Tee.
Ahasverus war den ganzen Tag ueber verstimmt. Gerade das, dass er in
seinem Innern dem Dichter recht geben musste, genierte ihn so sehr. Er
brummte einmal ueber das andere ueber die "naseweise Jugend" (obgleich
der Dichter jener Novelle schon bei Jahren war) und den Verfall der
Zeiten und Sitten. Trotz dem Respekt, den ich gegen ihn als meinen
Hofmeister haette haben sollen, sagte ich ihm tuechtig die Meinung und
brachte den alten Baeren dadurch wenigstens so weit, dass er hoeflich
gegen den Mann sein wollte, der so artig war, uns in den aesthetischen
Tee zu fuehren.
Die siebente Stunde schlug. In einem modischen Frack, wohl
parfuemiert, in die feinste, zierlich gefaeltelte Leinwand gekleidet,
die Beinkleider von Paris, die durchbrochenen Seidenstruempfe von
Lyon, die Schuhe von Strassburg, die Lorgnette so fein und gefaellig
gearbeitet, wie sie nur immer aus der Fabrik der Herren Lood in
Werenthead hervorgeht, so stellte ich mich den erstaunten Blicken des
Juden dar; dieser war mit seiner modischen Toilette noch nicht halb
fertig und hatte alles hoechst sonderbar angezogen, wie er z.B. die
elegante, hohe Krawatte, ein Berliner Meisterwerk, als Gurt um den
Leib gebunden hatte, und fest darauf bestand, dies sei die neueste
Tracht aus M o r e a.
Nachdem ich ihn mit vieler Muehe geputzt hatte, brachen wir auf. Im
Wagen, den ich, um brillanter aufzutreten, fuer diesen Abend gemietet
hatte, wiederholte ich alle Lehren ueber den gesellschaftlichen
Anstand.
"Du darfst," sagte ich ihm, "in einem aesthetischen Tee eher zerstreut
und tiefdenkend als vorlaut erscheinen. Du darfst nichts ganz
unbedingt loben, sondern sieh' immer so aus, als habest du sonst noch
etwas _in petto_, das viel zu weise fuer ein sterbliches Ohr
waere. Das Beifallaecheln hochweiser Befriedigung ist schwer und kann
erst nach langer Uebung vor dem Spiegel voellig erlernt werden. Man
hat aber Surrogate dafuer, mit welchen man etwas sehr loben und bitter
tadeln kann, ohne es entfernt gelesen zu haben. Du hoerst z.B. von
einem Roman reden, der jetzt sehr viel Aufsehen machen soll. Man setzt
als ganz natuerlich voraus, dass du ihn schon gelesen haben muessest,
und fragt dich um dein Urteil. Willst du dich nun laecherlich machen
und antworten, ich habe ihn nicht gelesen? Nein! Du antwortest frisch
drauf zu: 'Er gefaellt mir im ganzen nicht uebel, obgleich er meinen
Forderungen an Romane noch nicht entspricht. Er hat manches Tiefe und
Originelle, die Entwicklung ist artig erfunden, doch scheint mir hier
und da in der Form etwas gefehlt und einige der Charaktere verzeichnet
zu sein.'
"Sprichst du so, und hast du Mund und Stirne in kritische Falten
gelegt, so wird dir niemand tiefes und gewandtes Urteil absprechen."
"Dein Gewaesch behalte der Teufel," entgegnete der Alte muerrisch.
"Meinst du, ich werde wegen dieser Menschlein, oder gar um dir Spass
zu machen, aesthetische Gesichter schneiden? Da betruegst du dich
sehr, Satan. Tee will ich meinetwegen saufen, soviel du willst, aber--"
"Da sieht man es wieder," wandte ich ein, "wer wird denn in einer
honetten Gesellschaft s a u f e n? Wieviel fehlt dir noch, um
heutzutage als gebildet zu erscheinen! Nippen, schluerfen, hoechstens
trinken--aber da haelt schon der Wagen bei dem Dichter, nimm dich
zusammen, dass wir nicht Spott erleben, Ahasvere!"
Der Dichter setzte sich zu uns, und der Wagen rollte weiter; ich sah
es dem Alten wohl an, dass ihm, je naeher wir dem Ziele unserer Fahrt
kamen, desto baenger zu Mute war. Obgleich er schon seit achtzehn
Jahrhunderten ueber die Erde wandelte, so konnte er sich doch so wenig
in die Menschen und ihre Verhaeltnisse finden, dass er alle
Augenblicke anstiess. So fragte er z. B. den Dichter unterwegs, ob die
Versammlung, in welche wir fahren, aus l a u t e r Christen bestehe,
zu welcher Frage jener natuerlich grosse Augen machte und nicht recht
wissen mochte, wie sie hierher komme.
Mit wenigen, aber treffenden Zuegen entwarf uns der Dichter den
Zirkel, der uns aufnehmen sollte. Die milde und sinnige Froemmigkeit,
die in dem zarten Charakter der gnaedigen Frau vorwalten sollte; der
feierliche Ernst, die stille Groesse des aeltern Fraeuleins, die,
wenngleich Protestantin, doch ganz das Air jener wehmuetig heiligen
Klosterfrauen habe, die, nachdem sie mit gebrochenem Herzen der Welt
ade gesagt, jetzt ihr ganzes Leben hindurch an einem grossartigen,
interessanten Schmerz zehren; [Fussnote: Ganz in der Eile nimmt sich
der Herausgeber die Freiheit, den Aufriss der Boudoirs dieser
protestantischen Nonne, wie er sich ihn denkt, hier beizufuegen. Im
Fenster stehen Blumen, in der Ecke ein Betpult mit einem gusseisernen
Kruzifix. Eine Gitarre ist notwendiges Requisit, wenn auch die
Eigentuemerin hoechstens "_O Sanctissima_" darauf spielen kann.
Ein Heiligenbild ueber dem Sofa, ein mit Flor verhaengtes Bild des V e
r s t o r b e n e n oder U n g e t r e u e n, von etzlichem, sinnigem
Efeu umrankt. Sie selbst in weissem oder aschgrauem Kostuem, an der
Wand ein Spiegel.] das juengere Fraeulein, frisch, rund, bluehend,
heiter, naiv, sei verliebt in einen Gardeleutnant, der aber, weil er
den Eltern nicht sinnig genug sei, nicht zu dem aesthetischen Tee
komme. Sie habe die schoensten Stellen in Goethe, Schiller, Tieck
usw., welche ihr die Mutter zuvor angestrichen, auswendig gelernt und
gebe sie hie und da mit allerliebster Praezision preis. Sie singt, was
nicht anders zu erwarten ist, auf Verlangen italienische Arietten mit
kuenstlichen Rouladen. Ihre Hauptforce besteht aber im Walzerspielen.
Die uebrige Gesellschaft, einige schoene Geister, einige Kritiker,
sentimentale und naive, junge und aeltere Damen, freie und andere
Fraeulein [Fussnote: Satan scheint hier zwischen Freifraeulein und
anderen Fraeulein zu unterscheiden. Unter jenen versteht er die von
gutem Adel, unter letzteren die, welche man sonst Jungfer oder Mamsell
heisst. Ich finde uebrigens den Unterschied auf diese Art zu
bezeichnen, sehr unpassend. Denn man wird mir zugeben, dass die
buergerlichen Fraeulein oft ebenso frei in ihren Sitten und Betragen
sind, als die echten.] werden wir selber naeher kennen lernen.
Der Wagen hielt, der Bediente riss den Schlag auf und half meinem
bangen Mentor heraus. Schweigend zogen wir die erleuchtete Treppe
hinan. Ein lieblicher Ambraduft wallte uns aus dem Vorzimmer entgegen.
Geraeusch vieler Stimmen und das Gerassel der Teeloeffel toente aus
der halbgeoeffneten Tuere des Salons; auch diese flog auf, und
umstrahlt von dem Sonnenglanz der schwebenden Luesters, sass im Kreise
die Gesellschaft.
Der Dichter fuehrte uns vor den Sitz der gnaedigen Frau und stellte
den Doktor Mucker und seinen Eleven, den jungen Baron von Stobelberg,
vor. Huldreich neigte sich die Matrone und reichte uns die schoene,
zarte Hand, indem sie uns freundlich willkommen hiess. Mit jener
zierlichen Leichtigkeit, die ich einem Wiener Incroyable abgelauscht
hatte, fasste ich diese zarte Hand und hauchte ein leises Kuesschen
der Ehrfurcht darueber hin. Die artige Sitte des Fremdlings schien ihr
zu gefallen, und gern gewaehrte sie dem Mentor des wohlgezogenen
Zoeglings die naemliche Gunst. Aber, o Schrecken! Indem er sich
niederbueckte, gewahrte ich, dass sein grauer, stechender Judenbart
nicht glatt vom Kinn wegrasiert sei, sondern wie eine Kratzbuerste
hervorstehe. Die gnaedige Frau verzog das Gesicht grimmig bei dem
Stechkuss, aber der Anstand liess sie nicht mehr als ein leises
Gejammer hervorstoehnen. Wehmuetig betrachtete sie die schoene weisse
Hand, die rot aufzulaufen begann, und sie sah sich genoetigt, im
Nebenzimmer Hilfe zu suchen. Ich, sah, wie dort ihre Zofe aus der
silbernen Toilette Koelnisches Wasser nahm und die wunde Stelle damit
rieb. Sodann wurden schoene glacierte Handschuhe geholt, die Kaeppchen
davon abgeschnitten, so dass doch die zarten Fingerspitzen hervorsehen
konnten, und die gnaedige Hand damit bekleidet.
Indessen hatten sich die jungen Damen unsere Namen zugefluestert, die
Herren traten uns naeher und befragten uns ueber Gleichgueltiges,
worauf wir wieder Gleichgueltiges antworteten, bis die Seele des
Hauses wieder hereintrat. Die Edle wusste ihren Kummer um die
angelaufene Hand so gut zu verbergen, dass sie nur einem haeuslichen
Geschaeft nachgegangen zu sein schien und sogar der alte Suender
selbst nichts von dem Unheil ahnte, das er bewirkt hatte.
Die einzige Strafe war, dass sie ihm einen stechenden Blick fuer
seinen stechenden Handkuss zuwarf, und m i c h den ganzen Abend
hindurch auffallend vor ihm auszeichnete.
Die Leser werden gesehen haben, dass es ein ganz eleganter Tee war,
zu welchem uns der Dichter gefuehrt hatte. Die massive silberne
Teemaschine, an welcher die juengere Tochter Tee bereitete, die
prachtvollen Luesters und Spiegel, die brennenden Farben der Teppiche
und Tapeten, die kuenstlichsten Blumen in den zierlichsten Vasen,
endlich die Gesellschaft selbst, die in vollem Kostuem schwarz und
weiss gemischt war, liessen auf den Stand und guten Ton der Hausfrau
schliessen.
Der Tee wies sich aber auch als aesthetisch aus. Gnaedige Frau
bedauerte, dass wir nicht frueher gekommen seien. Der junge Dichter
Fruehauf habe einige Dutzend Stanzen aus einem Heldengedicht
vorgelesen, so innig, so schwebend, mit so viel Musik in den
Schlussreimen, dass man in langer Zeit nichts Erfreulicheres gehoert
habe, es stehe zu erwarten, dass es allgemein Furore in Deutschland
machen werde.
Wir beklagten den Verlust unendlich; der bescheidene lorbeerbekraenzte
junge Mann versicherte uns aber unter der Hand, er wolle uns morgen in
unsrem Hotel besuchen, und wir sollten nicht nur die paar Stanzen, die
er hier preisgegeben, sondern einige vollstaendige Gesaenge zu hoeren
bekommen.
Das Gespraech bekam jetzt aber eine andere Wendung. Eine aeltliche
Dame liess sich ihre Arbeitstasche reichen, deren geschmackvolle und
neue Stickerei die Augen der Damen auf sich zog. Sie nahm ein Buch
daraus hervor und sagte mit freundlichem Lispeln:
"_Voyez-la_ das neueste Produkt meiner genialen Freundin Johanna.
Sie hat es mir frisch von der Presse weg zugeschickt, und ich bin so
gluecklich, die erste zu sein, die es hier besitzt. Ich habe es nur
ein wenig durchblaettert, aber diese herrlichen Situationen, diese
Szenen, so ganz aus dem Leben gegriffen, die Wahrheit der Charaktere,
dieser glaenzende Stil--"
"Sie machen mich neugierig, Frau von Wollau," unterbrach sie die Dame
des Hauses, "darf ich bitten--? Ah, G a b r i e l e von Johanna von
Schopenhauer. Mit dieser sind Sie liiert, meine Liebe? Da wuensche ich
Glueck."
"Wir lernten uns in Karlsbad kennen," antwortete Frau von Wollau,
"unsere Gemueter erkannten sich in gleichem Streben nach veredeltem
Ziel der Menschheit [Fussnote: Frau von Wollau will wahrscheinlich
sagen: "nach dem Ziele der Veredlung".--Der Herausgeber.], sie
zogen sich an, wir liebten uns. Und da hat sie mir jetzt ihre Gabriele
geschickt."
"Das ist ja eine ganz interessante Bekanntschaft," sagte Fraeulein N a
t a l i e, die aeltere Tochter des Hauses. "Ach! wer doch auch so
gluecklich waere! Es geht doch nichts ueber eine geniale Dame. Aber
sagen Sie, wo haben Sie das wunderschoene Stickmuster her, ich kann
Ihre Tasche nicht genug bewundern."
"Schoen--wunderschoen--und die Farben! Und die Girlanden!--Und die
elegante Form!" hallte es von den Lippen der schoenen Teetrinkerinnen,
und die arme Gabriele waere vielleicht ueber dem Kunstwerk ganz
vergessen worden, wenn nicht uns er Dichter sich das Buch zur Einsicht
erbeten haette. "Ich habe die interessantesten Szenen bezeichnet,"
rief die Wollau "Wer von den Herren ist so gefaellig, uns, wenn es
anders der Gesellschaft angenehm ist, daraus vorzulesen?"
"Herrlich--schoen--ein vortrefflicher Einfall--" ertoente es wieder,
und unser Fuehrer, der in diesem Augenblicke das Buch in der Hand
hatte, wurde durch Akklamation zum Vorleser erwaehlt. Man goss die
Tassen wieder voll und reichte die zierlichen Broetchen umher, um doch
auch dem Koerper Nahrung zu geben, waehrend der Geist mit einem neuen
Roman gespeist wurde, und als alle versehen waren, gab die Hausfrau
das Zeichen, und die Vorlesung begann.
Beinahe eine Stunde lang las der Dichter mit wohltoenender Stimme aus
dem Buche vor. Ich weiss wenig mehr davon, als dass es, wenn ich nicht
irre, die Beschreibung von Tableaus enthielt, die von einigen Damen
der grossen Welt aufgefuehrt wurden. Mein Ohr war nur halb oder gar
nicht bei der Vorlesung; denn ich belauschte die Herzensergiessungen
zweier Fraeulein, die, scheinbar aufmerksam auf den Vorleser, einander
allerlei Wichtiges in die Ohren fluesterten. Zum Glueck sass ich weit
genug von ihnen, um nicht in den Verdacht des Lauschens zu geraten,
und doch war die Entfernung gerade so gross, dass ein Paar gute Ohren
alles hoeren konnten. Die eine der beiden war die juengere Tochter des
Hauses, die, wie ich hoerte, an einen Gardeleutnant ihr Herz verloren
hatte.
"Und denke dir," fluesterte sie ihrer Nachbarin zu, "heute in aller
Fruehe ist er mit seiner Schwadron vorbeigeritten, und unter meinem
Fenster haben die Trompeter den Galoppwalzer von letzthin anfangen
muessen."
"Du Glueckliche!" antwortete das andere Fraeulein, "und hat Mama
nichts gemerkt?"
"So wenig als letzthin, wo er mich im Kotillon fuenfmal aufzog. Was
ich damals in Verlegenheit kam, kannst du gar nicht glauben. Ich war
mit dem ...schen Attache engagiert, und du weisst, wie unertraeglich
mich dieser duerre Mensch verfolgt. Er hatte schon wieder von den
italienischen Gegenden Sueddeutschlands angefangen und mir nicht
undeutlich zu verstehen gegeben, dass sie noch schoener waeren, wenn
ich mit ihm dorthin zoege; da erloeste mich der liebe Fladorp aus
dieser Pein. Doch kaum hatte er mich wieder zurueckgebracht, als der
Unertraegliche sein altes Lied von neuem anstimmte; aber Eduard holte
mich noch viermal aus seinen glaenzendsten Phrasen heraus, so dass
jener vor Wut ganz stumm war, als ich das letztemal zurueckkam. Er
aeusserte gegen Mama seine Unzufriedenheit; sie schien ihn aber nicht
zu verstehen."
"Ach, wie gluecklich du bist," entgegnete wehmuetig die Nachbarin,
"aber ich! Weisst du schon, dass mein Dagobert nach Halle versetzt
ist? Wie wird es mir ergehen!"
"Ich weiss es und bedaure dich von Herzen, aber sage mir doch, wie
dies so schnell kam?"
"Ach!" antwortete das Fraeulein und zerdrueckte heimlich eine Traene
im Auge,--"ach, du hast keine Vorstellung von den Kabalen, die es im
Leben gibt. Du weisst, wie eifrig Dagobert immer fuer das Wohl des
Vaterlandes war. Da hatte er nun einen neuen Zapfenstreich erfunden,
er hat ihn mir auf der Fensterscheibe vorgespielt, er ist allerliebst.
Seinem Obersten gefiel er auch recht wohl, aber dieser wollte haben,
er solle ihm die Ehre der Erfindung lassen. Natuerlich konnte Dagobert
dies nicht tun, und darueber aufgebracht, ruhte der Oberst nicht eher,
bis der Arme nach Halle versetzt worden ist. Ach, du kannst dir gar
nicht denken, wie wehmuetig mir ums Herz ist, wenn der Zapfenstreich
an meinem Fenster vorbeikommt; sie spielen ihn alle Abend nach der
neuen Erfindung, und der, welcher ihn machte, kann ihn nicht hoeren!"
"Ich bedaure dich recht. Aber weisst du auch schon etwas ganz Neues?
Dass sie bei der Garde andere Uniformen bekommen?"
"Ist's moeglich? O sage, wie denn? Woher weisst du es?"
"Hoere, aber im e n g s t e n Vertrauen, denn es ist noch tiefes,
tiefes Geheimnis. Eduard hat es von seinem Obersten und gestand es mir
neulich, aber unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit. Sieh,
die Knoepfe werden auf der Brust weiter auseinander gesetzt und laufen
weiter unten enger zu; auf diese Art wird die Taille noch viel
schlanker; dann sollen sie auch goldene Achselschnuere bekommen, das
weiss aber der Oberst und ich glaube selbst der General noch nicht
ganz gewiss. Auch an den Beinkleidern geschehen Veraenderungen--Eduard
muss aussehen wie ein Engel--siehe bisher...."
Sie fluesterten jetzt leiser, so dass ich ueber den Schnitt der
Gardebeinkleider nicht recht ins klare kommen konnte. Nur so viel sah
ich, dass schoene Augen bei platonischen Empfindungen ein recht
schoenes Feuer haben, dass sie aber viel reizender leuchten, bei
weitem glaenzendere Strahlen werfen, wenn sich s i n n l i c h e L i
e b e in ihnen spiegelt.
* * * * *
DREIZEHNTES KAPITEL.
Angststunden des ewigen Juden.
Der Vorleser war bis an einen Abschnitt gekommen und legte das Buch
nieder. Allgemeiner Applaus erfolgte, und die gewoehnlichen
Ausrufungen, die schon dem Stickmuster gegolten hatten, wurden auch
der Gabriele zuteil. Ich konnte die Geistesgegenwart und die schnelle
Fassungskraft der beiden Fraeulein nicht genug bewundern; obgleich sie
nicht den kleinsten Teil des Gelesenen gehoert haben konnten, so waren
sie doch schon so gut geschult, dass sie voll Bewunderung schienen.
Die eine lief sogar hin zu Frau von Wollau, fasste ihre Hand und
drueckte sie an das Herz, indem sie ihr innig dankte fuer den Genuss,
den sie allen bereitet habe.
Diese Dame aber sass da, voll Glanz und Glorie, wie wenn sie die
Gabriele selbst zur Welt gebracht haette. Sie dankte nach, allen
Seiten hin fuer das Lob, das ihrer Freundin zuteil geworden, und gab
nicht undeutlich zu verstehen, dass sie selbst vielleicht einigen
Einfluss auf das neue Buch gehabt habe; denn sie finde hin und wieder
leise Anklaenge an ihre eigenen Ideen ueber inneres Leben und ueber
die Stellung der Frauen in der Gesellschaft, die sie in traulichen
Stunden ihrer Freundin aufgeschlossen.
Man war natuerlich so artig, ihr deswegen einige Komplimente zu
machen, obgleich man allgemein ueberzeugt war, dass die geniale
Freundin nichts aus dem innern Wollauschen Leben g e s p i c k t haben
werde.
Der ewige Jude hatte indes bei diesen Vorgaengen eine ganz sonderbare
Figur gespielt. Verwunderungsvoll schaute er in diese Welt hinein, als
traue er seinen Augen und Ohren nicht. Doch war das Bemuehen, nach
meiner Vorschrift aesthetisch und kritisch auszusehen, nicht zu
verkennen. Aber weil ihm die Uebung darin abging, so schnitt er so
greuliche Grimassen, dass er einigemal waehrend des Vorlesens die
Aufmerksamkeit des ganzen Zirkels auf sich zog und die Dame des Hauses
mich teilnehmend fragte, ob mein Hofmeister nicht wohl sei.
Ich entschuldigte ihn mit Zahnschmerzen, die ihn zuweilen befielen,
und glaubte alles wieder gut gemacht zu haben. Als aber Frau von
Wollau, die ihm gegenueber sass, ihren Einfluss auf die Dichterin
mitteilte, musste das prezioese, geschraubte Wesen derselben dem alten
Menschen so komisch vorkommen, dass er laut auflachte.
Wer jemals das Glueck gehabt, einem eleganten Tee in hoechst feiner
Gesellschaft beizuwohnen, der kann sich leicht denken, wie betreten
alle waren, als dieser rohe Ausbruch des Hohnes erscholl. Eine
unangenehme, totenstille Pause erfolgte, in welcher man bald den
Doktor Mucker, bald die beleidigte Dame ansah. Die Frau des Hauses,
eingedenk des stechenden Kusses, wollte schon den unartigen Fremden,
der den Anstand ihres Hauses so groeblich verletzte, ohne Rueckhalt
zurechtweisen, als dieser mit mehr Gewandtheit und List, als ich ihm
zugetraut haette, sich aus der Affaere zu ziehen wusste.
"Ich hoffe, gnaedige Frau," sagte er, "Sie werden mein allerdings
unzeitiges Lachen nicht missverstehen und mir erlauben, mich zu
rechtfertigen. Es ist Ihnen allen gewiss auch schon begegnet, dass
eine Ideenassoziation Sie voellig ausser Kontenance brachte. Ist doch
schon manchem, mitten unter den heiligsten Dingen, ein laecherlicher
Gedanke aufgestossen, der ihn im Mund kitzelte, und je mehr er bemueht
war, ihn zu verhalten und zurueckdraengen, desto unaufhaltsamer brach
er auf einmal hervor. So geschah es mir in diesem Augenblicke. Sie
wuerden mich unendlich verbinden, gnaedige Frau, wenn Sie mir
erlaubten, durch offenherzige Erzaehlung mich bei Frau von Wollau zu
entschuldigen."
Gnaedige Frau, hoechlich erfreut, dass der Anstand doch nicht verletzt
sei, gewaehrte ihm freundlich seine Bitte, und der ewige Jude begann:
"Frau von Wollau hat uns ihr interessantes Verhaeltnis zu einer
beruehmten Dichterin mitgeteilt; sie hat uns erzaehlt, wie sie in
manchen Stunden ueber ihre schriftstellerischen Arbeiten sich mit ihr
besprochen, und dies erinnerte mich lebhaft an eine Anekdote aus
meinem eigenen Leben.
"Auf einer Reise durch Sueddeutschland verlebte ich einige Zeit in S.
Meine Abendspaziergaenge richteten sich meistens nach dem koeniglichen
Garten, der jedem Stande zu allen Tageszeiten offen stand. Die schoene
Welt liess sich dort zu Fuss und zu Wagen jeden Abend sehen. Ich
waehlte die einsameren Partien des Gartens, wo ich, von dichten
Gebueschen gegen die Sonne und stoerende Besuche verschlossen, auf
weichen Moosbaenken mir und meinen Gedanken lebte.
"Eines Abends, als ich schon laengere Zeit auf meinem
Lieblingsplaetzchen geruht hatte, kamen zwei gutgekleidete aeltliche
Frauen und setzten sich auf eine Bank, die nur durch eine schmale,
aber dichtbelaubte Hecke von der meinigen getrennt war. Ich hielt
nicht fuer noetig, ihnen meine Naehe, die sie nicht zu ahnen schienen,
zu erkennen zu geben. Neugierde war es uebrigens nicht, was mich
abhielt; denn ich kannte keine Seele in jener Stadt; also konnten mir
ihre Reden hoechst gleichgueltig sein. Aber stellen Sie sich mein
Erstaunen vor, Verehrteste, als ich folgendes Gespraech vernahm:
"'Nun? Und darf man Ihnen Glueck wuenschen, Liebe? Haben Sie endlich
diese hartnaeckige Elise aus der Welt geschafft?'
"'Ja,' antwortete die andere Dame, 'heute frueh nach dem Kaffee habe
ich sie umgebracht.'
"Schrecken durchrieselte meine Glieder, als ich so deutlich und
gleichgueltig von einem Mord sprechen hoerte; so leise als moeglich
naeherte ich mich vollends der Hecke, die mich von ihnen trennte,
schaerfte mein Ohr wie ein Wachtelhund, dass mir ja nichts entgehen
sollte, und hoerte weiter:
"'Und wie haben Sie ihr den Tod beigebracht? Wie gewoehnlich, durch
Gift? Oder haben Sie die Unglueckliche, wie Othello seine Desdemona,
mit dem Deckbette erstickt?'
"'Keines von beiden,' entgegnete jene, 'aber recht hart ward mir
dieser Mord; denken Sie sich, drei Tage lang hatte ich sie schon
zwischen Leben und Sterben, und immer wusste ich nicht, was ich mit
ihr anfangen sollte. Da fiel mir endlich ein gewagtes Mittel ein, ich
liess sie, wie durch Zufall, von einem Steg ohne Gelaender in den
tiefen Strom hinabgleiten, die Wellen schlugen ueber ihr zusammen. Man
hat von Elisen nichts mehr gesehen.'
"'Das haben Sie gut gemacht, und die wievielte war diese, die sie auf
die eine oder andere Art umgebracht?'
"'Nun, das wird bald abgezaehlt sein, Pauline Dupuis, Marie usw. Aber die
erstere trug mir am meisten Geld ein. Es waren dies noch die guten Zeiten
von 1802, wo noch wenige mit mir konkurrierten.'
"Die Haare standen mir zu Berg. Also fuenf unschuldige Geschoepfe
hatte diese Frau schon aus der Welt geschafft. War es nicht ein gutes
Werk an der menschlichen Gesellschaft, wenn ich einen solchen Greuel
aufdeckte und die Moerderin zur Rechenschaft zog?
"Die Damen waren nach einigen gleichgueltigen Gespraechen aufgestanden
und hatten sich der Stadt zugewendet. Leise stand ich auf und schlich
mich ihnen nach, wie ein Schatten ihren Fersen folgend. Sie gingen
durch die Promenade, ich folgte; sie kehrten um und gingen durchs Tor,
ich folgte; sie schienen endlich meine Beobachtungen zu bemerken; denn
die eine sah sich einigemal nach mir um; ihr boeses Gewissen schien
mir erwacht, sie mochte ahnen, dass ich den Mord wisse, sie will mich
durch die verschiedene Richtung der Strassen, die sie einschlaegt,
taeuschen; aber ich--folge. Endlich stehen sie an einem Hause still.
Sie ziehen die Glocke, man schliesst auf, sie treten ein. Kaum sind
sie in der Tuere, so gehe ich schnell heran, merke mir die Nummer des
Hauses und eile, getrieben von jenem Eifer, den die Entdeckung eines
so schauerlichen Geheimnisses in jedem aufregen muss, auf die
Direktion der Polizei.
"Ich bitte den Direktor um geheimes Gehoer. Ich lege ihm die ganze
Sache, alles, was ich gehoert hatte, auseinander, weiss aber leider
von den Gemordeten keine mit ihrem wahren Namen anzugeben, als eine
gewisse P a u l i n e D u p u i s, die im Jahre 1802 unter der
moerderischen Hand jener Frau starb. Doch dies war dem unter solchen
Faellen ergrauten Polizeimann genug. Er dankt mir fuer meinen Eifer,
schickt sofort Patrouillen in die Strasse, die ich ihm bezeichnete,
und fordert mich auf, ihn, wenn die Nacht vollends hereingebrochen
sein werde, in jenes Haus zu begleiten. Die Nacht waehle er lieber
dazu, da er bei solchen Auftritten den Zudrang der Menschen und das
Aufsehen womoeglich vermeide.
"Die Nacht brach an, wir gingen. Die Polizeisoldaten, die das Haus
umstellt hatten, versicherten, dass noch kein Mensch dasselbe
verlassen habe. Der Vogel war also gefangen. Wir liessen uns das Haus
oeffnen und fingen im ersten Stock unsere Untersuchung an. Gleich vor
der Tuere des ersten Zimmers hoerte ich die Stimmen der beiden Frauen.
Ohne Umstaende oeffne ich und deute dem Polizeidirektor die kleinere
aeltliche Dame als die Verbrecherin an.
"Verwundert stand diese auf und fragte nach unserem Begehr. In ihrem
Auge, in ihrem ganzen Wesen hatte diese Dame etwas, das mir
imponierte. Ich verlor auf einen Augenblick die Fassung und deutete
nur auf den Direktor, um sie wegen ihrer Frage an jenen zu weisen.
Doch dieser liess sich nicht so leicht verblueffen. Mit jener ernsten
Amtsmiene eines Kriminalrichters fragte er sie ueber ihren heutigen
Spaziergang aus. Sie gestand ihn zu, wie auch die Bank, wo sie
gesessen. Ihre Aussagen stimmten ganz zu den meinigen, der Mann sah
sie schon als ueberwiesen an. Die Frau fing an, aengstlich zu werden;
sie fragte, was man denn von ihr wolle, warum man ihr Haus, ihr Zimmer
mit Bewaffneten besetze, warum man sie mit solchen Fragen bestuerme?
"Der Mann der Polizei sah in diesem aengstlichen Fragen nur den
Ausbruch eines schuldbeladenen Gewissens. Er schien es fuer das beste
zu halten, durch eine verfaengliche Frage ihr vollends das Verbrechen
zu entlocken: 'Madame, was haben Sie Anno 1802 mit Pauline Dupuis
angefangen? Leugnen Sie nicht laenger, wir wissen alles; sie starb
durch Ihre Hand, wie heute frueh die unglueckliche Elise!'
"'Ja, mein Herr! Ich habe die eine wie die andere sterben lassen,'
antwortete die Frau mit einer Seelenruhe, die sogar in ein boshaftes
Laecheln ueberzugehen schien.
"'Und diesen Mord gestehen Sie mit so viel Gleichmut, als haetten Sie
zwei Tauben abgetan?' fragte der erstaunte Polizeidirektor, dem in der
Praxis eine solche Moerderin noch nicht vorgekommen sein mochte.
'Wissen Sie denn, dass Sie verloren sind, dass es Ihnen den Kopf
kosten kann?'
"'Nicht doch!' entgegnete die Dame. 'Die Geschichte ist ja
weltbekannt.'--'Weltbekannt?' rief jener. Bin ich nicht schon seit
zweiundvierzig Jahren Polizeidirektor? Meinen Sie, dergleichen koenne
mir entgehen?'
"'Und dennoch werde ich recht haben; erlauben Sie, dass ich Ihnen die
Belege herbeibringe?'
"'Nicht von der Stelle ohne gehoerige Bewachung! Wache! Zwei Mann auf
jeder Seite von Madame! Bei dem ersten Versuch zur Flucht--
zugestossen!'
"Vier Polizeidiener mit blanken Seitengewehren begleiteten die
Unglueckliche, die mir den Verstand verloren zu haben schien. Bald
jedoch erschien sie wieder, ein kleines Buch in der Hand.
"'Hier, meine Herren, werden Sie die Belege zu dem Mord finden,' sagte
sie, indem sie uns laechelnd das Buch ueberreichte.
"'Taschenbuch fuer 1802,' murmelte der Direktor, indem er das Buch
aufschlug und durchblaetterte. 'Was, Teufel, gedruckt und zu lesen
steht hier: P a u l i n e D u p u i s von--, mein Gott, Sie sind die
Witwe des Herrn von--, und, wenn ich nicht irre, selbst
Schriftstellerin?'
"'So ist es,' antwortete die Dame und brach in ein lustiges Lachen
aus, in welches auch der Direktor einstimmte, indem er, vor Lachen
sprachlos, auf mich deutete.
"'Und Elise--wie ist es mit diesem armen Kind?' fragte ich, den
Zusammenhang der Sache und die Froehlichkeit der Moerderin und des
Polizeimannes noch immer nicht verstehend.
"'Sie liegt ermordet auf meinem Schreibtisch,' sagte die Lachende,
'und soll morgen durch die Druckerei zum ewigen Leben eingehen.'--
"Was brauche ich noch da zuzusetzen? Meine Herren und Damen! Ich war
der Narr im Spiel, und jene Frau war die ruehmlichst bekannte,
interessante Th. v. H. Die Erzaehlung 'Pauline Dupuis' ist noch heute
zu lesen; ob die geniale Frau ihre Elise, die sie am Morgen jenes
Tages nach dem Kaffee vollendet hatte, herausgegeben, weiss ich nicht.
Ich musste aus S. entfliehen, um nicht zum Gespoette der Stadt zu
werden. Vorher aber schickte mir der Polizeidirektor noch eine grosse
Diaetenrechnung ueber Zeitversaeumnis, weil ich durch jene lustige
Mordgeschichte den Durstigen von seinem gewoehnlichen Abendbesuch in
einem Klub abgehalten hatte."--
Der ewige Jude hatte mit einer verbindlichen Wendung an Frau von
Wollau geendet. Allgemeiner Beifall ward ihm zuteil, und ein gnaediges
Laecheln der Hausfrau sagte ihm, wie gluecklich er sich gerechtfertigt
hatte. Und wie die finstern Blicke dieser Dame vorher die Maenner aus
seiner ungluecklichen Naehe entfernt hatten, ebenso schnell nahten sie
sich ihm wieder, als ihn die Gnadensonne wieder beschien. Man zog ihn
oefter ins Gespraech, man befragte ihn ueber seine Reisen, namentlich
ueber jene in Sueddeutschland. Denn wie Schottland und seine Bewohner
fuer London und Alt-England ueberhaupt, so ist Schwaben fuer die
Berliner, welche nie an den Rebenhuegeln des Neckars und an den
froehlich gruenenden Gestaden der oberen Donau eines jener sinnigen,
herrlichen Lieder aus dem Munde eines "luschtiga Bueebles" oder eines
ruestigen, hochaufgeschuerzten "Maedles" belauschten, ein Gegenstand
hoher Neugierde.
Welch sonderbare Meinungen ueber jenes Land, selbst in gebildeten
Zirkeln wie dieser elegante Tee, im Umlauf seien, hoerte ich diesen
Abend zu meinem grossen Erstaunen. In einem Zaubergarten von sanften
Huegeln, von klaren, blauen Stroemen, von bluehenden, duftenden
Obstwaeldern, von prangenden Weingaerten durchschnitten, wohne,
meinten sie, ein Voelkchen, das noch so ziemlich auf der ersten Stufe
der Kultur stehe; immense Gelehrte, die sich nicht auszudruecken
verstuenden, phantasiereiche Schriftsteller, die kein Wort gutes
Deutsch spraechen. Ihre Maedchen haben keine Bildung, ihre Frauen
keinen Anstand. Ihre Maenner werden vor dem vierzigsten Jahre nicht
klug, und im ganzen Lande werden alle Tage viele Tausende jener
Torheiten begangen, die allgemein unter dem Namen "Schwabenstreiche"
bekannt seien.
Mir kam dieses Urteil laecherlich vor; ich war manches Jahr in
Schwaben gewesen und hatte mich unter den guten Leutchen ganz wohl
befunden; haette ich nicht befuerchten muessen, aus der Rolle eines
Zoeglings zu fallen, ich haette sogleich darauf geantwortet, wie ich
es wusste; so aber ersparte mir mein Mentor die Muehe, welcher
ungluecklich genug die gute Meinung, die er auf einige Augenblicke
gewonnen hatte, nur zu schnell wieder verlieren sollte.
"Ob die Berliner," sagte er, "mehr innere Bildung, mehr Eleganz der
aeusseren Formen besitzen als die Schwaben, ob man hier im
Brandenburgischen mit mehr Feinheit ausgeruestet auf die Erde oder
vielmehr auf den Sand kommt als in Schwaben, wage ich nicht zu
untersuchen; aber so viel habe ich mit eigenen Augen gesehen, dass man
dort im Durchschnitt unter den Maedchen eine weit groessere Menge
huebscher, sogar schoener Gesichter findet als selbst in Sachsen,
welches doch wegen dieses Artikels beruehmt ist."
"_Quelle sottise!_" hoerte ich Frau von Wollau schnauben, "welche
abgeschmackte Behauptung dieser gemeine Mensch--"
Umsonst winkte ich dem Ewigen mit den Augen, umsonst gab ihm der
Dichter einen freundschaftlichen Rippenstoss, ihn zu erinnern, dass er
sich unter Damen befinde, die auch auf Schoenheit Anspruch machten;
ruhig, als ob er den erzuernten Schoenen das groesste Kompliment
gesagt haette, fuhr er fort: "Sie koennen gar nicht glauben, wie
reizend dieser verschrieene Dialekt von schoenen Lippen toent, wie
alles so naiv, so lieblich klingt; wie unendlich huebsch sind diese
bluehenden Gesichtchen, wenn man ihnen sagt, dass sie schoen seien,
dass man sie liebe; wie schelmisch schlagen sie die Augen nieder, wie
unschuldig erroeten sie, welcher Zauber liegt dann in ihrem Trotz,
wenn sie sich verschaemt wegwenden und fluestern: 'Ach ganget Se mer
weg, moinet Se denn, i glaub's?' Hier in Norddeutschland gibt es
meist nur Teegesichter, die einen Trost darin finden, aesthetisch oder
aetherisch auszusehen; sie muessen den Atem erst lange anhalten, wenn
sie es je der Muehe wert halten, ueber dergleichen zu erroeten."
O Jude, welchen Bock hattest du geschossen! Kaum hast du das
zornblitzende Auge einer Dame versoehnt, so begehest du den grossen
Fehler, vor zwoelf Damen die schoenen Gesichtchen zweier Laender zu
loben und nicht nur sie nicht mit aufzuzaehlen, sondern sogar ihren
aetherischen Teint, ihre interessante Mondscheinblaesse fuer
Teegesichter zu verschreien!
Die jungen Damen sahen erstaunt, als trauten sie ihren Ohren nicht,
die aelteren an; diese warfen schreckliche Blicke auf den Frevler und
auf die uebrigen Herren, die, ebenso erstaunt, noch keine Worte zu
einer Replik finden konnten. Die Teetassen, die goldenen Loeffelchen
klirrten laut in den vor Wut zitternden Haenden der Muetter, die seit
zehn Jahren mit vieler Muehe es dahin gebracht hatten, dass ihre
Toechter nobel und edel aussehen moechten--wozu heutzutage, ausser dem
Gefuehl der Wuerde, etwas Leidendes, beinahe Kraenkliches gehoert--
welche die immer wieder anschwellende Fuelle ihrer Toechter, die immer
wiederkehrende Roete der Wangen doch endlich zu besiegen gewusst
hatten.
Und jetzt sollte dieser fremde, abenteuerliche, gemeine Mensch sie und
ihre Freude, ihre Kunst zuschanden machen? Er sollte es wagen, die
Damen dieses deutschen Paris mit jenen schwerfaelligen Bewohnerinnen
des unkultivierten Schwabens auch nur in Parallele zu bringen und
ihnen den ersten Rang zu versagen? Und dies sollten sie dulden?
_Jamais!_ Gnaedige Frau nahm das Wort mit einem Blick, der ueber
das eiskalte Gesicht des stillen Zornes wie ein Nordschein ueber
Schneegefilde herabglaenzte: "Ich muss Sie nur herzlich bedauern, Herr
Doktor Mucker, dass Sie das schoene Schwaben und seine naiven
Bauerndirnen so treulos verlassen haben; und ich bitte Sie, Lieber,"
fuhr sie fort, indem sie sich zu dem Dichter, der uns eingefuehrt
hatte, wandte, "ich bitte Sie, muten Sie diesem Herrn da nicht mehr
zu, meine Zirkel zu besuchen. Jotte doch, er koennte bei unseren Damen
seine robusten Naturen und jene Naivetaet vermissen, die er sich so
ganz zu eigen gemacht hat."
Triumphierend richteten sich die Gebeugten auf, die Muetter spendeten
Blicke des Dankes, die Fraeulein kicherten hinter vorgehaltenen
Sachtuechern, die jungen Herren hatten auch wieder die Sprache
gefunden und machten sich lustig ueber meinen armen Hofmeister. Doch
der feine Takt der gnaedigen Frau liess diesem Ausbruch der
Nationalrache nur so lange Raum, bis sie den Doktor hinlaenglich
gestraft glaubte. Beleidigt durfte dieser Mann in ihrem Salon nie
werden, wenn er gleich durch seine ruecksichtslose Aeusserung ihren
Unwillen verdient hatte; sie beugte also schnell mit jener
Gewandtheit, die feingebildeten Frauen so eigentuemlich ist, allen
weiteren Bemerkungen vor, indem sie ihren Neffen aufforderte, sein
Versprechen zu halten und der Gesellschaft die laengst versprochene
Novelle preiszugeben.
Dieser junge Mann hatte schon waehrend des ganzen Abends meine
Aufmerksamkeit beschaeftigt. Er unterschied sich von den uebrigen
jungen Herren, die leer in den Tag hinein plauderten, sehr vorteilhaft
durch Ernst und wuerdige Haltung, durch gewaehlten Ausdruck und
kurzes, richtiges Urteil. Er war gross und schlank gebaut, maennlich
schoen, nur vielleicht fuer manche etwas zu mager. Sein Auge war
glaenzend und hatte jenen Ausdruck stillen Beobachtens, der einen
Menschenkenner oder wenigstens einen Mann verraet, der das Leben und
Treiben der grossen und kleinen Welt in vielerlei Formen gesehen und
darueber gedacht hatte.
Er hatte, was mich sehr guenstig fuer ihn stimmte, an dem Gespraech
des ewigen Juden und an seiner Persiflage mit keinem Wort, ich moechte
sagen, mit keiner Miene teilgenommen. Zum erstenmal an diesem ganzen
Abend entlockte ihm die Frage seiner Tante ein Laecheln, das sein
Gesicht, besonders den Mund, noch viel angenehmer machte; wahrlich, in
diesen Mann haette ich mich, wenn ich eines der anwesenden Fraeulein
gewesen waere, unbedingt verlieben muessen; aber freilich, junge Damen
haben hierueber ganz andere Ansichten als der Teufel, und das einfache
schwarze Gewand des jungen Mannes konnte natuerlich die glaenzende
Gardeuniform und ihren kuehnen, die drallen Formen zeigenden Schnitt
nicht aufwiegen.
* * * * *
VIERZEHNTES KAPITEL.
DER FLUCH.
(Eine Novelle.)
"Ich habe mich vergebens abgemueht, gnaedige Tante," sprach der junge
Mann mit voller, wohltoenender Stimme, "eine artige Novelle oder eine
leichte, froehliche Erzaehlung fuer diesen Abend zu finden. Doch, um
nicht wortbruechig zu erscheinen, muss ich schon den Fehler
einigermassen gutzumachen suchen. Wenn Sie erlauben, will ich etwas
aus meinem eigenen Leben erzaehlen, das, wenn es nicht ganz den
romantischen Reiz und den anziehenden Gang einer Novelle, doch immer
den Wert der Wahrheit fuer sich hat."
Die Tante bemerkte ihm guetig, dass die einfache Wahrheit oft
groesseren Reiz habe, als die erfundene Spannung einer Novelle, ja sie
gestand ihm, dass sie etwas sehr Interessantes erwarte; denn er sehe
seit der Zurueckkunft von seinen Reisen so geheimnisvoll aus, dass man
auf seine Begebnisse recht gespannt sein duerfe.
Die aelteren Damen lorgnettierten ihn aufmerksam und gaben dieser
Bemerkung vollkommen Beifall; der junge Mann aber hub an zu erzaehlen:
"Als ich vor fuenf Jahren in diesem Saal von einer grossen
Gesellschaft, welche die Guete meiner Tante noch einmal um den
Scheidenden versammelt hatte, Abschied nahm, warnten mich einige
Damen--wenn ich nicht irre, war Frau von Wollau mit davon--vor den
schoenen Roemerinnen, vor ihren feurigen, die Herzen entzuendenden
Blicken. Ich nahm ihre Warnung dankbar an, noch kraeftigeren Schub
aber versprach ich mir von jenen holden blauen Augen, von jenen
freundlichen vaterlaendischen Gesichtchen, von all den lieblichen
Bildern, die ich, in feinem und treuem Herzen aufbewahrt, mit ueber
die Alpen nahm. Und sie schuetzten mich, diese Bilder, gegen jene
dunkeln Feuerblicke der Roemerinnen; wie sie aber vor sanften, blauen
Augen, welche ich dort sah, sich unverantwortlich zurueckzogen, wie
sie mein armes, unbewahrtes Herz ohne Bedeckung liessen, will ich als
bittere Anklage erzaehlen.
Der s----sche Gesandte am paepstlichen Hofe hatte mir in der Karwoche
eine Karte zu den Lamentationen in der Sixtinischen Kapelle geschickt;
mehr, um den alten Herrn, der mir schon manche Gefaelligkeit erwiesen
hatte, nicht zu beleidigen, als aus Neugierde, entschloss ich mich,
hinzugehen. Ich war nicht in der besten Laune, als es Abend wurde;
statt einer lustigen Partie, wozu mich deutsche Maler geladen, sollte
ich einen Klagegesang mitanhoeren, der mir schon an und fuer sich
hoechst laecherlich vorkam. Nie hatte ich mich naemlich von der
Heiligkeit solcher Ritualien ueberzeugen koennen; selbst in dem
ehrwuerdigen Koelner Dom, wo die hohen Gewoelbe und Bogen, das Dunkel
des gebrochenen Lichtes, die maechtigen, vollen Toene der Orgel
manchen anderen ernster stimmen moegen, konnte ich nur ueber die Macht
der Taeuschung staunen.
Meine Stimmung wurde nicht heiliger, als ich an das Portal der
Sixtinischen Kapelle kam. Die paepstliche Wache--alte, ausgediente,
schneiderhafte Gestalten hielten hier Wache mit so meisterlicher
Grandezza als nur die Cherubim an der Himmelstuer. Der Glanz der
Kerzen blendete mich, da ich eintrat, und stach wunderbar ab gegen den
dunkeln Chor, in den die Finsternis zurueckgeworfen schien. Nur der
Hochaltar war dort von dreizehn hohen Kerzen erleuchtet.
Ich hatte Musse genug, die Gesichter der Gesellschaft um mich her zu
mustern. Ich bemerkte nur sehr wenige Roemer, dagegen fast alles, was
Rom an Fremden beherbergte.
Einige franzoesische Marquis, beruechtigte Spieler, einige junge
Englaender von meiner Bekanntschaft standen ganz in meiner Naehe. Sie
zogen mich auf, dass auch ich mich habe verfuehren lassen, dem
Spektakel, wie sie es nannten, beizuwohnen; Lord Parter aber meinte,
es sei dies wohl der Schoenen zu Gefallen geschehen, die ich
mitgebracht habe. Er deutete dabei auf eine junge Dame, die neben mir
stand. Er fragte nach ihrem Namen und ihrer Strasse und schien sehr
unglaeubig, als ich ihm damit nicht dienen zu koennen behauptete.
Ich betrachtete meine Nachbarin naeher; es war eine schlanke, hohe
Gestalt, dem Anschein nach keine Roemerin; ein schwarzer Schleier
bedeckte das Gesicht und beinahe die ganze Gestalt und liess nur einen
Teil des Nackens sehen, so rein und weiss, wie ich ihn selten in
Italien, beinahe nie in Rom gesehen hatte.
Schon pries ich im Herzen meine Hoeflichkeit gegen den alten
Diplomaten, hoffend, eine interessante Bekanntschaft zu machen; wollte
eben--da begann der Klagegesang, und meine Schoene schien so eifrig
darauf zu hoeren, dass ich nicht mehr wagte, sie anzureden. Unmutig
lehnte ich mich an eine Saeule zurueck, Gott und die Welt, den Papst
und seine Lamentationen verwuenschend.
Unertraeglich war mir der monotone Gesang. Denken Sie sich, sechzig
der tiefsten Stimmen, die _unisono_, im tiefsten Grundton der
menschlichen Brust, Busspsalmen murmeln. Der erste Psalm war zu Ende,
eine Kerze auf dem Altar verloeschte. Getroestet, die Farce werde ein
Ende haben, wollte ich eben den jungen Lord anreden, als von neuem der
Gesang anhub.
Jener belehrte mich zu meinem grossen Jammer, dass noch alle zwoelf
uebrigen Kerzen verloeschen muessten, bis ich ans Ende denken koenne.
Die Kirche war geschlossen und bewacht, an ein Entfliehen war nicht zu
denken. Ich empfahl mich allen Goettern und gedachte einen gesunden
Schlaf zu tun. Aber wie war es moeglich? Wie Strahlen einer
Mittagssonne stroemten die tiefen Klaenge auf mich zu. Zwei bis drei
Kerzen verloeschten, meine Unruhe ward immer groesser.
Endlich aber, als die Toene noch immer fortwogten, drangen sie mir bis
ins innerste Mark. Das Erz meiner Brust schmolz vor den dichten
Strahlen, Wehmut ergriff mich, Gedanken aus den Tagen meiner Jugend
stiegen wie Schatten vor meiner Seele auf, unwillkuerliche Ruehrung
bemaechtigte sich meiner, und Traenen entstuerzten seit Jahren zum
erstenmal meinen Augen.
Beschaemt schaute ich mich um, ob doch keiner meine Traenen gesehen.
Aber die Spieler, wunderbarer Anblick, lagen zerknirscht auf ihren
Knien, der Lord und seine Freunde weinten bitterlich. Zwoelf Kerzen
waren verloescht. Noch e i n m a l erhoben sich die tiefen,
herzdurchbohrenden Toene, zogen klagend durch die Halle, immer
dumpfer, immer leiser verschwebend. Da verloeschte die letzte Kerze
und zugleich damit das Feuermeer der Kirche, und bange Schatten, tiefe
Finsternis drang aus dem Chor und lagerte sich ueber die Gemeine. Mir
war, als waere ich aus der Gemeinschaft der Seligen hinausgestossen in
eine fuerchterliche Nacht.
Da toenten aus des Chores hintersten Raeumen suesse, klagende Stimmen.
Was jenes tiefe, schauerliche Unisono unerweicht gelassen, zerschmolz
vor diesem hohen Dolce der Wehmut. Rings um mich das Schluchzen der
Weinenden, vom Chore herueber Toene, wie von gerichteten Engeln
gesungen, glaubte ich nicht anders, als in einer zernichteten Welt mit
unterzugehen und zu hoeren, der Glaube an Unsterblichkeit sei Wahn
gewesen.
Der Gesang war verklungen, Fackeln erhellten die Szene, die Menge
ergoss sich durch die Pforten, und auch ich gedachte mich zum Aufbruch
zu ruesten; da gewahrte ich erst, dass meine schoene Nachbarin noch
immer auf den Knien niedergesunken lag. Ich fasste mir ein Herz.
'Signora,' sprach ich, 'die Tore werden geschlossen, wir sind die
letzten in der Kapelle.'
Keine Antwort. Ich fasste ihre Rechte, die auf der Seite niederhing,
sie war kalt und ohne Leben. Sie lag in Ohnmacht.
Ich befand mich in sonderbarer Lage. Die Nacht war schon weit
vorgerueckt; nur noch einige Flambeaus zogen durch die Kirche, ich
musste alle Augenblicke befuerchten, vergessen zu werden. Ich besann
mich nicht lange, rief einen der Fackeltraeger herbei, um mit seiner
Hilfe die Dame aufzurichten.
Wie ward mir, als ich den Schleier aufschlug! Der duestere Schein der
halbverloeschten Fackel fiel auf ein Gesicht, wie ich es auch auf dem
herrlichsten Kartons von Raffael nie gesehen! Glaenzendbraune Locken
hatten sich aufgeloest und fielen herab bis in den verhuellten Busen
und umzogen das liebliche Oval ihres Angesichts, auf dem sich eine
durchsichtige Blaesse gelagert hatte. Die schoenen Bogen der Brauen
versprachen ein ernstes, vielleicht etwas schelmisches Auge, und den
halbgeoeffneten Mund, umkleidet mit den weissesten Perlen, konnte
Gram, konnte Schmerz so gezogen haben.
Als wir sie aufrichten wollten, schlug sie das herrliche, blaue Auge
auf, dessen eigner, schwaermerischer Glanz mich so ueberraschte, dass
ich einige Zeit mich zu sammeln noetig hatte. Sie richtete sich
ploetzlich auf und stand nun in ihrer ganzen Schoenheit mir
gegenueber. Welch zarte Formen bei so vielem Anstand, bei so
ungewoehnlicher Hoehe des Wuchses. Sie schaute verwundert in der
Kirche umher und liess dann ihre Blicke zu mir heruebergleiten.
'Und Sie hier, Otto?' sprach sie, nicht italienisch, nein, in reinem,
wohlklingendem Deutsch.
Wie war mir doch so wunderbar! Sie sprach so bekannt zu mir, ja sogar
meinen Namen hatte sie genannt; woher konnte sie ihn wissen?--Sie
schien verwundert ueber mein Schweigen.
'Nicht bei Laune, Freund? Und doch haben Sie mich so freundlich
unterstuetzt? Doch! Lassen Sie uns gehen, es wird spaet.'
Sie hatte recht. Die Fackel drohte zu verloeschen. Ich gab ihr den
Arm. Sie drueckte zaertlich meine Hand.
Was sollte ich denken, was sollte ich machen? Betrug von ihr war nicht
moeglich--das Maedchen k o n n t e keine Dirne sein. Verwechslung war
offenbar. Aber sie wusste mich bei meinem Namen zu nennen. Sie war so
ohne Arg.--Ich wagte es--ich uebernahm die Rolle eines verstimmten
Verehrers und schritt schweigend mit ihr durch die Hallen.
Am Portal ging mein Jammer von neuem an. Welche Strasse sollte ich
waehlen, um nicht sogleich meine Unbekanntschaft zu verraten? Ich nahm
allen meinen Mut zusammen und schritt auf die mittlere Strasse zu.
'Mein Gott!' rief sie aus und zog meinen Arm sanft seitwaerts, 'Otto,
wo sind Sie nur heute? Hier waeren wir ja an die Tiber gekommen.'
O! Wie hoerte ich so gerne diese Stimme! Wie lieblich klingt unsere
Sprache in einem schoenen Munde! Schon oft hatte ich die Roemerinnen
beneidet um den Wohllaut ihrer Toene; hier war weit mehr, als ich je
in Rom gehoert; es musste offenbar ein deutsches Maedchen sein, ich
sah es aus allem; und doch so reine, runde Klaenge ihrer Sprache! Als
ich noch immer schwieg, brach sie in ein leises Weinen aus. Ihr
traenendes Auge sah mich wehmuetig an, ihre Lippen woelbten sich, wie
wenn sie einen Kuss erwarteten.
'Bist du mir nicht mehr gut, mein Otto? Ach, koenntest du mir zuernen,
dass ich die Lamentationen hoerte? O! zuerne mir nicht! Doch du hast
recht, waere ich lieber nicht hingegangen. Ich glaubte Trost zu finden
und fand keinen Trost, keine Hoffnung. Alle meine Lieben schienen dem
Grab entstiegen, schienen ueber die Alpen zu wehen und mit Toenen der
Klage mich zu sich zu rufen. Wie bin ich doch so allein auf der Erde!'
weinte sie, indem ihr blaues Auge in das naechtliche Blau des Himmels
tauchte. 'Wie bin ich so allein!--Und wenn ich dich nicht haette, mein
Otto!--'
Meine Lage grenzte an Verzweiflung; das schoenste, lieblichste Kind im
Arme und doch nicht sagen koennen, wie ich sie liebte! Als ihre
Traenen noch nicht aufhoeren wollten, fluesterte ich endlich leise:
'Wie koennte ich dir zuernen?'
Sie schaute freundlich dankbar auf--'Du bist wieder gut? Und o! wie
siehst du heute doch gar nicht so finster aus, auch deine Stimme
klingt heut so weich! Sei auch morgen so und lass nicht wieder einen
ganzen langen Tag auf dich warten.'
Sie naeherte sich einem Haus und blieb davor stehen, indem sie die
Glocke zog. 'Und nun gute Nacht, mein Herz,' sagte sie, 'wie gerne
setzte ich mich noch zu dir auf die Bank, aber die Signora wartet wohl
schon zu lange.' Ich wusste nicht, wie mir geschah, ich fuehlte einen
heissen Kuss auf meinen Lippen, und weg war sie.
Ich merkte mir die Nummer des Hauses, aber die Strasse konnte ich
nicht erkennen. Nur einen Brunnen und gegenueber von ihrem Haus eine
Madonna in Stein gehauen konnte ich als Zeichen fuer die Zukunft
anmerken. Ich wand mich mit unsaeglicher Muehe durch das Gewirre der
Strassen und war doch nicht froh, als ich endlich mein Haus erreichte.
Bis an den lichten Morgen kein Schlaf. Zuerst liess mich der Mond
nicht schlafen, der mich durchs Fenster herein angrinste, und als ich
die Gardine vorzog, schien gar der Engelskopf des Maedchens
hereinzublicken. Mitunter zogen auch die Lamentationen durch meinen
wirren Kopf, und ich verwuenschte endlich ein Abenteuer, das mich eine
schlaflose Nacht kostete.
Sehr fruehe am andern Morgen traten Lord Parter und einer seiner
Freunde bei mir ein. Sie wollten mir begegnet sein, als ich meine
raetselhafte Schoene zu Haus brachte und schalten mich neckend, dass
ich sie gestern gaenzlich verleugnet habe. Als ich ihnen mein
Abenteuer, dem groessern Teile nach, erzaehlte, wurden sie noch
ungestuemer und behaupteten, mich deutlich schon mehreremal mit
derselben Dame gesehen zu haben. Immer klarer ward mir, dass irgend
ein Daemon sich in meine Gestalt gehuellt habe, da ja auch das
Maedchen mich so genau zu kennen schien, und ich war nicht minder
begierig, das liebe Maedchen, als das leibhaftige Konterfei meiner
Gestalt zu Gesicht zu bekommen. Die beiden Englaender mussten mir
Stillschweigen geloben, indem ich mich vor dem Spott meiner Bekannten
fuerchtete; zugleich versprachen sie auch, mir suchen zu helfen.
Nach langem Umherirren, wobei wir tausend Luegen ersinnen mussten, um
die erwachende Neugierde unserer Freunde zu taeuschen, fanden wir
endlich in dem entlegensten Winkel der Stadt jene Merkzeichen, die
Madonna und den Brunnen. Ich sah das Haus der Holden, ich sah die Bank
an der Tuere, auf welcher ich haette selig werden sollen, aber hier
ging auch unser Weg zu Ende. Als Fremde haetten wir zu viel gewagt, so
weit entfernt von den uns bekannten Strassen, unter einer
Menschenklasse, die besonders den Englaendern so gram ist, uns in ein
fremdes Haus einzudraengen. Wir zogen mehreremal durch die Strasse;
immer war die Tuere verschlossen, immer die Fenster neidisch
verhaengt. Wir verteilten uns, bewachten Tage lang die Promenaden,
weder meine Schoene, noch mein Ebenbild liessen sich sehen.
Geschaefte riefen mich in dieser Zeit nach Neapel. So angenehm mir
sonst diese Reise gewesen waere, so war sie mir in meiner
gegenwaertigen Spannung hoechst fatal. Unaufhoerlich verfolgte mich
das Bild des Maedchens, im Traum wie im Wachen hoerte ich die
liebliche Stimme fluestern. Hatten mich die Gesaenge in der Kapelle so
weich gestimmt? Hatte das fluechtige Bild der Schoenen vermocht, was
der Geist und die Schoenheit so mancher andern nicht ueber mich
vermochte?
Unruhig reiste ich ab. Die Reise, so viele abwechselnde Gegenstaende,
die ernsten Geschaefte, der Reiz der Gesellschaft, nichts gab mir
meine Ruhe wieder.
Es war die Zeit des Karnevals, als ich nach Rom zurueckkehrte. Durfte
ich hoffen, im Gewuehle der Menge den Gegenstand meiner Sehnsucht
herauszufinden? Meine englischen Freunde waren abgereist, ich hatte
niemand mehr, dem ich mich vertrauen mochte. Ohne Hoffnung hatte ich
mehrere Tage verstreichen lassen, ich war nicht zu bewegen, mich unter
die Freuden des Karnevals zu mischen.
Wie erstaunte ich aber, als mich am Morgen des vierten Tages der
Karnevalswoche der Gesandte fragte, wie ich mich gestern amuesiert
habe. Ich sagte ihm, ich sei nicht im Korso gewesen. Er erstaunte,
behauptete, mich von seinem Wagen aus mit einer Dame am Arm gesehen
und begruesst zu haben. Er schwieg, etwas beleidigt, als ich es wieder
verneinte. Aber ploetzlich kam mir der Gedanke: Wie, wenn es die
Gesuchten waeren?
--Man war in allen Zirkeln sehr gespannt auf diesen Abend. Ein
prachtvoller Maskenzug, worin Damen aus den edelsten roemischen
Haeusern eine Rolle uebernommen hatten, sollte den Karneval
verherrlichen. Ich gab dem Draengen meiner Bekannten nach und ging mit
in den Korso.
Erwarten Sie von mir keine Beschreibung dieses Schauspiels. Zu jeder
andern Zeit wuerde ich ihm alle meine Aufmerksamkeit geschenkt haben,
nicht nur, weil es mir als Volksbelustigung sehr interessant gewesen
waere, sondern weil sich der Charakter der Roemer gerade hier am
meisten aufdeckt. Aber wenn ich sage, dass von dem ganzen Abend, von
allen Herrlichkeiten des Korso nur noch ein Schatten in meiner
Erinnerung geblieben und nur ein heller Stern aus dieser Nacht
auftaucht, so werden Sie vergeben, wenn ich ueber das interessante
Schauspiel Ihre Neugierde nicht zur Genuege befriedige.
Die lange, enge Strasse war schon gefuellt, als wir durch die _Porta
del popolo_ hereintraten. Unabsehbar wogten die Wellen der Menge
durcheinander, und das Auge gleitete unbefriedigt darueber hinweg,
weil es unter der Mischung der grellsten Farben keinen Punkt fand, der
es festhielt. Die Erwartung war gespannt. Ueberall hoerte man von dem
Maskenzug reden, der sich nun bald nahen muesse. Ein rauschendes
Beifallrufen drang jetzt von dem Obelisken auf der Piazza herueber und
verkuendete die Auffahrt der Masken. Alle Blicke richteten sich
dorthin. Von den Balkonen und Geruesten herab wehten ihnen Tuecher und
winkten schoene Haende entgegen, indem die Equipagen sich an die
Seiten draengten, um den Wagen des Zuges Platz zu machen. Er nahte.
Gewiss, ein herrlicher Anblick! Die Goetter der alten Roma schienen
wieder in die alten Mauern eingezogen zu sein, um ihren Triumph zu
feiern. Liebliche, majestaetische Gruppen! Welch herrliche Umrisse in
den Gestalten des Apoll und Mars, wie lieblich Venus und Juno, und man
konnte es nicht fuer Unbescheidenheit halten, sondern musste gerade
hierin den schoensten Triumph finden, wenn das Volk mit Ungestuem den
Goettinnen zurief, die Masken abzunehmen. Unendlich wurde aber der
Beifall, als die Graefin Parvi, die edlen Formen des Gesichtes
unverhuellt, als Psyche sich nahte. Wahrlich, dieser liebliche Ernst,
diese sanfte Groesse haetten einen Zeuxis und Praxiteles begeistern
koennen.
Der Abend nahte heran, man ruestete sich, die Gerueste zu besteigen,
weil das Pferderennen beginnen sollte. Ich stand ziemlich verlassen
auf der Strasse, mit sehnsuechtigen Blicken die Galerien und Balkone
musternd, ob meine Schoene nicht darauf zu treffen sei. Ploetzlich
fuehlte ich einen leisen Schlag auf die Schulter. 'So einsam?' toente
in der lieben Muttersprache eine suesse Stimme in mein Ohr. Ich sah
mich um. Eine reizende Maske, in der Kleidung einer Tirolerin, stand
hinter mir. Durch die Hoehlen der Maske blitzten jene blauen Augen,
die mich damals so sehr ueberraschten. Sie ist's--es ist kein
Zweifel. Ich bot ihr schweigend die Hand, sie drueckte sie leise. 'Du
boeser Otto,' fluesterte sie, 'den ganzen Abend habe ich dich
vergebens gesucht. Wie musste ich schwatzen, um die Signora los zu
werden!'
Die Wache rueckte die Strasse herab. Es war hohe Zeit, die Galerien zu
suchen. Ich deutete hinauf, sie gab mir ihren Arm, sie folgte. Ein
heimliches Plaetzchen hinter einer Saeule bot sich dar, sie waehlte es
von selbst, Karneval, Pferderennen, alle Schoenheiten Roms waren fuer
mich verloren, als mein stiller Himmel sich oeffnete, als sie die
Maske abnahm. Noch lieblicher, noch unendlich schoener war sie als an
jenem Abend. Die zarte Blaesse, die sie damals aus der Kapelle
brachte, war einer feinen, durchsichtigen Roete gewichen; das Auge
strahlte von noch hoeherem Glanz als damals, und der tiefe, beinahe
wehmuetige Ernst der Zuege, wie sie sich mir damals zeigte, war durch
ein Laecheln gemildert, das fein und fluechtig um die zarten Lippen
wehte."
"Sie heftete wieder einige Minuten schweigend ihr Auge auf mein
Gesicht, strich mir spielend die Haare aus der Stirne und rief dann
ploetzlich: 'Jetzt bist du's wieder ganz! Ganz wie an jenem Abend in
der Kapelle, den du mir so hartnaeckig leugnest! Gestehest du ihn
deiner Luise noch nicht?'
"Welche Pein! Was sollte ich sagen? Da fiel ploetzlich das Signal, die
Pferde rannten durch den Korso. Meine Schoene bog den Kopf abwaerts,
und ich, meiner Sinne kaum maechtig, fluechtete hinter die naechste
Saeule, um nicht im Augenblicke vor dem arglosen Maedchen als ein Tor
oder noch etwas Schlimmeres zu erscheinen. Und was war ich auch
anders, wenn ich mich selbst recht ernstlich fragte? Was wollte ich
von dem Maedchen, was konnte ich von ihr wollen? Und war nicht eine so
weit getriebene Neugierde Frevel?
"Waehrend ich noch so mit mir selbst kaempfte, ob es nicht ehrlicher
sei, ein Abenteuer aufzugeben, dessen Ende nur ein toerichtes sein
konnte, bemerkte ich, dass meine Stelle schon wieder besetzt sei. Ich
schlich naeher herzu, um wenigstens zu hoeren, wer der Glueckliche
sei, da ich ihn, ohne meine unbescheidene Naehe zu verraten, nicht
sehen konnte."
'Wie magst du nur so zerstreut fragen?' sagte Luise, 'du selbst hast
mich ja heraufgefuehrt.'
'Ich haette dich gefuehrt, der ich diesen Augenblick erst zu dir
trete? Gestehe, du betruegst mich; wer hat dich hergeleitet?'
Mit befangener Stimme, dem Weinen nahe, beharrte sie auf dem, was sie
vorhin sagte. 'Du bist auch wie unser Wetter ueber den Alpen, soeben
noch so freundlich, und jetzt so kalt, so finster.'
Jener stand schnell auf: 'Ich bin nicht gestimmt, meine Gnaedige, das
Ziel Ihrer Scherze zu sein,' sagte er, 'und wenn Sie sich in Raetsel
vertiefen, wird meine Gesellschaft Ihnen laestig werden.' Er brach auf
und wollte gehen. Ich konnte die Leiden der Armen nicht mehr
verlaengern und trat hervor hinter der Saeule, um mich als Aufloesung
des Raetsels zu zeigen. Aber wie ward mir! Meine eigene Gestalt, mein
eigenes Gesicht glaubte ich mir gegenueber zu sehen. Die
ueberraschendste Aehnlichkeit--"
* * * * *
FUENFZEHNTES KAPITEL.
Das Intermezzo.--Der Trinker.
Ein schrecklicher Angstschrei, ein Gerassel, wie Blitz und Donner
einander folgend, unterbrach den Erzaehler. Welcher Anblick! Der Jude
lag ausgestreckt auf dem Boden des Saales, ueberschuettet mit Tee,
Truemmer seines Stuhles und der feinen Meissner Tasse, die er im Sturz
zerschmettert, um ihn her. Der Aerger ueber eine solche Unterbrechung
war auf allen Gesichtern zu lesen; zuernend wandten die Damen ihr Auge
von diesem Schauspiel, von den Herren machte keiner Miene, ihm
beizustehen. Er selbst aber blieb sekundenlang liegen, ohne sich zu
ruehren, und schaute verwundert herauf.
Ich sprang auf, ihm beizustehen; ich hob ihn auf und sah mich nach
einem andern Stuhle um, auf welchen ich ihn setzen koennte. Aber ein
Verwandter des Hauses raunte mir in die Ohren, ich moechte machen,
dass wir fortkommen, mein Hofmeister scheine sich nicht in dieser
Gesellschaft zu gefallen.
Wir folgten dem Wink und nahmen unsere Huete. Als ich mich von der
gnaedigen Frau beurlaubte, sagte sie mir viel Schoenes und lud mich
ein, sie recht oft zu sehen; meinen armen Hofmeister wuerdigte sie
keines Blickes. Sie neigte sich so kalt als moeglich und liess ihn
abziehen. Gelaechter schallte uns nach, als wir den Saal verliessen,
und ich hatte mit meiner Inkarnation so viel menschliche Eitelkeit
angezogen, dass mich dieses Lachen ungemein aergerte.
Wie gern haette ich die Erzaehlung jenes interessanten jungen Mannes
zu Ende gehoert; wie viel Wichtiges und Psychologisches haette ich von
dem gardeuniformliebenden Fraeulein erlauschen koennen; und war ich
selbst nicht ganz dazu gemacht, junge Herzen an jenem Abend zu
erobern? Ein junger, reicher, ich darf sagen, huebscher Mann auf
Reisen findet, wo er hinkommt, freundliche Augen, durch welche er so
leicht in die Herzen einzieht--und dies alles hatte mir das
ungeschliffene Wesen des alten Menschen verdorben; ich haette ihn
wuergen koennen, als wir im Wagen sassen.
"War es nicht genug," sagte ich, "dass du mit deinem scharfen
Judenbart die zarte Hand der Gnaedigen empfindlich buerstetest?
Musstest du auch noch die Frau von Wollau durch dein unzeitiges
Gelaechter beleidigen? Und kaum hast du es wieder gut gemacht, so
bringst du aufs neue alles gegen dich auf. Was gingen dich denn die
S c h w a b e n m a e d e l an, dass du ihre Schoenheit an den
Teetischen Berlins predigest? Darfst du denn sogar in China einer
Schoenen sagen, sie habe ein Teegesicht? Und jetzt, nachdem du die
spitzigen Worte der ungnaedigen Frau eingesteckt hattest, jetzt, als
alles auf das erste vernuenftige Thema, das diesen Abend abgehandelt
wurde, lauschte, jetzt faellst du, wie der selige Hohepriester Eli im
zweiten Kapitel Samuelis, ruecklings in den Saal und zerschmetterst--
nicht den eigenen hohlen Schaedel, wie jener wuerdige juedische Papst--
nein! einen zierlich geschnitzten Fauteuil und eine Tasse von
Meissner Porzellan; sage, sprich, schlechter Kamerad, wie fingst du es
nur an?"
"In Eurer Stelle, Herr Satan, waere ich nicht so arrogant gegen
unsereinen," antwortete er verdriesslich. "Ihr wisst, dass Euch keine
Gewalt ueber meine Seele zusteht; denn seit anderthalbtausend Jahren
kenne ich Eure Schliche und Raenke wohl. Was aber die Elis-Geschichte
betrifft, so will ich Euch reinen Wein einschenken, vorausgesetzt, Ihr
begleitet mich in eine Auberge; denn der laepperige Tee hier, mit dem
man in China kaum die Tassen ausspuelen wuerde, mit dem noch
schlechtern Arrak, haben mir ganz miserabel gemacht."
Ich liess vor einem Restaurateur halten und fuehrte den verunglueckten
Doktor Mucker hinein. Es war schon ziemlich tief in der Nacht, und nur
noch wenige, aber echte Trinker in dem Wirtszimmer. Wir setzten uns an
einen Tisch zu vier oder fuenf solcher naechtlichen Gesellen; ich
liess fuer den alten Menschen Burgunder auftragen, und in gelaeufigem
Malabarisch, wovon die Trinker gewiss nichts verstanden, forderte ich
ihn auf, zu erzaehlen.
Nachdem der ewige Jude durch etliche Schluecke sich erholt hatte,
begann er:
"Ich glaube, es ist ein Teil des Fluches, der auf mir ruht, dass ich,
sobald ich mich in hoehere Sphaeren der Gesellschaft wage, laecherlich
werde; ein paar Beispiele moegen dir genuegen.
"Du weisst, dass ich, um mir die Langeweile des Erdenlebens zu
vertreiben, zuweilen einen Liebeshandel suche--nun, verziehe dein
Gesicht nur nicht so spoettisch, ich bin eine Stereotypausgabe von
einem kraeftigen Fuenfziger, und ein solcher darf sich schon noch aufs
Eis wagen. Nun hatte ich einmal in einem kleinen saechsischen
Staedtchen eine Schoene auf dem Korn. Ich hatte schon seit einigen
Tagen Zutritt in das elterliche Haus, und die kleine Kokette schien
mir gar nicht abgeneigt. Ich kleidete mich sorgfaeltiger, um ihr zu
gefallen, ich scherwenzelte um sie her, wenn sie spazieren ging, kurz,
ich war ein so ausgemachter Geck, als je einer ueber das Pflaster von
Leipzig ging. In dem Staedtchen gehoerte es zum guten Ton, morgens um
neun Uhr an dem Haus seiner Schoenen vorbeizugehen; schaute sie
heraus, so wurde mit Grazie der Hut gezogen und etwas weniges
geseufzt.
"Dies hatte ich mir bald abgemerkt und zog nun pflichtgemaess, wenn
die Glocke neun Uhr summte, an jenem Haus vorueber, und ich hatte die
Freude, zu sehen, wie mein Engel jedesmal zum Fenster herausschaute
und huldreich laechelte. Eines Morgens war es sehr kotig auf der
Strasse; ich ging also, um die weissseidenen Struempfe zu schonen, auf
den Zehenspitzen und machte Schritte wie ein Hahn. Aber vor dem Hause
meiner Schoenen war der Schmutz reinlich in grosse Haufen
zusammengekehrt; denn der Papa war eine Art von Polizeiinspektor und
musste den Einwohnern ein gutes Beispiel geben; wie freute sich mein
Herz ueber diese Reinlichkeit! Ich konnte dort fester auftreten, ich
konnte mit dem rechten Bein, wenn ich mein Kompliment machte, zierlich
ausschweifen, ohne mich zu beschmutzen. Mein Engel schaute huldreich
herab, freudig ziehe ich den Hut von dem schoenfrisierten Toupet,
schwenke ihn in einem kuehnen Bogen und--o Unglueck--er entwischt
meiner Hand, er faehrt wie ein Pfeil in den aufgeschichteten Unrat,
dass nur noch die Spitze hervorsieht.
"Wie schoen sagt Schiller:
'Einen Blick
Nach dem Grabe
Seiner Habe
Sendet noch der Mensch zurueck.'
"So stand ich wie niedergedonnert an dem Unrat. Sollte ich in
zierlicher Stellung mit den Fingerspitzen den Hut herausziehen? Aber
dann war zu befuerchten, dass er ganz ruiniert sei; sollte ich voellig
_chapeau bas_ weiter ziehen, wie einer, der ohne Hut dem Galgen
oder dem Tollhaus entsprungen?
"Wie ein silbernes Feuergloeckchen schlaegt jetzt das lustige Lachen
meiner Dulzinea an mein Ohr; brummend wie die schweren Totenglocken,
das Grabgelaeute meiner Hoffnung, antworten zehn Baesse aus dem
gegenueberstehenden Kaffeehaus; Husarenleutnants, Schreiber, Kaufleute
bruellen aus den aufgerissenen Fenstern, und 'Hussa, Sultan, such'
verloren!' toent die Stimme meines furchtbarsten Rivalen, des Grafen
Lobau. Eine englische Dogge von Menschenlaenge stuerzt hervor, packt
den verlorenen Hut mit geuebter Schnauze, rennt auf mich zu, stellt
sich auf die Hinterbeine, tappt mit seinen Pfoten auf meine Schultern
und praesentiert mir das triefende _corpus delicti_.
"Was ich dir hier mit vielen Worten erzaehlte, mein Bester, war das
Werk eines Augenblicks; wie angefroren war ich dagestanden, und erst
die Zudringlichkeit des hoeflichen Hundes gab mir meine Fassung
wieder. Wieherndes, jauchzendes Gelaechter scholl aus dem Kaffeehause,
und auch bei i h r waren alle Fenster mit Lachern angefuellt; und als
ich, einen zaertlichen Blick, den letzten, hinauflaufen liess, sah
ich, wie sie das battistene Schnupftuch in den Mund schob, um nicht
vor Lachen zu bersten. Da verlor ich von neuem die Fassung; wuetend
ergriff ich den Hut und schlug ihn der Dogge ins Gesicht; aber die
Bestie verstand keinen Spass, sie packte mich, an dem zierlichen
Busenstreifen, ich liess ihr diese Spolien und machte mich eilends
davon, durch dick und duenn galoppierend; aber die Bestie folgte, und
andere Hunde und Gassenjungen stuerzten nach, und die schreckliche
Jagd nahm erst ein Ende, als ich atemlos in das Portal meines
Gasthofes stuerzte.
"Dass es mit meiner Liebe aus war, kannst du denken, besonders, da ich
nachher erfuhr, die Kokette habe alle ihre Anbeter um diese Stunde in
das Kaffeehaus bestellt, um meine taegliche Fensterparade zu
bewundern!"
Ich bedauerte den Armen von Herzen; er aber griff ruhig nach seinem
Glas, trank und fuhr dann fort:
"Kann dich versichern, so hundsfoettisch ging es mir von jeher,
besonders aber in der neuen aufgeklaerten Zeit, wo man so ungemein
viel auf das Schickliche haelt und verzweifeln moechte, wenn der
vortreffliche Reifrock der Etikette ein wenig unsanft beruehrt wird.
Darum ist es mir bei einem Gastmahl immer hoellenangst. Wird fette
Sauce umhergegeben, so sehe ich schon im Geiste, dass ich damit
zittern und sie verschuetten werde. Kommt dann der Bettel an mich, so
bricht mir der Angstschweiss aus, die Sauciere klappert in meiner
zitternden Hand fuerchterlich, sie schwankt, ich fahre mit der andern
Hand darnach und--richtig, meine freundliche Nachbarin hat die ganze
Bescherung auf dem neuen Drap d'or oder Genuesischen Sammetkleid, dass
alles im schoensten Fette schwimmt. Habe ich aber endlich eine solche
Fegefeuertour durchgemacht, ohne Sauce zu verschuetten, ohne ein Glas
umzuwerfen, ohne einen Loeffel fallen zu lassen, ohne dem Schosshund
auf den Schwanz zu treten, ohne der Tochter des Hauses die groessten
Sottisen zu sagen, wenn ich hoeflich und pikant sein will, so fasst
mich irgend ein Unheil noch zum Schluss, dass ich mit Schande abziehe
wie heute."
"Nun," fragte ich, "und was warf dich denn heute mitten ins Zimmer?"
"Als der langweilige Mensch seine Erzaehlung anhub, wie er ein paar
Pfaffen habe singen hoeren und wie er einem huebschen Maedchen
nachgelaufen sei--was man ueberall tun kann, ohne gerade in Rom zu
sein--da uebermannte mich die Langeweile, die eines meiner Hauptuebel
ist, und so setzte ich, um mich zu unterhalten, meinen Stuhl
rueckwaerts in Bewegung und schaukelte mich ganz angenehm. Auf einmal,
ehe ich mich dessen versah, schlug der Stuhl mit mir rueckwaerts
ueber, und ich lag--"
"Das habe ich leider gesehen, wie du lagst," sagte ich; "aber wie kann
man nur in honetter Gesellschaft so ganz alle gute Sitte vergessen und
mit dem Stuhle schaukeln."
"Sei jetzt ruhig und bringe mich nicht auf mit der verdammten
Geschichte; ich habe heute abend kein Glueck gemacht, das ist alles.
_Bibamus, diabole!_" sagte der alte Mensch, indem er selbst mit
tuechtigem Beispiel voranging und dann schmunzelnd auf das dunkelrote
Glas wies: "Der ist koscher, Herr Bruder, guter Burgunder, echter
Chambertin und wenigstens zwanzig Jahre alt. Du magst mich jetzt
auslachen oder nicht; aber ein gutes altes Weinchen vom Suedstamme ist
noch immer meine Leidenschaft, und ich behaupte, die Welt sieht jetzt
nur darum so schlecht aus, weil so viel Tee, Branntwein und Bier, aber
desto weniger Wein getrunken wird."
"Du koenntest recht haben, Jude!"
"Wie stattlich," fuhr er im Eifer fort, "wie stattlich nahmen sich
sonst die Wirtshaeuser aus. Breite, gedrungene, kraeftige Gestalten,
den dreispitzigen Hut ein wenig auf die Seite gesetzt, rote Gesichter,
feurige Augen, ins Blaeuliche spielende Nasen, honette Baeuche--so
traten sie, das hohe, mit Gold beschlagene Meerrohr in der Faust,
feierlich gruessend ins Zimmer. Wenn der Hut am Nagel hing, der Stock
in die Ecke gestellt war, schritt der Gast dem wohlbekannten
Plaetzchen zu, das er seit Jahren sich zu eigen gemacht hatte und das
oft nach ihm getauft war. Der Wirt stellte mit einem 'Wohl bekomm's'
die Weinkanne vor den ehrsamen Trinker, die gewoehnlichen
Bechernachbarn fanden sich zur bestimmten Stunde ein, man trank viel,
man schwatzte wenig und zog zur bestimmten Stunde wieder heim. So war
es in den guten alten Zeiten, wie die Menschen sagen, die nach Jahren
rechnen, so war es, und nur der Tod machte darin eine Aenderung. Jetzt
haengen sie alles an den Putz, machen Staat wie die Fuersten und
sitzen den Wirten um zwei Groschen die Baenke ab. Lustiges, unstetes
Gesindel faehrt in den Wirtshaeusern umher, man weiss nie mehr, neben
wen man zu sitzen koemmt, und das heissen die Leute K o s m o p o l i
t i s m u s. Hoechstens trifft man ein paar alte weingruene Gesichter
von der echten Sorte, aber dies Geschlecht ist beinahe ausgestorben!"
"Schau nur dorthin," fiel ich ihm ein, "du Prediger in der Wueste,
dort sitzen ein paar Echte. Sieh nur das kleine Maennlein dort in dem
braunen Roeckchen, wie es so feurig die roten Augen ueber die Flasche
hinrollen laesst. Er scheint mir ein rechter Kenner, denn er trinkt
den Nierensteiner Kirchhofwein, den er vor sich hat, in ganz kleinen
Zuegen und zerdrueckt ihn ordentlich auf der Zunge, ehe er schluckt.
Und dort der grosse dicke Mann mit der roten Nase, ist er nicht eine
Figur aus der alten Zeit? Nimmt er nicht das Glas in die ganze Faust,
statt wie die Heutigen den kleinen und den Goldfinger zierlich
auszustrecken? Ist er nicht schon an der vierten Flasche, seit wir
hier sind, und hast du nicht bemerkt, wie er immer die Pfropfen in die
Tasche steckt, um nachher zu zaehlen, wie viele Flaschen er
getrunken?"
"Wahrhaftig, diese sind echt!" rief der begeisterte Jude, "ich bin
jung gewesen und alt geworden, aber solcher gibt es nicht viele; lass
uns zu ihnen uns setzen, _mi fratercule_!"
Wir hatten nicht fehl geraten. Jene Trinker waren von der echten
Sorte; denn schon seit zwanzig Jahren kamen sie alle Abende in das
naemliche Wirtshaus. Man kann sich denken, wie gerne wir uns an sie
anschlossen. Ich, weil ich solche Kaeuze liebe und aufsuche, der ewige
Jude aber, weil der Kontrast zwischen dem eleganten Tee und diesen
Trinkern in seinen Augen sehr zugunsten der letzteren ausfiel. Er
wurde so kordial, dass er zu vergessen schien, dass er mit ihren
Urvaetern schon getrunken habe, dass er vielleicht mit ihren spaeten
Enkeln wieder trinken werde.
Die alten Gesellen mochten jetzt ihre Ladung haben; denn sie wurden
freundlich und fingen an, zuerst leise vor sich hin zu brummen; dann
gestaltete sich dieses Brummen zu einer Melodie, und endlich sangen
sie mit heiserer Weinkehle ihre gewohnten Lieder. Auch den alten
Menschen fasste diese Lust. Er dudelte die Melodien mit, und als sie
geendet hatten, fing auch er sein Lied an. Er sang:
"Wer seines Leibes Alter zaehlet
Nach Naechten, die er froh durchwacht,
Wer, ob ihm auch der Taler fehlet,
Sich um den Groschen lustig macht,
Der findet in uns seine Leute,
Der sei uns bruederlich gegruesst,
Weil ihn, wie uns, der Gott der Freude
In seine sanften Arme schliesst.
Wenn von dem Tanze sanft gewieget,
Von Floetentoenen suess berauscht,
Fein Liebchen sich im Arme schmieget
Und Blick um Liebesblick sich tauscht;
Da haben wir im Flug genossen,
Und schnell den Augenblick erhascht,
Und Herz am Herzen festgeschlossen
Der Lippen suessen Gruss genascht.
Den Wein kannst du mit Gold bezahlen,
Doch ist sein Feuer bald verraucht,
Wenn nicht der Gott in seine Strahlen,
In seine Geisterglut dich taucht;
Uns, die wir seine Hymnen singen,
Uns leuchtet seine Flamme vor,
Und auf der Toene freien Schwingen
Steigt unser Geist zum Geist empor.
Drum, die ihr frohe Freundesworte
Zum wuerdigen Gesang erhebt,
Euch gruess' ich, wogende Akkorde,
Dass ihr zu uns herniederschwebt!
Sie tauchen auf--sie schweben nieder,
Im Vollton rauschet der Gesang,
Und lieblich hallt in unsre Lieder
Der vollen Glaeser Feierklang.
So haben's immer wir gehalten
Und bleiben fuerder auch dabei,
Und mag die Welt um uns veralten,
Wir bleiben ewig jung und neu:
Denn wird einmal der Geist uns truebe,
Wir haben ihn im alten Wein,
Und ziehen mit Gesang und Liebe
In unsern Freudenhimmel ein."
Ob dies des ewigen Juden eigene Poesie war, kann ich nicht bestimmt
sagen, doch liess er mich zuzeiten merken, dass er auch etwas Poet
sei; die zwei alten Weingeister waren ganz erfuellt und erbaut davon;
sie drueckten dem a l t e n M e n s c h e n die Hand und gebaerdeten
sich, als haette er ihnen die ewige Seligkeit verkuendigt.
Es schlug auf den Uhren drei Viertel vor zwoelf. Der ewige Jude sah
mich an und brach auf; ich folgte. Ruehrend war der Abschied zwischen
uns und den Trinkern, und noch auf der Strasse hoerten wir ihre
heiseren Stimmen in wunderlichen Toenen singen:
"Und wird einmal der Geist uns truebe,
Wir baden ihn im alten Wein,
Und ziehen mit Gesang und Liebe
In unsern Freudenhimmel ein."
* * * * *
SATANS BESUCH BEI HERRN VON GOETHE
nebst
einigen einleitenden Bemerkungen
ueber das Diabolische in der deutschen Literatur.
"Von Zeit zu Zeit seh' ich den Alten gern
Und huete mich, mit ihm zu brechen,
Es ist gar huebsch von einem grossen Herrn,
So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen."
Goethe.
SECHZEHNTES KAPITEL.
Bemerkungen ueber das Diabolische in der deutschen Literatur.
"Die Idee eines Teufels ist so alt als die Welt und nicht erst durch
die Bibel unter die Menschen gekommen. Jede Religion hat ihre Daemonen
und boesen Geister,--natuerlich weil die Menschen selbst von Anfang an
gesuendigt haben und nach ihrem gewoehnlichen Anthropomorphismus das
Boese, das sie sahen, einem Geiste zuschrieben, dessen Geschaeft es
sei, ueberall Unheil anzurichten."--So wuerde ich ungefaehr sprechen,
wenn ich es bis zum Professor der Philosophie gebracht haette und nun
ueber die I d e e e i n e s T e u f e l s mich breit machen
muesste.
In meiner Stellung aber faerbe ich ueber solche Demonstrationen, die
gewoehnlich darauf auslaufen, dass man mich mit zehnerlei Gruenden
hinweg zu disputieren sucht; ich lache darueber und behaupte, die
Menschen, so dumm sie hie und da sein moegen, merken doch bald, wenn
es nicht g a n z g e h e u e r u m s i e h e r ist, und moegen sie
mich nun Ariman oder das boese Prinzip, Satan oder Herr Urian nennen,
sie kennen mich in allen Voelkern und Sprachen. Es ist doch eine
schoene Sache um das "_dicier hic est_," darum behagt mir auch
die deutsche Literatur so sehr. Haben sich nicht die groessten Geister
dieser Nation bemueht, mich zu verherrlichen und, wenn ich's nicht
schon waere, mich ewig zu machen?
In meiner _Dissertatio de rebus diabolicis_ sage ich unter
anderem hierueber folgendes: "Paragraph 8. D i e I d e e, d a s
m o r a l i s c h e V e r d e r b e n i n e i n e r P e r s o n
d a r z u s t e l l e n, m u s s t e s i c h d a h e r d e n
D i c h t e r n h a l b a u f d r a e n g e n; diese waren, wie es in
Deutschland meistens der Fall war, philosophisch gebildet, doch war ihre
Philosophie wie ihre Moral von jener breiten, dicken Sorte, die nicht
mit Leichtigkeit ueber Gegenstaende hinzugleiten weiss; daher kam es,
dass auch die Gebilde ihrer Phantasie jenes philosophische Blei an den
Fuessen trugen, das sie nicht mit Gewandtheit auftreten liess; sie
stolperten auf die Buehne und von der Buehne, machten sich breit in
Philosophemen, die der Zehnte nicht sogleich verstand, und drehten und
wandten sich, als sollten sie auf einer engen Bruecke ohne Gelaender
in Reifroecken einander ausweichen.
Daher kam es, dass auch die Teufel dieser Poeten gaenzlich verzeichnet
waren. Betrachten wir z. B. Klingers Satan. Wie vielen Bombast hat
dieser arme Teufel zuerst in der Hoelle und dann auf der Erde
herzuleiern!
Klingemanns Teufel! Glaubt man nicht, er habe ihn nur geschwind aus
dem Puppenspiel von der Strasse geholt, ihm die Glieder ausgereckt,
bis er die rechte Groesse hatte, und ihn dann in die Szene gesetzt?
Man begreift nicht, wie ein Mensch sich von einem solchen Ungetuem
sollte verfuehren lassen."
Es gibt noch mehrere solcher literarischen Ungetueme, die hier
aufzufuehren der Raum nicht erlaubt. Sie alle haben mir von jeher viel
Spass gemacht, und ich kam mir oft vor, wie der Policinello des
italienischen Lustspiels; ich war bei diesen Leuten eine stehende
Figur, die, wenn auch etwas anders aufgeputzt, doch immer wieder die
Hoerner herausstreckte, und unter welche man zu besserer Kenntnis ein
_Ecce homo_, sehet, das ist der Teufel, schrieb.
Doch auch dem Teufel muss man Gerechtigkeit widerfahren lassen, sagt
ein altes Sprichwort, folglich muss der Teufel zur Revanche auch
wieder gerecht sein. "Ein jeder gibt, wie er's kann," fuhr ich in der
Dissertation fort, "und wie sich in jenen Poeten das moralische
Verderben bei jedem wieder in andern Reflexen abspiegelte, so gaben
auch sie ihre Teufel. Daher kommt es, dass Herr Urian bei Klopstock
wieder bei weitem anders aussieht.
"Jener Abadonna ist ein gefallener Engel, dem das hoellische Feuer die
Fluegel versengte, der sich aber auch jetzt noch nobel und wuerdig
ausnehmen soll. Aber leider ist dieser Zweck doch ein wenig verfehlt;
mir wenigstens kommt dieser Klopstocksche Gottseibeiuns vor wie ein
Elegant, der, wegen Unarten aus den Salons verwiesen, sich in den
Tabagien und spiessbuergerlichen Klubs nicht recht zu finden weiss und
darum unanstaendig jammert."
So ungefaehr sprach ich mich in jener gelehrten Dissertation aus, und
ich gebe noch heute zu, dass die Auffassung wie jeder Idee, so auch
der des Teufels, sich nach den individuellen Ansichten des Dichters
ueber das Boese richten muss; dies alles aber entschuldigt keineswegs
jenen beruehmten Mann, der kraft seines umfassenden Genies, nicht den
engen Grenzen seines Vaterlandes oder der Spanne Zeit, in welcher er
lebt, sondern der Erde und kuenftigen Jahrhunderten angehoeren
koennte, es entschuldigt ihn nicht darin, dass er einen so schlechten
Teufel zur Welt gebracht hat.
Der G o e t h e s c h e M e p h i s t o p h e l e s ist eigentlich
nichts anderes, als jener gehoernte und geschwaenzte Popanz des
Volkes. Den Schweif hat er aufgerollt und in die Hosen gesteckt, fuer
die Bocksfuesse hat er elegante Stiefel angezogen, die Hoerner hat er
unter dem Barett verborgen--siehe da den Teufel des grossen Dichters!
Man wird mir einwenden: "Das gerade ist ja die grosse Kunst des
Mannes, dass er tausend Faeden zu spinnen weiss, durch die er seine
kuehnen Gedanken, seine hohen, ueberschwenglichen Ideen an das
Volksleben, an die Volkspoesie knuepft."--"Halt, Freund! Ist es eines
Mannes, der, wie sie sagen, so hoch ueber seinem Gegenstand steht und
sich nie von ihm beherrschen laesst, ist es eines solchen Dichters
wuerdig, dass er sich in diese Fesseln der Popularitaet schmiegt?
Sollte nicht der koenigliche Adler dieses Volk bei seinem populaeren
Schopf fassen und mit sich in seine Sonnenhoehe tragen?"
"Verzeihe, Wertester," erhalte ich zur Antwort, "du vergissest, dass
unter diesem Volke mancher eine Peruecke traegt; wuerde ein solcher
nicht in Gefahr sein, dass ihm der Zopf breche und er aus halber Hoehe
wieder zur Erde stuerze? Siehe! der Meister hat dies besser bedacht;
er hat aus jenen tausend Faeden, von welchen ich dir sagte, eine
Strickleiter, geflochten, auf welcher seine Juenger saeuberlich und
ohne Gefahr zu ihm hinaufklimmen. Der Meister aber setzet sie zu sich
in seine Arche, gleich Noah schwebt er mit ihnen ueber der Suendflut
jetziger Zeit und schaut ruhig wie ein Gott in den Regen hinaus, der
aus den Federn der kleinen Poeten stroemt."
"Ein waesseriges Bild!" entgegne ich, "und zugleich eine Sottise.
Befand sich denn in jener Arche nicht mehr Vieh als Menschen? Und will
der Meister warten, bis die Flut sich verlaufe und dann seine
Stierlein und seine Eselein, seine Pfauen und Kamele Paar und Paar auf
die Erde spazieren lassen?
"Will er vielleicht, wie jener Patriarch, die Erfindung des Weines
sich zuschreiben, sich ein Patent darueber ausstellen lassen und ueber
seine Schenke schreiben: 'Hier allein ist Echter zu haben,' wie Maria
Farina auf sein Koelnisches Wasser, so fuer alle Schaeden gut ist?"
Aber, um wieder auf den Mephistopheles zu kommen, gerade dadurch, dass
er einen so ueberaus populaeren und gemeinen Teufel gab, hat Goethe
offenbar nichts fuer die Wuerde seines schoensten Gedichtes gewonnen.
Er wird zwar viele Leser herbeiziehen, dieser Mephisto, viele Tausende
werden ausrufen: "Wie herrlich! Das ist der Teufel, wie er leibt und
lebt." Um die uebrigen Schoenheiten des Gedichtes bekuemmern sie sich
sehr wenig; sie sind vergnuegt, dass es endlich einmal eine Figur in
der Literatur gibt, die ihrer Sphaere angemessen ist.
"Aber erkennst du denn nicht," wird man mir sagen, "erkennst du nicht
die herrliche, tiefe Ironie, die gerade in diesem Mephistopheles
liegt?"
Ironie? Und welche? Ich sehe nichts in diesem meinem Konterfei als den
gemeinen Ritter von dem Pferdefuss, wie er in jeder Spinnstube
beschrieben wird. Man erlaube mir, dieses Bild noch naeher zu
beleuchten. Ich werde naemlich vorgestellt als ein Geist, der
beschworen werden kann, der sich nach magischen Gesetzen richten muss:
"Gesteh' ich's nur, dass ich hinausspaziere,
Verbietet mir ein kleines Hindernis,
Der Drudenfuss auf Eurer Schwelle;"
und dieser Schwelle Zauber zu zerspalten,
"Bedarf ich eines Rattenzahns;"
daher befiehlt
"Der Herr der Ratten und der Maeuse,
Der Fliegen, Froesche, Wanzen, Laeuse"
in einer Zauberformel seinem dienstbaren Ungeziefer die Kante, welche
ihn bannt, zu benagen. Auch kann ich nicht in das Studierzimmer
treten, ohne dass der Doktor Faust dreimal "Herein!" ruft. In andere
Zimmer, wie z. B. bei Frau Martha und in Gretchens Stuebchen trete ich
ohne diese Erlaubnis. Doch den Schluessel zu diesen sonderbaren
Zumutungen finden wir vielleicht in dem Vers:
"Gewoehnlich glaubt, der Mensch, wenn er nur Worte hoert,
Es muesse sich dabei auch etwas denken lassen!"
Doch weiter.
Ich stehe auf einem ganz besonderen Fuss mit den Hexen. Die in der
Hexenkueche haette mich gewiss liebevoller empfangen; aber sie sah
keinen Pferdefuss, und um mich bei ihr durch mein Wappen zu
legitimieren, mache ich eine unanstaendige Gebaerde:
"Mein Freund, das lerne wohl verstehen,
Das ist die Art, mit Hexen umzugehen."
Auf dem Brocken in der Walpurgisnacht bin ich noch viel besser
bekannt. Das Gehen behagt mir nicht, ich sage daher zum Doktor:
"Verlangst du nicht nach einem Besenstiele?
Ich wuenschte mir den allerderbsten Bock."
Auch hier
"Zeichnet mich kein Knieband aus,
Doch ist der Pferdefuss hier ehrenvoll zu Haus."
Um unter diesem, gemeinen Gelichter mich recht zu zeigen, tanze ich
mit einer alten Hexe und unterhalte mich mit ihr in Zoten, die man nur
durch Gedankenstriche
"Der, hatt' ein-----
So--es war, gefiel mir's doch"
anzudeuten wagt.
Ich bin selbst in Fausts Augen ein widerwaertiger, haemischer Geselle,
der
"--------kalt und frech
Ihn vor sich selbst erniedrigt."--
Ich bin ohne Zweifel von haesslicher, unangenehmer Gestalt und
Gesicht, was man, mit mildem Ausdruck markiert, intrigant, und im
gemeinen Leben einen abgefeimten Spitzbuben zu nennen pflegt.
Daher sagt Gretchen von mir:
"Der Mensch, den du da bei dir hast,
Ist mir in tiefer innrer Seel' verhasst.
Es hat mir in meinem Leben
So nichts einen Stich ins Herz gegeben
Als des Menschen widrig Gesicht.--
Seine Gegenwart bewegt mir das Blut,
Ich hab' vor dem Menschen ein heimlich Grauen.--
--Kommt er einmal zur Tuer herein,
Sieht er immer so spoettisch drein
Und halb ergrimmt.--
Es steht ihm an der Stirn geschrieben,
Dass er nicht mag eine Seele lieben" &c.
Daher sage ich auch naher:
"Und die Physiognomie versteht sie meisterlich,
In meiner Gegenwart wird ihr, sie weiss nicht wie;
Mein M a e s k c h e n da weissagt verborgnen Sinn,
Sie fuehlt, dass ich ganz sicher ein Genie,
Vielleicht wohl gar der Teufel bin."
Soll dies bei Gretchen Ahnung sein? Ist sie befangen in der Naehe
eines Wesens, das, wie man sagt, ihren Gott verleugnet? Ist es etwa
ein unangenehmer Geruch, eine schwuele Luft, die ihr meine Naehe
aengstlich macht? Ist es kindlicher Sinn, der den Teufel frueher ahnet
als der schon gefallene Mensch, wie Hunde und Pferde vor naechtlichem
Spuk scheuen, wenn sie ihn auch nicht sehen? Nein--es ist nur allein
mein Gesicht, das sie aengstlich macht, so aengstlich, dass sie sagt:
"--Wo er nur mag zu uns treten,
Mein' ich sogar, ich liebte dich nicht mehr."--
Wozu nun dies? Warum soll der Teufel ein Gesicht schneiden, das
jedermann Misstrauen einfloesst, das zurueckschreckt, statt dass die
Suende, nach den gewoehnlichen Begriffen, sich lockend, reizend sehen
laesst.
Wer hat nicht die herrlichen Umrisse ueber Goethes Faust von dem
genialen Retsch gesehen! Gewiss, selbst der Teufel muss an einem
solchen Kunstwerk Freude haben. Ein paar Striche, ein paar Puenktchen
bilden das liebliche, sinnige Gesicht des kindlichen, keuschen
Gretchens, Faust in der vollendeten Bluete des Mannes steht neben ihr;
welche Wuerde noch in dem gefallenen Goettersohn!
Aber der Maler folgt der Idee des Dichters, und siehe, ein Scheusal in
Menschengestalt steht neben jenen lieblichen Bildern.
Die unangenehmen Formen des duerren Koerpers, das ausgedorrte Gesicht,
die haessliche Nase, die tiefliegenden Augen, die verzerrten
Mundwinkel--hinweg von diesem Bild, das mich schon so oft geaergert
hat. [Fussnote: Man erlaube mir hier eine kleine Anmerkung. Wenn ich
nicht irre, so ertappt man hier den Satan auf einer groessern
Eitelkeit, als man ihm fast zutrauen sollte; gewiss hat ihn nichts
anderes gegen jenen verehrten Dichter aufgebracht, als dass er ihn mit
etwas lebhaften Farben als haesslich darstellt; diese Bemerkung wird
um so wahrscheinlicher, wenn man sich erinnert, dass er oben in dem
zweiten Abschnitt selbst gesteht, dass durch seine Inkarnation einige
Eitelkeit in ihn gefahren sei; Meister Urian gibt sich uebrigens durch
den uebertriebenen Eifer, mit welchem er seine Missgestalt ruegt, eine
Bloesse, die ihm nicht haette beigehen sollen.].
Und warum diese haessliche Gestalt? frage ich noch einmal. Darum,
antworte ich, weil Goethe, der so hoch ueber seinem Werk schwebende
Dichter, seinen Satan anthropomorphosiert; um den gefallenen E n g e l
wuerdig genug darzustellen, kleidet er ihn in die Gestalt eines tief
gefallenen M e n s c h e n. Die Suende hat seinen Koerper haesslich,
mager, unangenehm gemacht. In seinem Gesicht haben alle Leidenschaften
gewuehlt und es zur Fratze entstellt; aus dem hohlen Auge sprueht die
gruenliche Flamme des Neides, der Gier; der Mund ist widrig, haemisch
wie der eines Elenden, der alles Schoene der Erde schon gekostet hat
und jetzt aus Uebersaettigung den Mund darueber ruempft; der Unschuld
ist es nicht wohl in seiner befleckenden Naehe, weil ihr vor diesen
Zuegen schaudert.
So hat der Dichter, weil er einen schlechten Menschen vor Augen hatte,
einen schlechten Teufel gemalt.
Oder steht etwa in der Mythologie des Herrn von Goethe, der Teufel
koenne nun einmal nicht anders aussehen, er k o e n n e sein Gesicht,
seine Gestalt nicht v e r w a n d e l n? Nein, man lese:
"Auch die Kultur, die alle Welt beleckt,
Hat auf den Teufel sich erstreckt;
Das nordische Phantom ist nun nicht mehr zu schauen,
Wo siehst du Hoerner, Schweif und Klauen?
Du nennst mich Herr Baron, so ist die Sache gut,
Ich bin ein Kavalier wie andre Kavaliere."
Und an einem andern Ort laesst er mich mein Gesicht ein "Maeskchen"
nennen; folglich kann er sich eine Maske geben, kann sich verwandeln;
aber, wie gesagt, der Dichter hat sich begnuegt, das n o r d i s c h e
P h a n t o m dennoch beizubehalten, nur dass er mich von
"H o e r n e r n, S c h w e i f u n d K l a u e n" dispensiert.
Dies ist das Bild des Mephistopheles, dies ist Goethes Teufel, jenes
nordische Phantom soll mich vorstellen. Darf nun ein vom Dichter so
hochgestellter Mensch durch eine so niedrige Kreatur, die sich schon
durch ihre Maske verdaechtig macht, ins Verderben gefuehrt werden?
Darf jener grosse Geist, der noch in seinem Falle die uebrigen hoch
ueberragt, darf er durch einen gewoehnlichen "Bruder Liederlich", als
welchen sich Mephisto ausweist, herabgezogen werden? Und--muss nicht d
i e s e Maske der Wuerde jener Tragoedie Eintrag tun?
Doch ich schweige. An geschehenen Dingen ist nichts zu aendern, und
meine verehrte Grossmutter wuerde ueber diesen Gegenstand zu mir
sagen: "Soehnchen! Diabole! Bedenke, dass ein grosser Dichter ein
grosses Publikum haben und um ein grosses Publikum zu bekommen, so
populaer als moeglich sein muss."
* * * * *
SIEBZEHNTES KAPITEL.
Der Besuch.
Bei diesem allen bleibt Faust ein erhabenes Gedicht und G o e t h e
einer der ersten Geister seiner Zeit, und man darf sich daher nicht
wundern, dass ich ein grosses Verlangen in mir fuehlte, diesen Mann
einmal zu sehen. Ich haette ihm einen unerwarteten Besuch machen
koennen; ja, wenn ich oft recht aergerlich ueber mein Zerrbild war,
stand ich auf dem Sprung, ihm einmal im Kostuem des Mephistopheles
naechtlicherweile zu erscheinen, um ihm einigen Schrecken in die
Glieder zu jagen; aber eine gewisse Gutmuetigkeit, die man zuweilen an
mir gefunden hat, hielt mich immer wieder ab, dem alten Mann eine
schlaflose Nacht zu machen.
Ich entschloss mich daher, als _Doctor legens_, ein ehrsamer
Titel auf Reisen, ihn zu besuchen, und als solcher kam ich in Weimar
an. Es ist mit beruehmten Leuten wie mit einem fremden Tiere. Kommt
ein ehrlicher Paechter mit seiner Familie in die Stadt auf den
Jahrmarkt, so ist sein erstes, dass er in der Schenke den Hausknecht
fragt: "Wann kann man den Loewen sehen, Bursche?" "Mein Herr,"
antwortet der Gefragte, "die Affen und der Seehund sind den ganzen Tag
zu haben, der Loewe aber ist am besten aufgelegt, wenn er das Futter
im Leibe hat; daher rate ich, um jene Zeit hinzugehen."
Gerade so erging es mir in Weimar. Ich fuhr von Jena aus mit einem
jungen Amerikaner hinueber. Auch in sein Vaterland war des Dichters
Ruhm schon laengst gedrungen, und er machte auf der grossen Tour durch
Europa dem beruehmten Manne zu Ehren schon einen Umweg von zwanzig
Meilen. In dem Gasthof, wo wir abgestiegen waren, fragten wir
sogleich, um welche Zeit wir bei Herrn von Goethe vorkommen koennten?
Wir waren in Reisekleidern, die besonders bei meinem Gefaehrten etwas
unscheinbar geworden waren. Der Wirt musterte uns daher mit
misstrauischen Blicken und fragte, ehe er noch unsere Frage
beantwortete, ob wir auch Fraecke bei uns haetten.
Wir waren gluecklicherweise beide damit versehen, und unser Wirt
versprach, uns sogleich anmelden zu lassen. "Sie werden wahrscheinlich
nach dem Diner, um fuenf Uhr, angenommen werden. Um diese Zeit sind
Seine Exzellenz am besten ja sprechen. Zweifle auch gar nicht, dass
Sie angenommen werden, denn wenn man, wie der Herr hier, eigens
deswegen aus Amerika nach Weimar kommt, waere es doch unbarmherzig,
einen ungesehen wieder fortzuschicken."
Dieser Patriotismus ging wahrhaftig sehr weit. Doch wir liessen den
guten Mann in dem Glauben, der junge Philadelphier komme _recta_
nach Weimar und gehe von da wieder heim. Uebrigens hatte er richtig
prophezeit: _Doctor legens_ Supfer, wie ich mich nannte, und Forthill
aus Amerika waren auf fuenf Uhr bestellt.
Endlich schlug die Stunde, wir machten uns auf den Weg. Der Dichter
wohnt sehr schoen. Eine sanfte, geschmackvolle, mit Statuen dekorierte
Treppe fuehrt zu ihm. Eine tiefe, geheimnisvolle Stille lag auf dem
Hausgang, den wir betraten. Schweigend fuehrte uns der Diener in das
Besuchszimmer. Behagliche Eleganz, Zierlichkeit und Feinheit,
verbunden mit Wuerde, zeichneten dieses Zimmer aus. Mein junger
Gefaehrte betrachtete staunend diese Waende, diese Bilder, diese
Meubles. So hatte er sich wohl das S t u e b c h e n d e s D i c h t
e r s nicht vorgestellt. Mit der Bewunderung dieser Umgebungen schien
auch die Angst vor der Groesse des Erwarteten zu steigen. Alle
Nueancen von Rot wechselten auf seinem angenehmen Gesicht. Sein Herz
pochte hoerbar, sein Auge war starr an die Tuere geheftet, durch
welche der Gefeierte eintreten musste.
Ich hatte indes Musse genug, ueber den grossen Mann nachzudenken.
Wieviel weiter, sagte ich mir, wie unendlich weiter helfen dem
Sterblichen Gaben des Geistes als der zufaellige Glanz der Geburt.
Der Sohn eines unscheinbaren Buergers von Frankfurt hat hier die
hoechste Stufe erreicht, die dem Menschen nach dem gewoehnlichen Laufe
der Dinge offen steht. Es hat schon mancher diese Stufe erstiegen.
Geschaeftsmaenner vom Fach haben vom bescheidenen Plaetzchen an der
Tuere alle Sitze ihrer Kollegien durchlaufen, bis endlich der Stuhl,
der zunaechst am Throne steht, sie in seine Arme aufnahm. Mancher hat
sich auf dem Schlachtfeld das Portefeuille erkaempft--Goethe hat sich
seine eigene Bahn gebrochen, auf welcher ihm keiner voranging, ihm
noch keiner gefolgt ist. Er hat bewiesen, dass der Mensch k a n n, was
er will. Denn man sage mir nichts von einem das All umfassenden Genie,
von einem Geiste, der sein Zeitalter gebildet, es stufenweise zu dem
Hoeheren gefuehrt habe--das Zeitalter hat i h n gebildet.
Ich kann mir noch wohl denken, welch heilloses Leben "Werther" in dem
lieben Deutschland machte. Die Lotten schienen wie durch einen
Zauberschlag aus dem Boden zu wachsen. Die Zahl der Werther war
Legion. Aber was war hierin Goethes Verdienst? Hatte es wirklich nur
daran gefehlt, dass er das Hoernchen an den Mund setzte, und bei dem
ersten Ton, den er angab, mussten Pfaffe und Laie, Noennchen und
Daemchen in wunderlichen Kapriolen ihren Sankt-Veitstanz beginnen?
Wie heisst dieses grosse schoepferische Geheimnis? A l l e s z u r
r e c h t e n Z e i t. Der "Siegwart" hatte die harten Herzen abgetaut
und sie fuer allen moeglichen Jammer, fuer Mondschein und Graeber
empfaenglich gemacht, da kommt Goethe--
Die Tuere ging auf,--er kam.
Dreimal bueckten wir uns tief--und wagten es dann, an ihm hinauf zu
blinzeln. Ein schoener, stattlicher Greis! Augen so klar und helle wie
die eines Juenglings, die Stirn voll Hoheit, der Mund voll Wuerde und
Anmut. Er war angetan mit einem feinen, schwarzen Kleid, und aus
seiner Brust glaenzte ein schoener Stern.--Doch er liess uns nicht
lange Zeit zu solchen Betrachtungen. Mit der feinen Wendung eines
Weltmannes, der taeglich so viele Bewunderer bei sich sieht, lud er
uns zum Sitzen ein.
Was war ich doch fuer ein Esel gewesen, in dieser so gewoehnlichen
Maske zu ihm zu gehen! _Doctores legentes_ mochte er schon viele
Hunderte gesehen haben. Amerikaner, die, wie unser Wirt meinte, ihm
zulieb auf die See gingen, gewiss wenige. Daher kam es auch, dass er
sich meist mit meinem Gefaehrten unterhielt. Haette ich mich doch fuer
einen gelehrten Irokesen oder einen schoenen Geist vom Mississippi
ausgegeben! Haette ich ihm nicht Wunderdinge erzaehlen koennen, wie
sein Ruhm bis jenseits des Ohio gedrungen, wie man in den Cabanen von
Louisiana ueber ihn und seinen "Wilhelm Meister" sich unterhalte?--So
wurden mir einige unbedeutende Floskeln zuteil, und mein
gluecklicherer Gefaehrte durfte den grossen Mann unterhalten.
Wie falsch sind aber oft die Begriffe, die man sich von der
Unterhaltung mit einem grossen Manne macht! Ist er als witziger Kopf
bekannt, so waehnt man, wenn man ihn zum erstenmal besucht, einer Art
von Elektrisiermaschine zu nahen. Man schmeichelt ihm, man glaubt, er
muesse dann Witzfunken von sich strahlen, wie die schwarzen Katzen,
wenn man ihnen bei Nacht den Ruecken streichelt. Ist er ein
Romandichter, so spitzt man sich auf eine interessante Novelle, die
der Beruehmte zur Unterhaltung nur geschwind aus dem Aermel schuetteln
werde. Ist er gar ein Dramatiker, so teilt er uns vielleicht
freundschaftlich den Plan zu einem neuen Trauerspiel mit, den wir dann
ganz warm unsern Bekannten wieder vorsetzen koennen. Ist er nun gar
ein umfassender Kopf wie Goethe, einer, der so zu sagen in allen
Saetteln gerecht ist--wie interessant, wie belehrend muss die
Unterhaltung werden! Wie sehr muss man sich aber auch zusammennehmen,
um ihm zu genuegen!
Der Amerikaner dachte auch so, ehe er neben Goethe sass. Sein Ich
fuhr, wie das des guten Walt, ehe er zum Flitte kam [Fussnote: Jean
Pauls Flegeljahre], aengstlich oben in allen vier Gehirnkammern und
darauf unten in beiden Herzkammern wie eine Maus umher, um darin ein
schmackhaftes Ideenkoernchen aufzutreiben, das er ihm zutragen und
vorlegen koennte zum Imbiss. Er blickte angstvoll auf die Lippen des
Dichters, damit ihm kein Woertchen entfalle, wie der Kandidat auf den
strengen Examinator; er knickte seinen Hut zusammen und zerpflueckte
einen glacierten Handschuh in kleine Stuecke. Aber welcher
Zentnerstein mochte ihm vom Herz fallen, als der Dichter aus seinen
Hoehen zu ihm herabstieg und mit ihm sprach wie Hans und Kunz in der
Kneipe. Er sprach naemlich mit ihm vom guten Wetter in Amerika, und
indem er ueber das Verhaeltnis der Winde zu der Luft, der Duenste des
wasserreichen Amerikas zu denen in unserem alten Europa sich
verbreitete, zeigte er uns, dass das All der Wissenschaft in ihm
aufgegangen sei; denn er war nicht nur lyrischer und epischer Dichter,
Romanist und Novellist, Lustspiel- und Trauerspieldichter, Biograph
(sein eigener) und Uebersetzer--nein, er war auch sogar Meteorolog!
Wer darf sich ruehmen, so tief in das geheimnisvolle Reich des Wissens
eingedrungen zu sein? Wer kann von sich sagen, dass er mit jedem seine
Sprache, d. h. nicht seinen vaterlaendischen Dialekt, sondern das, was
ihm gerade gelaeufig und wert sein moechte, sprechen koenne! Ich
glaube, wenn ich mich als reisender Koch bei ihm aufgefuehrt haette,
er haette sich mit mir in gelehrte Diskussionen ueber die
geheimnisvolle Komposition einer Gaenseleberpastete eingelassen oder
nach einer Sekundenuhr berechnet, wie lange man ein Beefsteak auf
jeder Seite schmoren muesse.
Also ueber das schoene Wetter in Amerika sprachen wir, und siehe--das
Armesuendergesicht des Amerikaners hellte sich auf, die Schleusen
seiner Beredsamkeit oeffneten sich--er beschrieb den feinen, weichen
Regen von Kanada, er liess die Fruehlingsstuerme von New York brausen
und pries die Regenschirmfabrik in der Franklinstrasse zu
Philadelphia. Es war mir am Ende, als waere ich gar nicht bei Goethe,
sondern in einem Wirtshause unter guten alten Gesellen, und es wuerde
bei einer Flasche Bier ueber das Wetter gesprochen, so menschlich, so
kordial war unser Diskurs; aber das ist ja gerade das grosse Geheimnis
der Konversation, dass man sich angewoehnt--nicht gut zu
s p r e c h e n, sondern gut zu h o e r e n. Wenn man dem weniger
Gebildeten Zeit und Raum gibt zu sprechen, wenn man dabei ein Gesicht
macht, als lausche man aufmerksam auf seine Honigworte, so wird er
nachher mit Enthusiasmus verkuenden, dass man sich bei dem und dem
koestlich unterhalte.
Dies wusste der vielerfahrene Dichter, und statt uns von seinem
Reichtum ein Scherflein abzugeben, zog er es vor, mit uns
Witterungsbeobachtungen anzustellen.
Nachdem wir ihn hinlaenglich ennuyiert haben mochten, gab er das
Zeichen zum Aufstehen, die Stuehle wurden gerueckt, die Huete genommen
und wir schickten uns an, unsere Abschiedskomplimente zu machen. Der
gute Mann ahnte nicht, dass er den Teufel zitiere, als er grossmuetig
wuenschte, mich auch ferner bei sich zu sehen, ich sagte ihm zu und
werde es seiner Zeit schon noch halten; denn wahrhaftig, ich habe
seinen Mephistopheles noch nicht hinuntergeschluckt. Noch einen--zwei
Buecklinge, wir gingen.
Stumm und noch ganz stupid vor Bewunderung folgte mir der Amerikaner
nach dem Gasthof; die Roete des lebhaften Diskurses lag noch auf
seiner Wange, zuweilen schlich ein beifaelliges Laecheln um seinen
Mund, er schien hoechst zufrieden mit dem Besuch.
Auf unserem Zimmer angekommen, warf er sich heroisch auf einen Stuhl
und liess zwei Flaschen Champagner auftragen. Der Kork fuhr mit einem
Freudenschuss an die Decke, der Amerikaner fuellte zwei Glaeser, bot
mir das eine und stiess an auf das Wohl jenes grossen Dichters.
"Ist es nicht etwas Erfreuliches," sagte er, "zu finden, so
hocherhabene Maenner seien wie unsereiner? War mir doch angst und
bange vor einem Genie, das dreissig Baende geschrieben; ich darf
gestehen, bei dem Sturm, der uns auf offener See erfasste, war mir
nicht so bange. Und wie herablassend war er, wie vernuenftig hat er
mit uns diskuriert, welche Freude hatte er an mir, wie ich aus dem
neuen Lande kam!" Er schenkte sich dabei fleissig ein und trank auf
seine und des Dichters Gesundheit, und von der erlebten Gnade und vom
Schaumwein benebelt, sank er endlich mit dem Entschluss, Amerikas
Goethe zu werden, dem Schlaf in die Arme.
Ich aber setzte mich zu dem Rest der Bouteillen. Dieser Wein ist von
allen Getraenken der Erde der, welcher mir am meisten behagt, sein
leichter, fluechtiger Geist, der so wenig irdische Schwere mit sich
fuehrt, macht ihn wuerdig, von Geistern, wenn sie in menschlichen
Koerpern die Erde besuchen, gekostet zu werden.
Ich musste laecheln, wenn ich auf den seligen Schlaefer blickte; wie
leicht ist es doch fuer einen grossen Menschen, die andern Menschen
gluecklich zu machen; er darf sich nur stellen, als waeren sie ihm so
ziemlich gleich, und sie kommen beinahe vom Verstand.
Dies war mein Besuch bei Goethe, und wahrhaftig, ich bereute nicht,
bei ihm gewesen zu sein, denn
"Von Zeit zu Zeit seh' ich den Alten gern
Und huete mich, mit ihm zu brechen,
Es ist gar huebsch von einem grossen Herrn,
So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen."
* * * * *
DER FESTTAG IM FEGEFEUER.
Eine Skizze.
"Das groesste Glueck der Geschichtschreiber
ist, dass die Toten nicht gegen ihre Ansichten
protestieren koennen."
Welt und Zeit. I.
ACHTZEHNTES KAPITEL.
Beschreibung des Festes. Satan lernt drei merkwuerdige Subjekte
kennen.
Ich teile hier einen Abschnitt aus meinen Memoiren mit, welcher zwar
nicht mich selbst betrifft, den ich mir aber aufzeichnete, weil er mir
sehr interessant war und vielleicht auch andern nicht ohne einiges
Interesse sein moechte. Er fuehrt die Aufschrift: "D e r F e s t t a
g i m F e g e f e u e r" und kam durch folgende Veranlassung zu
diesem Titel. Es ist auf der Erde bei allen grossen Herren und
Potentaten Sitte, ihre Freude und ihre Trauer recht laut und deutlich
zu begehen. Wenn ein aus fuerstlichem Blute stammender Leib dem Staube
wiedergegeben wird, haben die Kuester im Lande schwere Arbeit; denn
man laeutet viele Tage lang alle Glocken. Wird eine Prinzessin oder
gar ein Stammhalter geboren, so verkuendet schrecklicher Kanonendonner
diese Nachricht. Landesvaeterliche oder landesmuetterliche Geburtstage
werden mit allem moeglichen Glanz begangen. Die Buergermilizen ruecken
aus, die Honoratioren halten einen Schmaus, abends ist Ball oder doch
wenigstens in den Landstaedtchen _biere dansante_. Kurz, alles
lebt _in dulci jubilo_ an solchen Tagen.
Um nun meiner guten G r o s s m u t t e r eine Ehre zu erweisen, hielt
ich es auch schon seit mehreren Jahrhunderten so. Im Fegefeuer, wo sie
sich gewoehnlich aufhaelt, ist immer an diesem Tage allgemeine
Seelenfreiheit. Die Seelen bekommen diesen Tag ueber den Koerper, den
sie auf der Oberwelt hatten, ihre Kleider, ihre Gewohnheiten, ihre
Sitten. Was von Adel da ist, muss Deputationen zum Handkuss der Alten
schicken (_in pleno_ koennen sie nicht vorgelassen werden, weil
sonst die Prozession einige Tage lang dauerte). Ehemalige
Hofmarschaelle, Kammerherren usw. haben den grossen Dienst und
schaetzen es sich zur Ehre, die Honneurs zu machen, die Festlichkeiten
zu leiten, die Touren bei den Baellen, welche abends gegeben werden,
zu arrangieren usw.
Ich erfuelle durch diese Festlichkeiten einen doppelten Zweck. Einmal
fuehlt sich _chere Grande-Mama_ ungemein geschmeichelt durch
diese Aufmerksamkeit, zweitens gelte ich unter den Seelen fuer einen
honetten Mann, der ihnen auch ein Vergnuegen goennt, drittens macht
dieser einzige Tag, in Freude und alten Gewohnheiten zugebracht, dass
die Seelen sich nachher um so ungluecklicher fuehlen, was ganz zu dem
Zweck einer solchen Anstalt, wie das Fegefeuer ist, passt.
An einem solchen Festtag gehe ich dann verkleidet durch die Menge.
Manchmal erkennt man mich zwar, ein tausendstimmiges "Vivat der Herr
Teufel! _Vive le diable_!" erfreut dann mein landesvaeterliches
Herz; doch weiss ich wohl, dass es nicht weniger erzwungen ist als ein
H u r r a auf der Oberwelt; denn sie glauben, ich druecke sie noch
mehr, wenn sie n i c h t schreien.
In meinem Inkognito besuche ich dann die verschiedenen Gruppen.
_Tout comme chez vous_, meine Herren, nur etwas grotesker;
Kaffeegesellschaften, Tee von allen Sorten, diplomatische,
militaerische, theologische, staatswirtschaftliche, medizinische Klubs
finden sich, wie durch natuerlichen Instinkt zusammen, machen sich
einen guten Tag und fuehren ergoetzliche Gespraeche, die, wenn ich sie
mitteilen wollte, auf manches Ereignis neuerer und aelterer Zeit ein
huebsches Licht werfen wuerden.
Einst trat ich in einen Saal des _Cafe de Londres_ (denn,
nebenbei gesagt, es ist an diesem Tage alles auf grossem Fuss und
hoechst elegant eingerichtet); ich traf dort nur drei junge Maenner,
die aber durch ihr Aeusseres gleich meine Neugierde erweckten und mir,
wenn sie ins Gespraech miteinander kommen sollten, nicht wenig
Unterhaltung zu versprechen schienen. Ich verwandelte daher meinen
Anzug in das Kostuem eines flinken Kellners und stellte mich in den
Saal, um die Herrschaften zu bedienen.
Zwei dieser jungen Leute beschaeftigten sich mit einer Partie Billard.
Ich markierte ihnen und betrachtete mir indes den dritten. Er war
nachlaessig in einen geraeumigen Fauteuil zurueckgelehnt, seine Beine
ruhten auf einem vor ihm stehenden kleineren Stuhl, seine linke Hand
spielte nachlaessig mit einer Reitgerte, sein rechter Arm
unterstuetzte das Kinn. Ein schoener Kopf!
Das Gesicht laenglich und sehr bleich. Die Stirne hoch und frei, von
hellbraunen, wohlfrisierten Haaren umgeben, die Nase gebogen und
spitzig, wie aus weissem Wachs geformt, die Lippen duenn und angenehm
gezogen, das Auge blau und hell, aber gewoehnlich kalt und ohne alles
Interesse langsam ueber die Gegenstaende hingleitend. Dies alles und
ein feiner Hut, enger oben als unten, nachlaessig auf ein Ohr
gedrueckt, liessen mich einen Englaender vermuten. Sein sehr feines,
blendend weisses Leinenzeug, die gewaehlte, ueberaus einfache Kleidung
konnte nur einem Gentleman, und zwar aus den hoechsten Staenden,
gehoeren. Ich sah in meiner Liste nach und fand, es sei Lord Robert
Fotherhill. Er winkte, indem ich ihn so betrachtete, mit den Augen,
weil es ihm wahrscheinlich zu unbequem war, zu rufen. Ich eilte zu ihm
und stellte auf seinen Befehl ein grosses Glas Rum, eine
Havannazigarre und eine brennende Wachskerze vor ihn hin.
Die beiden anderen Herren hatten indes ihr Spiel beendigt und nahten
sich dem Tische, an welchem der Englaender sass; ich warf schnell
einen Blick in meine Liste und erfuhr, der eine sei ein junger
Franzose, Marquis de Lasulot, der andere ein Baron von Garnmacher, ein
Deutscher.
Der Franzose war ein kleines, untersetztes, gewandtes Maennchen. Sein
schwarzes Haar und der dickgelockte, schwarze Backenbart standen sehr
huebsch zu einem etwas verbrannten Teint, hochroten Wangen und
beweglichen, freundlichen schwarzen Augen; um die vollen Lippen und
das wohlgenaehrte Kinn zog sich jenes schoene, unnachahmliche Blau,
welches den Damen so wohl gefallen soll und in England und Deutschland
bei weitem seltener als in suedlichen Laendern gefunden wird, weil
hier der Bartwuchs dunkler, dichter und auch frueher zu sein pflegt
als dort.
Offenbar ein Incroyable von der Chaussee d'Antin! Das elegante
Neglige, wie es bis auf die geringste Kleinigkeit hinaus der
eigensinnige Geschmack der Pariser vor vier Monaten (so lange mochte
der junge Herr bereits verstorben sein) haben wollte. Von dem mit
zierlicher Nachlaessigkeit umgebundenen ostindischen Halstuch, dem
kleinen blassroten Schal mit einer Nadel _a la Duc de Berry_
zusammengehalten, bis hinab auf die Gamaschen, die man damals seit
drei Tagen nach innen zuknoepfte, bis auf die Schuhe, die, um als
modisch zu gelten, an den Spitzen nach der grossen Zehe sich hinneigen
und ganz ohne Absatz sein mussten, ich sage, bis auf jene
Kleinigkeiten, die einem Uneingeweihten geringfuegig und miserabel,
einem, der in die Mysterien hinlaenglich eingefuehrt ist, wichtig und
unumgaenglich notwendig erscheinen, war er gewissenhaft und nach den
neuesten Geschmack fuer den Morgen angezogen.
Er schien soeben erst seinem Jean die Zuegel seines Kabrioletts in die
Hand gedrueckt, die Peitsche von geglaettetem Fischbein kaum in die
Ecke des Wagens gelehnt zu haben und jetzt in mein Cafe hereingeflogen
zu sein, mehr um gesehen zu werden, als zu sehen, mehr um zu
schwatzen, als zu hoeren.
Er lorgnettierte fluechtig den Gentleman im Fauteuil, schien sich an
dem ungemeinen Rumglas und dem Rauchapparat, den jener vor sich hatte,
ein wenig zu entsetzen, schmiegte sich aber nichtsdestoweniger an die
Seite Seiner Lordschaft und fing an zu sprechen:
"Werden Sie heute abend den Ball besuchen, mein Herr, den uns
_Monseigneur le diable_ gibt? Werden viele Damen dort sein, mein
Herr? Ich frage, ich bitte Sie, weil ich wenig Bekanntschaft hier
habe.
"Mein Herr darf ich Ihnen vielleicht meinen Wagen anbieten, um uns
beide hinzufuehren? Es ist ein ganz honettes Ding, dieser Wagen, habe
ich die Ehre, Sie zu versichern, mein Herr; er hat mich bei Latonnier
vor vier Monaten achtzehnhundert Franken gekostet. Mein Herr, Sie
brauchen keinen Bedienten mitzunehmen, wenn ich die Ehre haben sollte,
Sie zu begleiten; mein Jean ist ein Wunderkerl von einem Bedienten."
So ging es im Galopp ueber die Zunge des Incroyable. Seine Lordschaft
schien sich uebrigens nicht sehr daran zu erbauen. Er sah bei den
ersten Worten den Franzosen starr an, richtete dann den Kopf ein wenig
auf, um seine rechte Hand freizumachen, ergriff mit dieser--die erste
Bewegung seit einer halben Stunde--das Kelchglas, nippte einige Zuege
Rum, rauchte behaglich seine Zigarre an, legte den Kopf wieder auf die
rechte Hand und schien dem Franzosen mehr mit dem Auge als mit dem Ohr
zuzuhoeren und auch auf diese Art antworten zu wollen; denn er
erwiderte auch nicht eine Silbe auf die Einladung des redseligen
Franzosen und schien, wie sein Landsmann Shakespeare sagt,
"Der Zaehne doppelt Gatter"
vor seine Sprachorgane gelegt zu haben.
Der Deutsche hatte sich waehrend dieses Gespraeches dem Tische
genaehert, eine hoefliche Verbeugung gemacht und einen Stuhl dem Lord
gegenueber genommen. Man erlaube mir, auch ihn ein wenig zu
betrachten. Es war, was man in Deutschland einen g e w i c h s t e n
j u n g e n M a n n zu nennen pflegt, ein Stutzer; er hatte blonde,
in die Hoehe strebende Haare, an die etwas niedere Stirn schloss sich
ein allerliebstes Stumpfnaeschen, ueber den Mund hing ein
Stutzbaertchen, dessen Enden hinaufgewirbelt waren, seine Miene war
gutmuetig, das Auge hatte einen Ausdruck von Klugheit, der, wie gut
angebrachtes Licht auf einem grobschattierten Holzschnitt, keinen
uebeln Effekt hervorbrachte.
Seine Kleidung wie seine Sitten schien er von verschiedenen Nationen
entlehnt zu haben. Sein Rock mit vielen Knoepfen und Schnueren war
polnischen Ursprungs; er war auf russische Weise auf der Brust vier
Zoll hoch wattiert, schloss sich spannend ueber den Hueften und
formierte die Taille so schlank, als die einer huebschen
Altenburgerin; er hatte ferner enge Reithosen an, weil er aber nicht
selbst ritt, so waren solche nur aus duennem Nanking verfertigt; aus
eben diesem Grunde mochten auch die Sporen mehr zur Zierde und zu
einem wohltoenenden, Aufmerksamkeit erregenden Gang als zum Antreiben
eines Pferdes dienen. Ein feiner italienischer Strohhut vollendete das
gewaehlte Kostuem.
Ich sehe es einem gleich bei der Art, wie er den Stuhl nimmt und sich
niedersetzt, an, ob er viel in Zirkeln lebte, wo auch die kleinste
Bewegung von den Gesetzen des Anstandes und der feinen Sitte geleitet
wird; der Stutzer setzte sich passabel, doch bei weitem nicht mit
jener feinen Leichtigkeit wie der Franzose, und der Englaender zeigte
selbst in seiner nachlaessigen, halb sitzenden, halb liegenden
Stellung mehr Wuerde als jener, der sich so gut aufrecht hielt, als es
nur immer ein Tanzmeister lehren kann.
Diese Bemerkungen, zu welchen ich vielleicht bei weitem mehr Worte
verwendet habe, als es dem Leser dieser Memoiren noetig scheinen
moechte, machte ich in einem Augenblicke; denn man denke sich nicht,
dass der junge Deutsche mir so lange gesessen, bis ich ihn gehoerig
abkonterfeit hatte.
Der Marquis wandte sich sogleich an seinen neuen Nachbar. "Mein Gott,
Herr von Garnmacher," sagte er "ich moechte verzweifeln; der englische
Herr da scheint mich nicht zu verstehen, und ich bin seiner Sprache zu
wenig maechtig, um die Konversation mit gehoeriger Lebhaftigkeit zu
fuehren; denn ich bitte Sie, mein Herr, gibt es etwas Langweiligeres,
als wenn drei schoene junge Leute beieinander sitzen und keiner den
andern versteht?"
"Auf Ehre, Sie haben recht," antwortete der Stutzer in besserem
Franzoesisch, als ich ihm zugetraut haette; "man kann sich zur Not
denken, dass ein Tuerke mit einem Spanier Billard spielt; aber ich
sehe nicht ab, wie wir unter diesen Umstaenden mit dem Herrn plaudern
koennen."
"_J'ai bien compris, Messieurs,_" sagte der Lord ganz ruhig
neben seiner Zigarre vorbei, und nahm wieder einigen Rum zu sich.
"Ist's moeglich, Mylord?" rief der Franzose vergnuegt, "das ist sehr
gut, dass wir uns verstehen koennen! Markoer, bringen Sie mir
Zuckerwasser! O, das ist vortrefflich, dass wir uns verstehen, welch
schoene Sache ist es doch um die Mitteilung, selbst an einem Ort wie
dieser hier."
"Wahrhaftig, Sie haben recht, Bester," gab der Deutsche zu; "aber
wollen wir nicht zusammen ein wenig umherschlendern, um die schoene
Welt zu mustern? Ich nenne Ihnen schoene Damen von Berlin, Wien, von
allen moeglichen Staedten meines Vaterlandes, die ich bereist habe;
ich hatte oben grosse Bekanntschaften und Konnexionen und darf hoffen,
an diesem verfl------Ort manche zu treffen, die ich zu kennen das
Glueck hatte; Mylord nennt uns die Schoenen von London, und Sie,
teuerster Marquis, koennen uns hier Paris im kleinen zeigen."
"Gott soll mich behueten," entgegnete eifrig der Franzose, indem er
nach der Uhr sah; "jetzt, um diese fruehe Stunde wollen Sie die
schoene Welt mustern? Meinen Sie, mein Herr, ich habe in diesem
_detestable purgatoire_ so sehr allen guten Ton verlernt, dass
ich jetzt auf die Promenade gehen sollte?"
"Nun, nun," antwortete der Stutzer, "ich meine nur, im Fall wir nichts
Besseres zu tun wuessten. Sind wir denn nicht hier wie die drei
Maenner im Feuerofen? Sollen wir wohl ein Loblied singen wie jene?
Doch, wenn es Ihnen gefaellig ist, mein Herr, uns einen Zeitvertreib
vorzuschlagen, so bleibe ich gerne hier."
"Mein Gott," entgegnete der Incroyable; "ist dies nicht ein so
anstaendiges Cafe als Sie in ganz Deutschland keines haben? Und fehlt
es uns an Unterhaltung? Koennen wir nicht plaudern, soviel wir wollen?
Sagen Sie selbst, Mylord, ist es nicht ein gutes Haus, kann man diesen
Salon besser wuenschen? Nein! _Monsieur le diable_ hat Geschmack
in solchen Dingen, das muss man ihm lassen."
"_Une confortable maison_!" murmelte Mylord und winkte dem
Franzosen Beifall zu. "_Et ce salon confortable_!"
"Gute Tafel, mein Herr?" fragte der Marquis, "nun, die wird auch da
sein; ich denke mir, man speist wohl nach der Karte? Aber, meine
Herren, was sagen Sie dazu, wenn wir uns zur Unterhaltung gegenseitig
etwas aus unserem Leben erzaehlen wollten? Ich hoere so gerne
interessante Abenteuer, und Baron Garnmacher hat deren wohl so viele
erlebt als Mylord?"
"_Goddam_! das war ein vernuenftiger Einfall, mein Herr," sagte
der Englaender, indem er mit der Reitgerte auf den Tisch schlug, die
Fuesse von dem Stuhl herabzog und sich mit vieler Wuerde in dem
Fauteuil zurecht setzte; "noch ein Glas Rum, Markoer!"
"Ich stimme bei," rief der Deutsche, "und mache Ihnen ueber Ihren
gluecklichen Gedanken mein Kompliment, Herr von Lasulot.--Eine Flasche
Rheinwein, Kellner!--Wer soll beginnen zu erzaehlen?"
"Ich denke, wir lassen dies das Los entscheiden," antwortete Lord
Fotherhill, "und ich wette fuenf Pfund, der Marquis muss beginnen."
"Angenommen, mein Herr," sagte mit angenehmem Laecheln der Franzose;
"machen Sie die Lose, Herr Baron, und lassen Sie uns ziehen, Nummer
Zwei soll beginnen."
Baron Garnmacher stand auf und machte die Lose zurecht, liess ziehen,
und die zweite Nummer fiel auf ihn selbst.
Ich sah den Franzosen dem Lord einen bedeutenden Wink zuwerfen, indem
er das linke Auge zugedrueckt, mit dem rechten auf den Deutschen
hinueberdeutete; ich uebersetzte mir diesen Wink so: "Geben Sie
einmal acht, Mylord, was wohl unser ehrlicher Deutscher vorbringen
mag. Denn wir beide sind schon durch den Rang unsrer Nationen weit
ueber ihn erhaben."
Baron von Garnmacher schien aber den Wink nicht zu beachten; mit
grosser Selbstgefaelligkeit trank er ein Glas seines Rheinweins,
wischte in der Eile den Stutzbart mit dem Rockaermel ab und begann.
* * * * *
NEUNZEHNTES KAPITEL.
Geschichte des deutschen Stutzers.
"Als mein Grossvater, der Kaiserlich-Koeniglich--"
"Ich bitte Sie, mein Herr," unterbrach ihn der Incroyable, "verschonen
Sie uns mit dem Grosspapa und fangen Sie gleich bei Ihrem Vater an;
was war er?"
"Nun ja, wenn es Ihnen so lieber ist; aber ich haette mich gerne bei
dem Glanze unserer Familie laenger verweilt; mein Vater lebte in
Dresden auf einem ziemlich grossen Fuss--"
"Was war er denn, der Herr Papa? Sie verzeihen, wenn ich etwas zu
neugierig erscheine, aber zu einer Geschichte gehoert Genauigkeit."
"Mein Vater," fuhr der Stutzer etwas missmutig fort, "war
Kleiderfabrikant _en gros_--"
"Wie," fragte der Lord, "was ist Kleiderfabrikant? Kann man in
Deutschland Kleider in Fabriken machen?"
"Hol' mich der Teufel, wie er schon getan!" rief der Stutzer unwillig
und stiess das Glas auf den Tisch. "Das ist nicht die Art, wie man
seine Biographie erzaehlen kann, wenn man alle Augenblicke von
kritischen Untersuchungen unterbrochen wird; mein Vater hatte ein Haus
am Alt-Markt; darin hatte er ein Atelier und hielt Arbeiter, welche
Kleider fuer die Leute machten!"
"_Mon dieu_! Also war, er, was wir _tailleur_ nennen, ein
Schneider?"
"Nun, in Gottes Namen, nennen Sie es, wie Sie wollen; kurz, er hatte
die Welt gesehen, machte ein Haus, und wenn er auch nicht den Adel und
die ersten Buerger in seinen Soireen sah, so war doch ein gewisser
guter Ton, ein gewisser Anstand, ein gewisses, ich weiss nicht was,
kurz, es war ein ganz anstaendiger Mann, mein Papa."
Mich selbst erfasste der Lachkitzel, als ich den _garcon
tailleur_ so perorieren hoerte, doch ich fasste mich, um den
Markoer nicht aus der Rolle fallen zu lassen. Der Marquis aber hatte
sich zurueckgelehnt und wollte sich ausschuetten vor Lachen; der
Englaender sah den Stutzer forschend an, unterdrueckte ein Laecheln,
das seiner Wuerde schaden konnte, und trank Rum; der deutsche Baron
aber fuhr fort:
"Sie haetten mich, meine Herren, auf der Oberwelt in Daumenschrauben
pressen koennen, und ich haette meine Maske nicht vor Ihnen
abgenommen. Hier ist es ein ganz anderes Ding; wer kuemmert sich an
diesem schlechten Ort um den ehemaligen Baron von Garnmacher? Darum
verletzt mich auch Ihr Lachen nicht im geringsten; im Gegenteil, es
macht mit Vergnuegen, Sie zu unterhalten!"
"_Ah! ce noble trait_!" rief der Incroyable und wischte sich die
Traenen aus dem Auge. "Reichen Sie mir die Hand und Lassen Sie uns
Freunde bleiben. Was geht es mich an; ob Ihr Vater _duc_ oder
_tailleur_ war, Erzaehlen Sie immer weiter. Sie machen es gar zu
huebsch."
"Ich genoss eine gute Erziehung; denn meine Mutter wollte mich
durchaus zum Theologen machen, und weil dieser Stand in meinem
Vaterlande der eigentlich privilegierte Gelehrtenstand ist, so wurde
mir in meinem siebenten Jahre _mensa_, in meinem achten _amo_, in
meinem zehnten _typto_, in meinem zwoelften _pakat_ eingeblaeut.
Sie koennen sich denken, dass ich bei dieser ungemeinen Gelehrsamkeit
keine gar angenehmen Tage hatte; ich hatte, was man einen harten Kopf
nennt; das heisst, ich ging lieber aufs Feld, hoerte die Voegel singen
oder sah die Fische den Fluss hinabgleiten, sprang lieber mit meinen
Kameraden, als dass ich mich oben in der Dachkammer, die man zum
Musensitz des kuenftigen Pastors eingerichtet hatte, mit meinem Broeder,
Buttmann, Schroeder, und wie die Schrecklichen alle heissen, die den
Knaben mit harten Koepfen wie boese Geister erscheinen, abmarterte.
Ich hatte ueberdies noch einen andern Hang, der mir viele Zeit raubte;
es war die von frueher Jugend an mit mir aufwachsende Neigung zu
schoenen Maedchen. Sommers war es in meiner Dachkammer so gluehend
heiss wie unter den Bleidaechern des Palastes Sankt Marco in Venedig;
wenn ich dann das kleine Schiebefenster oeffnete, um den Kopf ein
wenig in die frische Luft zu stecken, so fielen unwillkuerlich meine
Augen auf den schoenen Garten unseres Nachbars, eines reichen
Kaufmanns; dort unter den schoenen Akazien auf der weichen Moosbank
sass Amalie, sein Toechterlein, und ihre Gespielinnen und Vertrauten.
Unwiderstehlide Sehnsucht riss mich hin; ich fuhr schnell in meinen
Sonntagsrock, frisierte das Haar mit den Fingern zurecht und war im
Flug durch die Zaunluecke bei der Koenigin meines Herzens. Denn diese
Charge bekleidete sie in meinem Herzen im vollsten Sinne des Wortes.
Ich hatte in meinem elften Jahre den groessten Teil der Ritter- und
Raeuberromane meines Vaterlandes gelesen, Werke, von deren
Vortrefflichkeit man in andern Laendern keinen Begriff hat; denn die
erhabenen Namen Cramer und Spiess sind nie ueber den Rhein oder gar
den Kanal gedrungen. Und doch, wie viel hoeher stehen diese Buecher
alle als jene Ritter- und Raeuberhistorien des Verfassers von
Waverley, der kein anderes Verdienst hat, als auf Kosten seiner Leser
recht breit zu sein. Hat der grosse Unbekannte solche vortrefflichen
Stellen wie die, welche mir noch aus den Tagen meiner Kindheit im Ohr
liegen: 'M i t t e r n a c h t, d u m p f e s G r a u s e n d e r
N a t u r, R u e d e n g e b e l l, R i t t e r U r i a n t r i t t
a u f.'
Wem pocht nicht das Herz, wem straeubt sich nicht das Haar empor, wenn
er nachts auf einer oeden, verlassenen Dachkammer dieses liest? Wie
fuehlte ich da das 'G r a u s e n d e r N a t u r!' Und wenn der
Hofhund sein Ruedengebell heulte, so war die Taeuschung so vollkommen,
dass sich meine Blicke aengstlich an die schlecht verriegelte Tuere
hefteten; denn ich glaubte nicht anders, als 'R i t t e r U r i a n
t r e t e a u f!'
Was war natuerlicher, als dass bei so lebhafter Einbildungskraft auch
mein Herz Feuer fing? Jede Berta, die ihrem Ritter die Feldbinde
umhing, jede Ida, die sich auf den Soeller begab, um dem den
Schlossberg hinabdonnernden Liebsten noch einmal mit dem Schleier
zuzuwedeln, jede Agnes, Hulda usw. verwandelten sich unwillkuerlich in
Amalien.
Doch auch s i e war diesem Tribut der Sterblichkeit unterworfen. Aus
ihrer Sparbuechse naemlich wurden die Romane angeschafft. Wenn einer
gelesen war, so empfing ich ihn, las ihn auch, trug ihn dann wieder in
die Leihbibliothek und suchte dort immer die Buecher heraus, welche
entweder keinen Ruecken mehr hatten oder vom Lesen so fett geworden
waren, dass sie mich ordentlich a n g l a e n z t e n. Das sind so die
echten nach unserem Geschmack, dachte ich, und sicher war es
ein 'R i n a l d o R i n a l d i n i', ein 'D o m s c h u e t z', ein
'a l t e r U e b e r a l l u n d N i r g e n d s' oder sonst einer
unserer Lieblinge.
Zu Hause band ich ihn dann in alte lateinische Schriften ein; denn
Amalie war sehr reinlich erzogen und haette, wenn auch das Innere des
Romans nicht immer sehr rein war, doch nie mit blossen Fingern den
fetten Glanz ihrer Lieblinge betastet. Ehrerbietig trug ich ihn dann
in den Garten hinueber und ueberreichte ihn; und nie empfing ich ihn
zurueck, ohne dass mir Amalie die schoensten Stellen mit Strickgarn
ueber einer Stecknadel bezeichnet haette. So lasen und liebten wir;
unsere Liebe richtete sich nach dem Vorbild, das wir gerade lasen;
bald war sie zaertlich und verschaemt, bald feurig und stuermisch, ja,
wenn Eifersuchten vorkamen, so gaben wir uns alle moegliche Muehe,
einen Gegenstand, eine Ursache fuer unser namenloses Unglueck zu
ersinnen.
Mein gewoehnliches Verhaeltnis zu der reichen Kaufmannstochter war
uebrigens das eines Edelknaben von dunkler Geburt, der an dem Hof
eines grossen Grafen oder Fuersten lebt, eine unglueckliche
Leidenschaft zu der schoenen Tochter des Hauses bekommt und endlich
von ihr heimliche, aber innige Gegenliebe empfaengt. Und wie lebhaft
wusste Amalie ihre Rolle zu geben; wie guetig, wie herablassend war
sie gegen mich! Wie liebte sie den schoenen, ritterlichen Edelknaben,
dem kein Hindernis zu schwer war, zu ihr zu gelangen, der den breiten
Burggraben (die Entenpfuetze in unserem Hof) durchwatet, der die
Zinnen des Walles (den Gartenzaun) erstiegen, um in ihr Gartengemach
(die Moosbank unter den Akazien) sich zu schleichen. Tausend Dolche
(die Naegel auf dem Zaun, die meinen Beinkleidern sehr gefaehrlich
waren), tausend Dolche lauern auf ihn, aber die Liebe fuehrt ihn
unbeschaedigt zu den Fuessen seiner Herrin.
Das einzige Unglueck meiner Liebe war, dass wir eigentlich gar kein
Unglueck hatten. Zwar gab es hie und da Grenzstreitigkeiten zwischen
dem armen Ritter (meinem Vater) und dem reichen Fuersten (dem
Kaufmann), wenn naemlich eines unserer Huehner in seinen Garten
hinuebergeflogen war und auf seinen Mistbeeten spazieren ging, oder es
kam sogar zu wirklicher Fehde, wenn der Fuerst einen Herold (seinen
Ladendiener) zu uns herueberschickte und um den Tribut mahnen liess
(weil mein Vater eine sehr grosse Rechnung in dem Kontobuche des
Fuersten hatte). Aber dies alles war leider kein noetigendes Unglueck
fuer unsere Liebe und diente nicht dazu, unsere Situation noch
romantischer zu machen.
Die einzige Folge, die aus meinem Leben und meiner Liebe entstand, war
mein hartes Unglueck, immer unter den letzten meiner Klasse zu sein
und von dem alten Rektor tuechtig Schlaege zu bekommen; doch auch
darueber belehrte und troestete mich meine Herrin. Sie entdeckte mir
naemlich, dass des Herzogs (des Rektors) aeltester Prinz um ihre Liebe
gebuhlt und sie aus Liebe zu mir den Juengling abgewiesen habe; er
habe gewiss unsere Liebe und den Grund seiner Abweisung entdeckt und
sie dem alten Vater, dem Rektor, beigebracht, der sich dafuer auf eine
so unwuerdige Art an mir raeche. Ich liess die Gute auf ihrem Glauben,
wusste aber wohl, woher die Schlaege kamen; der alte Herzog wusste,
dass ich die unregelmaessigen griechischen Verba nicht lernte, und d a
f u e r bekam ich Schlaege.
So war ich fuenfzehn und meine Dame vierzehn Jahre alt geworden,
ungetruebt war bis letzt der Himmel unserer Liebe gewesen; da
ereigneten sich mit einem Male zwei Ungluecksfaelle, wovon schon einer
fuer sich hinreichend gewesen waere, mich aus meinen Hoehen
herabzuschmettern.
Es war die Zeit, wo nach dem Frieden von Paris die Fouqueschen Romane
anfingen, in meinem Vaterlande Mode zu werden . . ."
"Was ist das, Fouquesche Romane?" fragte der Lord.
"Das sind lichtbraune, fromme Geschichtchen, doch durch diese
Definition werden Sie nicht mehr wissen als vorher. Herr von Fouque
ist ein frommer Rittersmann, der, weil es nicht mehr an der Zeit ist,
mit Schwert und Lanze zu turnieren, mit der Feder in die Schranken
reitet und kaempft wie der gewaltigen Waehringer einer. Er hat das ein
wenig rohe und gemeine Mittelalter modernisiert aber vielmehr unsere
heutige modische Welt in einigen frommen Mystizismus einbalsamiert und
um fuenfhundert Jahre zurueckgeschoben. Da schmeckt nun alles ganz
suesslich und sieht recht anmutig, lichtdunkel aus; die Ritter, von
denen man vorher nichts anderes wusste, als sie seien derbe Landjunker
gewesen, die sich aus Religion und feiner Sitte so wenig machten als
der Grosstuerke aus dem sechsten Gebot, treten hier mit einer
bezaubernden Courtoisie auf, sprechen in feinen Redensarten, sind
hauptsaechlich f r o m m und k r e u z g l a e u b i g.
Die Damen sind moderne Schwaermerinnen, nur keuscher, reiner, mit
steifen Kragen angetan und ueberhaupt etwas ritterlich aufgeputzt.
Selbst die edlen Rosse sind glaenzender als heutzutage und haben
ordentlich Verstand, wie auch die Wolfshunde und andere solche
Getiere."
"_Mon dieu_! Solchen Unsinn liest man in Deutschland?" rief der
Franzose und schlug vor Verwunderung die Haende zusammen.
"O ja, meine Herren, man liest und bewundert. Es gab eine Zeit bei
uns, wo wir davon zurueckgekommen waren, alles an fremden Nationen zu
bewundern; da wir nun, auf unsere eigenen Herrlichkeiten beschraenkt,
nichts an uns fanden, das wir bewundern konnten, als die _tempi
passati_--so warfen wir uns mit unserem gewoehnlichen Nachahmungseifer
auf diese und wurden allesamt altdeutsch.
Mancher hatte aber nicht Phantasie genug, um sich ganz in jene
herrlichen vergangenen Zeiten hineinzudenken, man fuehlte allgemein
das Beduerfnis von Handbuechern, die, wie Modejournale neuerer Zeit,
ueber Sitten und Gebraeuche bei unseren Vorfahren uns belehrt haetten;
da trat jener fromme Ritter auf, ein zweiter Orpheus, griff er in die
Saiten, und es entstand ein neu Geschlecht; die Maedchen, die bei den
franzoesischen Garnisonen etwas frivol geworden waren, wurden sittige,
keusche, fromme Fraeulein, die jungen Herren zogen die modischen
Fraecke aus, liessen Haar und Bart wachsen, an die Hemden eine halbe
Elle Leinwand setzen, und 'Kleider machen Leute,' sagt ein Sprichwort,
_probatum est_; auch sie waren tugendlich, tapfer und fromm."
"_Goddam_! Sie haben recht, ich habe solche Figuren gesehen,"
unterbrach ihn der Englaender; "vor acht Jahren machte ich die grosse
Tour und kam auch nach der Schweiz. Am Vierwaldstaetter See liess ich
mir den Ort zeigen, wo die Schweizer ihre Republiken gestiftet haben.
Ich traf auf der Wiese eine Gesellschaft, die wunderlich, halb modern,
halb aus den Garderoben frueherer Jahrhunderte sich gekleidet zu haben
schien. Fuenf bis sechs junge Maenner sassen und standen auf der Wiese
und blickten mit glaenzenden Augen ueber den See hin. Sie hatten
wunderbare Muetzen auf dem Kopf, die fast anzusehen waren wie
Pfannkuchen. Lange wallende Haare fielen in malerischer Unordnung auf
Ruecken und Schultern; den Hals trugen sie frei und hatten breite,
zierlich gestickte Kragen, wie heutzutage die Damen tragen,
herausgelegt.
Ein Rock, der offenbar von einem heutigen Meister, aber nach antiker
Form gemacht war, kleidete sie nicht uebel; er schloss sich eng um den
Leib und zeigte ueberall den schoenen Wuchs der jungen Maenner. In
sonderbarem Kontrast damit standen weite Pluderhosen von grober
Leinwand. Aus ihren Roecken sahen drohende Dolchgriffe hervor, und in
der Hand trugen sie Beilstoecke, ungefaehr wie die roemischen
Liktoren. Gar nicht recht wollte aber zu diesem Kostuem passen, dass
sie Brillen auf der Nase hatten und gewaltig Tabak rauchten.
Ich fragte meinen Fuehrer, was das fuer eine sonderbare Armatur und
Uniform waere und ob sie vielleicht eine Besatzung der Gruetli-Wiese
vorstellen sollten. Er aber belehrte mich, dass es fahrende Schueler
aus Deutschland waeren. Unwillkuerlich draengte sich mir der Gedanke
an den fahrenden Ritter Don Quichotte auf, ich stieg lachend in meinen
Kahn und pries mein Glueck, auf einem Platz, der durch die erhabenen
Erinnerungen, die er erweckt, nur zu leicht zu traeumerischen
Vergleichungen fuehrt, eine so groteske Erscheinung aus dem Leben
gehabt zu haben. Die jungen Deutschen soehnten mich aber wieder mit
sich aus; denn als mein Kahn ueber den See hingleitete, erhoben sie
einen vierstimmigen Gesang in so erhabener Melodie, mit so wuerdigen,
ergreifenden Wendungen, dass ich ihnen im Gedanken das Vorurteil
abbat, welches ihr Kostuem in mir erweckt hatte."
"Nun ja, da haben wir's," fuhr der Baron Garnmacher fort, "so sah es
damals unter alt und jung in Deutschland aus; auch ich hatte
Fouquesche Romane gelesen, wurde ein frommer Knabe, trug mich, wie
alle meine Kameraden, altdeutsch und war meiner Herrin, der 'wunnigen
Maid', mit einer keuschen, inniglichen Minne zugetan. Auf Amalie
machte uebrigens der 'Z a u b e r r i n g', die 'F a h r t e n
T h i o d o l f s' etc. nicht den gewuenschten Eindruck; sie verlachte
die sittigen, lichtbraunen, blauaeugigen Damen, besonders die
B e r t h a v o n L i c h t e n r i e t h, und pries mir Lafontaine
und Langbein, schluepfrige Geschichten, welche ihr eine ihrer
Freundinnen zugesteckt hatte.
Ich war zu sehr erfuellt von dem deutschen Wesen, das in mir aufging,
als dass ich ihr Gehoer gegeben haette; aber der luesterne Brennstoff
jener Romane brannte fort in dem Maedchen, das sich, weil sie fuer ihr
Alter schon ziemlich gross war, fuer eine angehende Jungfrau hielt,
und kurz--es gab eine Josephsszene zwischen uns; ich huellte mich in
meinen altdeutschen Rock und meine Fouquesche Tugend ein und floh vor
den Lockungen der Sirene, wie mein Held Thiodolf vor der herrlichen
Zoe.
Die Folge davon war, dass sie mich als einen Unwuerdigen verachtete
und dem Prinzen, des Rektors Sohn, ihre Liebe schenkte. Ob er mit ihr
Lafontaine und Langbein studierte, weiss ich nicht zu sagen, nur so
viel ist mir bekannt, dass ihn der Fuerst, Amaliens Vater, einige
Wochen nachher eigenhaendig aus dem Garten gepeitscht hat.
Ich sass jetzt wieder auf meinem Dachkaemmerlein, hatte die
hebraeische Bibel und die griechischen Unregelmaessigen vor mir liegen
und auf ihnen meine Romane. An manchem Abend habe ich dort heisse
Traenen geweint und durch die Jalousien in den Garten hinabgeschaut;
denn die zuchtlose Jungfrau sollte meinen Jammer nicht erschauen, sie
sollte den Kampf zwischen Hass und Liebe nicht auf meinem Antlitz
lesen. Ich war fest ueberzeugt, dass so ungluecklich wie ich kein
Mensch mehr sein koenne, und hoechstens der unglueckliche O t t o v o
n T r a u t w a n g e n, als er in Frankreich mit seinem
vernuenftigen, lichtbraunen Roesslein eine Hoehle bewohnte, konnte
vielleicht so kummervoll gewesen sein wie ich.
Aber das Mass meiner Leiden war nicht voll; hoeren Sie, wie 'aus
entwoelkter Hoehe' mich ein zweiter Donner traf.
Der alte Rektor hatte seinen Schuelern ein Thema zu einem Aufsatz
gegeben, worin wir die Frage beantworten sollten, w e n w i r f u e r
d e n g r o e s s t e n M a n n D e u t s c h l a n d s h a l t e n.
Es sollte sein Wert geschichtlich nachgewiesen, Gruende fuer und
wider angegeben und ueberhaupt alles recht gelehrt abgemacht werden.
Ich hatte, wie ich Ihnen schon bemerkt habe, meine Herren, immer einen
harten Kopf, und Aufsaetze mit Gruenden waren mir von jeher zuwider
gewesen, ich hatte also auch immer mittelmaessige oder schlechte
Arbeiten geliefert. Aber fuer diese Arbeit war ich ganz begeistert,
ich fuehlte eine hohe Freude in mir, meine Gedanken ueber die grossen
Maenner meines Vaterlandes zu sagen und meine Ideale (und wer hat in
diesen Jahren nicht solche) in gehoeriges Licht setzen zu koennen.
Geschichtlich sollte das Ding abgefasst werden. Was war leichter fuer
mich als dies? Jetzt erst fuehlte ich den Nutzen meines eifrigen
Lesens. Wo war einer, der so viele Geschichten gelesen hatte als ich?
Und wer, der irgend einmal diese Buecher der Geschichten in die Hand
nahm, wer konnte in Zweifel sein, wer die groessten Maenner meines
Vaterlandes seien? Zwar war ich noch nicht ganz mit mir selbst im
reinen, wem ich die Krone zuerkennen sollte. H a s p e r a S p a d a?
Es ist wahr, er war ein Tapferer, der Schrecken seiner Feinde, die
Liebe seiner Freunde. Aber, wie die Geschichte sagt, war er sehr
stark dem Trinken ergeben, und dies war doch schon eine Schlacke in
seinem fuertrefflichen Charakter. A d o l p h d e r K u e h n e,
R a u g r a f v o n D a s s e l? Er hat schon etwas mehr von einem
grossen Mann. Wie schrecklich zuechtigt er die Pfaffen! Wenn er nur
nicht in der Historie nach Rom wandeln und Busse tun muesste; aber
dies schwaecht doch sein majestaetisches Bild. Es ist wahr, O t t o
v o n T r a u t w a n g e n glaenzt als ein Stern erster Groesse in
der deutschen Geschichte, dachte ich weiter, aber auch er scheint
doch nicht der Groesste gewesen zu sein, wiewohl seine Froemmigkeit,
die sehr in Anschlag zu bringen ist, jeden Zauber ueberwand.
Island gehoerte wohl auch zum Deutschen Reich; wahrhaftig, unter allen
deutschen Helden ist doch keiner, der dem T h i o d o l f das Wasser
reicht. Stark wie Simson, ohne Falsch wie eine Taube, fromm wie ein
Lamm, im Zorn ein B e r s e r k e r--es kann nicht fehlen, er ist der
groesste Deutsche.
Ich setzte mich hin und schrieb voll Begeisterung diese Rangordnung
nieder. Wohl zehnmal sprang ich auf, meine Brust war zu voll, ich
konnte nicht alles sagen, die Feder, die Worte versagten mir, wohl
zehnmal las ich mir mit lauter Stimme die gelungensten Stellen vor.
Wie erhaben lautete es, wenn ich von der Staerke des Islaenders
sprach, wie er einen Wolf zaehmte, wie er in Konstantinopel ein Pferd
nur ein wenig auf die Stirne klopfte, dass es auf der Stelle tot war;
wie grossmuetig verschmaeht er alle Belohnung; ja, er schlaegt einen
Kaiserthron aus, um seiner Liebe treu zu bleiben; wie kindlich fromm
ist er, obgleich er die christliche Religion nicht recht kannte; wie
schoen beschrieb ich das alles; ja, es musste das Herz des alten
Rektors ruehren!
Ich konnte mir denken, wie er meine Arbeit mit steigendem Beifall
lesen, wie er morgens in die Klasse kommen wuerde, um unsere Aufsaetze
zu zensieren. Dann sendet er gewiss einen milden, freundlichen Blick
nach dem letzten Platze, wohin er sonst nur wie ein bruellender Loewe
schaute, dann liest er meine Arbeit laut vor und spricht: Kann man
etwas Gelungeneres lesen als dies? Und ratet, wer es gemacht hat! Die
Letzten sollen die Ersten werden. Der Stein, den die Bauleute
verworfen haben, soll zum Eckstein werden. Tritt hervor, mein Sohn,
_Garnmachere_! Ich habe immer gesagt, du seiest eine Bete; konnte
ich ahnen, dass du mit so vielem Eifer Geschichten studierst? Nimm hin
den Preis, der dir gebuehrt.'
So musste er sagen, er konnte nicht anders, ohne das schreiendste
Unrecht zu tun. Eifrig schrieb ich jetzt meinen Aufsatz ins Reine. Um
zu zeigen, dass ich auch in den neueren Geschichten nicht unbewandert
sei, sagte ich am Schluss, dass ich nach Erfindung des Pulvers den
d e u t s c h e n A l c i b i a d e s und naechst ihm H e r m a n n
v o n N o r d e n s c h i l d fuer die groessten Maenner halte.
Man koenne ihnen den R i t t e r E u r o s, welcher nachher als
D o m s c h u e t z m i t s e i n e n G e s e l l e n so grosses
Aufsehen gemacht habe, was die Tapferkeit anbetreffe, vielleicht an
die Seite stellen; doch stehen jene beiden auf einem viel hoeheren
Standpunkt.
Ich brachte dem Rektor triumphierend den Aufsatz und musste ihm
beinahe ins Gesicht lachen, als er muerrisch sagte: 'Er wird ein
schoenes Geschmier haben, Garnmacher!'
'Lesen Sie, und dann--richten Sie,' gab ich ihm stolz zur Antwort und
verliess ihn.
Wenn in Ihrem Vaterlande, Mylord, eine Preisfrage gestellt wuerde
ueber den wuerdigsten englischen Theologen, und es wuerden in einer
gelehrten, mit Phrasen wohldurchspickten Antwort die Vorzuege des
Vicar of Wakefield dargetan, wer wuerde da nicht lachen? Wenn Sie,
werter Marquis, nach der wuerdigsten Dame zu den Zeiten Louis XIV.
gefragt wuerden, und Sie priesen die n e u e H e l o i s e, wuerde
man Sie nicht fuer einen Rasenden halten? Hoeren Sie, welche Torheit
ich begangen hatte!
Der Samstag, an welchem man unsere Arbeiten gewoehnlich zensierte,
erschien endlich. So oft dieser Tag sonst erschienen war, war er mir
ein Tag des Ungluecks gewesen. Gewoehnlich schlich ich da mit
Herzklopfen zur Schule; denn ich durfte gewiss sein, wegen schlechter
Arbeit getadelt, oeffentlich geschmaeht zu werden. Aber wieviel
stolzer trat ich heute auf; ich hatte meinen besten Rock angezogen,
den schoensten, feingestickten Hemdkragen angelegt, mein wallendes
Haar war zierlich gescheitelt und gelockt; ich sah stattlich aus und
gestand mir, ich sei auch im Aeusseren des Preises nicht unwuerdig,
welcher mir heute zuteil werben sollte.
Der Rektor fing an, die Aufsaetze zu zensieren. Wie aermliche, obskure
Helden hatten sich meine Mitschueler gewaehlt: Hermann, Karl den
Grossen, Kaiser Heinrich, Luther und dergleichen,--er ging viele
durch, immer kam er noch nicht an meine Arbeit. Ja, es war offenbar,
meine Helden hatte er auf die Letzt aufgespart--als die besten!
Endlich ruhte er einige Augenblicke, raeusperte sich und nahm ein Heft
mit rosenfarbener Ueberdecke, das meinige, zur Hand. Mein Herz pochte
laut vor Freude, ich fuehlte, wie sich mein Mund zu einem
triumphierenden Laecheln verziehen wollte; aber ich gab mir Muehe,
bescheiden bei dem Lobe auszusehen. Der Rektor begann: 'Und nun komme
ich an eine Arbeit, welche ihresgleichen nicht hat auf der Erde. Ich
will einige Stellen daraus vorlesen!' Er deklamierte mit ungemeinem
Pathos gerade jene Kraftstellen, welche ich mit so grosser
Begeisterung niedergeschrieben hatte. Ein schallendes Gelaechter aus
mehr als vierzig Kehlen unterbrach jeden Satz, und als er endlich an
den Schluss gelangte, wo ich mit einer kuehnen Wendung dem furchtbaren
D o m s c h u e t z e n noch einige Bluemchen gestreut hatte, erscholl
Bravo! _Ancora_! und die Tische krachten unter den beifalltrommelnden
Faeusten meiner Mitschueler. Der Rektor winkte Stille und fuhr fort:
'Es waere dies eine gelungene Satire auf die Herren Spiess und Konsorten,
wenn nicht der Verfasser selbst eine Satire auf die Menschheit waere.
Es ist unser lieber Garnmacher. Tritt hervor, du _dedecus naturae_,
hieher zu mir!'
Zitternd folgte ich dem fuerchterlichen Wink. Das erste war, als ich
vor ihm stand, dass er mir das rosenfarbene Heft einmal rechts und
einmal links um die Ohren schlug. Und jetzt donnerte eine Strafpredigt
ueber mich herab, von der ich nur so viel verstand, dass ich eine Bete
waere und nicht wuesste, was Geschichte sei.
Es begegnet zuweilen, dass man im Traum von einer schoenen, blumigen
Sonnenhoehe in einen tiefen Abgrund herabfaellt. Man schwindelt, indem
man die unermesslichen Hoehen herabfliegt, man fuehlt die unsanfte
Erschuetterung, wenn man am Boden zu liegen glaubt, man erwacht und
sieht sich mit Staunen auf dem alten Boden wieder. Die Hoehe, von der
man herabstuerzte, ist mit all ihren Bluetengaerten verschwunden, ach,
sie war ja nur ein Traum!
So war mir damals, als mich der Rektor aus meinem Schlummer
aufschuettelte; ein tiefer Seufzer war die einzige Antwort, die ich
ihm geben konnte. Ich war arm wie jener Kroesus, als er vor seinem
Sieger Cyrus stand; auch ich hatte ja alle meine Reiche verloren!
Ich sollte bekennen, woher ich die Romane bekommen, wer mir das Geld
dazu gegeben habe. Konnte, durfte ich sie, die ich einst liebte,
verraten? Ich leugnete, ich hielt den ganzen Sturm des alten Mannes
aus, ich stand wie Mucius Scaevola.
Der langen Rede kurzer Sinn war uebrigens der, dass ich von meinem
Vater ein Attestat darueber bringen muesse, dass ich das Geld zu
solchen Allotriis von ihm habe, und ueberdies habe ich am naechsten
Montag vier Tage Karzer anzutreten. Verhoehnt von meinen Mitschuelern,
die mir Thiodolf, deutscher Alcibiades und dergleichen nachriefen, in
dumpfer Verzweiflung ging ich nach Hause. Es war gar kein Zweifel,
dass mich mein Vater, wenn er diese Geschichte erfuhr, entweder
sogleich totschlagen oder wenigstens zum Schneiderjungen machen
wuerde. Vor beidem war mir gleich bange. Ich besann mich also nicht
lange, band etwas Weisszeug und einige seltene Dukaten und andere
Muenzen, welche mir meine Paten geschenkt hatten, in ein Tuch, warf
noch einen Kuss und den letzten Blick nach des Nachbars Garten, sagte
meinem Dachstuebchen Lebewohl, und eine Viertelstunde nachher wanderte
ich schon aus der Strasse nach Berlin, wo mir ein Oheim lebte, an
welchen ich mich fuers erste zu wenden gedachte.
In meinem Herzen war es oede und leer, als ich so meine Strasse zog.
Meine Ideale waren zerronnen. Sie hatten also nicht gelebt, diese
tapfern, frommen, liebevollen, biederen Maenner, sie hatten nicht
geatmet, jene lieblichen Bilder holder Frauen. Jene bunte Welt voll
Putz und Glanz, alle jene Stimmen, die aus fernen Jahrhunderten zu mir
heruebertoenten, die mutigen Toene der Trompete, Ruedengebell,
Waffengeklirr, Sporenklang, suesse Akkorde der Laute--alles, alles
dahin, alles nichts als eine loeschpapierne Geschichte, im Hirn eines
Poeten gehegt, in einer schmutzigen Druckerpresse zur Welt gebracht!
Ich sah mich noch einmal nach der Gegend um, die ich verlassen hatte.
Die Sonne war gesunken, die Nebel der Elbe verhuellten das liebe
Dresden, nur die Spitzen der Tuerme ragten, vergoldet vom Abendrot,
ueber dem Dunstmeer.
So lag auch mein Traeumen, mein Hoffen, Vergangenheit und Zukunft in
Nebel gehuellt, nur einzelne hohe Gestalten standen hell beleuchtet
wie jene Tuerme vor meiner Seele. Wohlan! sprach ich bei mir selbst:
_O fortes, pejoraque passi
Mecum saepe viri, nunc cantu pellite curas,
Cras ingens iterabimus aequor._
Noch einmal breitete ich die Arme nach der Vaterstadt aus, da fuehlte
ich einen leichten Schlag auf die Schulter und wandte mich um.--"
* * * * *
Der Herausgeber ist in der groessten Verlegenheit. Er hat bis auf den
Tag, an welchem er dies schreibt, dem Verleger das Manuskript zum
ersten Teil versprochen, und doch fehlt noch ein grosser Teil des
letzten Abschnittes. Er ist noch nicht geweiht, die Messe ist schon
vorueber, und eine eigene ueber die paar Bogen lesen zu lassen, findet
sich weder ein gehoeriger Vorwand, noch wuerde das Werkchen diese
bedeutende Ausgabe wert sein. Wir versparen daher die Fortsetzung des
Festtages in der Hoelle auf den zweiten Teil.
* * * * *
*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, MITTEILUNGEN AUS DEN MEMOIREN DES SATAN V1 ***
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Project Gutenberg eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US
unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.
We are now trying to release all our eBooks one year in advance
of the official release dates, leaving time for better editing.
Please be encouraged to tell us about any error or corrections,
even years after the official publication date.
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midnight of the last day of the month of any such announcement.
The official release date of all Project Gutenberg eBooks is at
Midnight, Central Time, of the last day of the stated month. A
preliminary version may often be posted for suggestion, comment
and editing by those who wish to do so.
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Gutenberg, including how to donate, how to help produce our new
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Those of you who want to download any eBook before announcement
can get to them as follows, and just download by date. This is
also a good way to get them instantly upon announcement, as the
indexes our cataloguers produce obviously take a while after an
announcement goes out in the Project Gutenberg Newsletter.
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ftp://ftp.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext04
Or /etext03, 02, 01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92, 91 or 90
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as it appears in our Newsletters.
Information about Project Gutenberg (one page)
We produce about two million dollars for each hour we work. The
time it takes us, a rather conservative estimate, is fifty hours
to get any eBook selected, entered, proofread, edited, copyright
searched and analyzed, the copyright letters written, etc. Our
projected audience is one hundred million readers. If the value
per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2
million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text
files per month: 1240 more eBooks in 2001 for a total of 4000+
We are already on our way to trying for 2000 more eBooks in 2002
If they reach just 1-2% of the world's population then the total
will reach over half a trillion eBooks given away by year's end.
The Goal of Project Gutenberg is to Give Away 1 Trillion eBooks!
This is ten thousand titles each to one hundred million readers,
which is only about 4% of the present number of computer users.
Here is the briefest record of our progress (* means estimated):
eBooks Year Month
1 1971 July
10 1991 January
100 1994 January
1000 1997 August
1500 1998 October
2000 1999 December
2500 2000 December
3000 2001 November
4000 2001 October/November
6000 2002 December*
9000 2003 November*
10000 2004 January*
The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been created
to secure a future for Project Gutenberg into the next millennium.
We need your donations more than ever!
As of February, 2002, contributions are being solicited from people
and organizations in: Alabama, Alaska, Arkansas, Connecticut,
Delaware, District of Columbia, Florida, Georgia, Hawaii, Illinois,
Indiana, Iowa, Kansas, Kentucky, Louisiana, Maine, Massachusetts,
Michigan, Mississippi, Missouri, Montana, Nebraska, Nevada, New
Hampshire, New Jersey, New Mexico, New York, North Carolina, Ohio,
Oklahoma, Oregon, Pennsylvania, Rhode Island, South Carolina, South
Dakota, Tennessee, Texas, Utah, Vermont, Virginia, Washington, West
Virginia, Wisconsin, and Wyoming.
We have filed in all 50 states now, but these are the only ones
that have responded.
As the requirements for other states are met, additions to this list
will be made and fund raising will begin in the additional states.
Please feel free to ask to check the status of your state.
In answer to various questions we have received on this:
We are constantly working on finishing the paperwork to legally
request donations in all 50 states. If your state is not listed and
you would like to know if we have added it since the list you have,
just ask.
While we cannot solicit donations from people in states where we are
not yet registered, we know of no prohibition against accepting
donations from donors in these states who approach us with an offer to
donate.
International donations are accepted, but we don't know ANYTHING about
how to make them tax-deductible, or even if they CAN be made
deductible, and don't have the staff to handle it even if there are
ways.
Donations by check or money order may be sent to:
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PMB 113
1739 University Ave.
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method other than by check or money order.
The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been approved by
the US Internal Revenue Service as a 501(c)(3) organization with EIN
[Employee Identification Number] 64-622154. Donations are
tax-deductible to the maximum extent permitted by law. As fund-raising
requirements for other states are met, additions to this list will be
made and fund-raising will begin in the additional states.
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you can always email directly to:
Michael S. Hart <
[email protected]>
Prof. Hart will answer or forward your message.
We would prefer to send you information by email.
**The Legal Small Print**
(Three Pages)
***START**THE SMALL PRINT!**FOR PUBLIC DOMAIN EBOOKS**START***
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your copy of this eBook, even if you got it for free from
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